Das Abstimmungsergebnis vom 27. September 2020 zur Begrenzungsinitiative der SVP war für den Bundesrat ein Schock.
Weil das damit verbundene Ja zur Personenfreizügigkeit und zu den bilateralen Verträgen mit der EU derart eindeutig ausgefallen war, dass er befürchtete, man erwarte jetzt vom Gremium eine klare Haltung zum Rahmenabkommen.
Doch die blieb sowohl an diesem Abstimmungssonntag und in all den Tagen nach der Abstimmung aus.
Man tat in Bundesbern so, als handle es sich um ein Abstimmungsergebnis von gefühlt 50,1 Prozent.
Die Schweizer Medien stimmten ins laute Pfeifen im Wald ein: Das Abstimmungsergebnis sei keineswegs als Ja zum Rahmenabkommen zu deuten.
Das sei halt eine Niederlage der SVP. Nicht mehr und nicht weniger.
Wenn wir uns von Corona abwenden, weil wir schon im Sommer zu einem weniger eingeschränkten Leben zurückkehren können, dann ist es an der Zeit, sich mit dem Rahmenabkommen zu beschäftigen.
Denn das Rahmenabkommen mit der EU ist nach Corona das wichtigste Thema überhaupt. Wir stellen mit diesem die europapolitischen Weichen für die nächsten zwanzig Jahre.
Und die Parteien eiern rum.
Es scheint wie beim Pokerspiel: Wer zuerst blinzelt verliert.
Also vergesst die Parteien, denken wir selbst nach.
Es gibt mehrere Fakten, die in der Schweiz nicht zur Kenntnis genommen werden wollen.
Erstens: Mit dem Austritt der Briten aus der Union haben die verbliebenen 27 Länder die Reihen hinter Brüssel so dicht geschlossen wie nie zuvor.
Was man am Resultat der Verhandlungen zwischen London und Brüssel deutlich ablesen kann: Der Freihandelsvertrag grenzt bei Licht betrachtet, und nicht von Boris Johnson kommentiert, an eine Demütigung.
Der Inselstaat, immerhin die sechstgrösste Volkswirtschaft der Welt, eine Atommacht mit festen Sitz im UNO-Sicherheitsrat, hat nichts von dem, was die Brexitiers vollmundig verkündet haben, durchsetzen können.
Das daraus folgende Debakel wird derzeit noch von Corona übertüncht. Doch spätestens im Herbst wird sich die britische Politik der unbequemen Wahrheit stellen müssen.
Zweitens: Anders als die von vielen in der Schweiz immer wieder herbeigeschriebene Hoffnung, ist die EU aus dem Brexit-Prozess nicht geschwächt, sondern gestärkt hervorgegangen.
Er hat eine Dynamik ausgelöst, die vor dem Austritt der Briten selbst in den EU-Ländern kaum vorstellbar war.
Damit hat sich für die Schweiz Entscheidendes verändert: Sie ist mit ihrer Gemächlichkeit im Selbstfindungsprozesses in Sachen EU am 31. Januar 2020, am Tag der Unterzeichnung des Austrittsvertrags mit den Briten, endgültig aus der neuen europäischen Zeit gefallen.
Was für die Schweiz bedeutet, dass mehrjährige Verhandlungen mit der EU über wünschenswertes Kleinklein der Vergangenheit angehören.
Es wird für die Insel der Glückseeligen mitten in Europa keine speziell auf die Schweiz zugeschnittenen Sonderlösungen mehr geben.
Take it or leave it – das ist die neue Verhandlungsposition der EU-Länder als Lehre aus dem Brexit.
Was nicht vergessen werden darf: Die EU ist in den bisherigen Verhandlungen der Schweiz deshalb entgegengekommen, weil der Bundesrat 1992 eine Beitrittsabsicht in Brüssel deponiert hatte.
Man sah die Bilateralen als Übergangslösung, so wie übrigen sehr viele in der Schweiz auch.
Doch 2016, zwei Jahre nach Beginn der Verhandlungen für den Rahmenvertrag, hat der Bundesrat – aus heiterem Himmel – das Beitrittsgesuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft zurückgezogen.
Die NZZ schrieb damals: „Ein historischer Entscheid ohne Folgen“. Welch ein Irrtum.
Das war eine Ansage mitten in den Verhandlungen, die man in Brüssel nicht vergessen wird.
Genau so wenig, wie die öffentliche Demütigung des damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, im November 2017 nach dessen Besuch der Schweiz.
Doch das zentrale Problem der Schweiz ist, dass sie selbst nach 21 Jahren Endlosverhandlungen um bilaterale Verträge noch immer nicht weiss, was sie eigentlich will.
Was auch für die EU ein Problem darstellt.
Denn wie und über was soll man mit jemanden verhandeln, der nicht weiss, was er will?
Fakt ist: Die schweizerische Politik ist ohne Konzept, sowohl was das Verhältnis des Landes zur EU anbelangt, als auch bei dieser nebulösen Souveränität (früher Alleingang), welche die Bilateralen ersetzen soll.
Ein Running-Gag nationalkonservativer Politiker und ihrem Beigemüse.
Sollen wir jetzt verzweifeln, weil „die in Bern“ von links bis rechts in ihrer Echokammer den Schweizer Psalm singen, statt konkrete politische Arbeit zu leisten?
Warum auch. Lassen wir sie singen.
Fakt ist: Die Milliardäre mit ihren Komitees können es drehen und wenden wie sie wollen, die Abstimmung zum Rahmenabkommen wird mit einer satten Mehrheit gewonnen.
Darauf kann man zum einen aufgrund der vielen europapolitischen Abstimmungsergebnisse der letzten zwanzig Jahre setzen.
- 21. Mai 2000 Bilaterale I: 67.2% Ja
- 5. Juni 2005 Schengen/Dublin: 54.6% Ja
- 25. September 2005 Ausdehnung des Personenfreizügigkeitsabkommen: 56% Ja
- 26. November 2006 Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas: 53.4% Ja
- 8. Februar 2009 Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Bulgarien und Rumänien: 59.6% Ja
- 17. Mai 2009 biometrischer Reisepass (Weiterentwicklung Schengen): 50.1% Ja
- 30. November 2014 Volksinitiative «Stopp der Überbevölkerung : 74,1% Nein
- 19. Mai 2019 Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie im Schweizer Waffenrecht: 63,7% Ja
- 27. September 2020 Volksinitiative Begrenzungsinitiative: 61,71% Nein
Ein einziges Mal haben die Nationalkonservativen eine europapolitische Abstimmung gewonnen:
- 9. Februar 2014 Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» 50,3% Ja
Hauchdünn.
Also, was soll’s.
Zum anderen: Die Zustimmung zum Rahmenabkommen liegt schon seit Monaten bei einer 60:40 Prozent-Mehrheit. (Es gibt dazu unveröffentlichte konstante Umfragewerte eines Branchenverbandes.)
Weshalb man auch noch sehr zuversichtlich der Abstimmung entgegensehen kann?
Aus dem einfachen Grund, weil all dieses Lohnschutz- und Unionsbürgergeplänkel am Abstimmungssonntag auf eine einzige, simple Frage kondensiert wird:
Bilaterale Verträge Ja oder Nein?
PS: Sollte der Bundesrat wider Erwarten das Rahmenabkommen weder dem Parlament zur Verabschiedung noch dem Volk zur Abstimmung vorlegen, schlittert die Schweiz in eine der schwersten Verfassungskrisen seit bestehen des Bundesstaates.
Koch P meint
Es freut mich, dass endlich mal jemand das Wort Bürger, Rechtsbürger etc weglässt und
Nationalkonservativ verwendet, Rechtslastig oder Rechtshörig wäre auch möglich.
Bürger sind wir schliesslich alle. Die Verwendung bürgerlich wirkt einfach beschönigend
und besänftigend. Man will sich nicht exponieren. Ein Bravo an MM
M. Mueller meint
Offenbar hat Autor Messmer die Wahrheit gepachtet und kennt die Zukunft…
Michael Przewrocki meint
Lichtstarkes Objektiv und(oder Empfindlichkeit massiv nach oben? Bei einfachen Zoomkameras ist das Problem dass die grösste Lichtstärke nur bei der kleinsten Brennweite(Weitwinkel) zur verfügung steht. Oder ist es die Leica mit Festbrennweite?
Da die Katze fast scharf ist und es wohl nicht ganz eilig hatte geh ich von 1/60 aus. 1/60 f2.0 mit leica 28mm? APS-C- ideale Kamera mit höchster Bildqualität. Es ist einfach wichtig dass man immer eine einigermassen gute Kamera dabei hat. Verpasster einmalige Schnappschüsse oder schlechte Bildqualität sind schlimm. Kamera ist immer im Video-Startposition. Es gibt Kameras mit Photo-Option im Videomodus.
M.M. meint
Mit dem IPad, mitten in der Nacht. Fand die Stimmung gut, Katze war Zufall.
Franz meint
Hat halt was endgültiges.
Ist man mal drin, kommt man nicht mehr raus.
…wie bei einem schwarzen Loch.
Jean Ackermann meint
Die in Bern wissen nach Mesmer nicht so recht was sie wollen. Scheinbar weiss aber Mesmer dass er am liebsten in die EU möchte, ihm scheint der Erhalt der direkten Demokratie scheissegal zu sein. Man ist ja kultivierter Weltbürger.
M.M. meint
Und über was können wir nicht mehr abstimmen? Vaterschaftsurlaub? AHV? Sauberes Trinkwasser? Covid-Gesetz? Terrorismusbekämpfung?
Gut, vielleicht fällt das mit dem Steuersatz für Unternehmen demnächst weg, weil die USA und andere Länder einen einheitlichen Satz wollen.
Also wenn Sie da etwas konkrekt werden könnten….
monalisa meint
Abstimmen dürfen wir vielleicht noch über die Begrünung des Dorfparks oder den Strassenbelag. Alles Wesentliche wird ganz sicher irgendein EU- Gesetz tangieren, da gibts dann nix mehr mitzureden. Notfalls wird vorher noch rasch eins beschlossen.
gotte meint
das lustigste ist ja, dass Sie davon auszugehen scheinen, dass es heute anders ist resp. dass es anders sein würde, wenn wir das rahmenabkommen nicht haben. aber eben: dream on.
monalisa meint
Ja, gute Analyse, vielleicht muss es so sein. Wehmütig macht trotzdem, dass mit der Annahme des Rahmenabkommens die einzig wirklich Demokratie dieser Welt verschwinden wird… und wir Gallier uns den Römern letztendlich doch geschlagen geben müssten. Seufz.
Rudolf Rechsteiner meint
Spannend . Gute Analyse aber die Abstimmung ist nicht gewonnen.