Man ist ja in schlechter Gesellschaft, wenn man sagt, oder hier schreibt, man sei für ein Burkaverbot in der Schweiz.
Weil die Initiative, über die wir demnächst abstimmen werden, aus der rechten Ecke kommt.
Von einer obskuren Vereinigung.
Ich weiss.
Empörend finde ich jedoch zweierlei: Zum einen, dass wir uns überhaupt mit der Burkafrage auseinandersetzen (müssen) und dies nicht dort geschieht, wo diese Diskussion hingehört – in den Iran, in die Golfstaaten und so weiter.
Die Burka ist schliesslich mehr als ein Kleidungsstück.
Zum anderen finde ich es empörend, dass Männer wie selbstverständlich festlegen, dass Frauen in der Öffentlichkeit von Kopf bis Fuss verhüllt rumlaufen müssen.
Im Namen einer Religion, einer Tradition, aus gesellschaftlichem Zwang.
Ich stolpere in diesen Tagen des öfteren über Tweets von Weltversteher*innen. Es scheint eine Art Wettbewerb stattzufinden, wer von den Teilnehmer*innen in der Schweiz die wenigsten Burkaträgerinnen gesichtet hat.
Sie tweeten also, dass sie bis jetzt eine oder höchstens zwei verhüllte Frauen gesehen hätten.
Was das also soll mit der Burkaabstimmung. Alles kein Problem.
Und überhaupt die Frauenrechte bei uns. Und gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Und das mit dem Stimmrecht…
Nicht zu vergessen: Die SVP!!!!
Die ist mir ziemlich schnuppe.
Als man noch konnte, sind wir öfters in München gewesen. Da sieht es dann so aus, dass die Golfboys westlich-leger, oft auch in kurzen Hosen, die Kaufingerstrasse rauf und runter schlendern.
In Begleitung ihrer Frauen, die von oben bis unten schwarz verhüllt sind.
Klar, wäre ja noch schöner, wenn die Ehefrauen der Jungs und der Dickbäuchigen sagen könnten: Schatz, die Gesetze in München, ich muss auf die Burka heute verzichten.
Wo kämen wir denn da hin. Beim Umsatz.
Vor drei Jahren sind wir quer durch den Iran gereist.
Sie musste schon für das Visum-Bild Kopftuch tragen.
Sie hatte wegen des Kopftuchzwangs etliche Bedenken, diese Reise überhaupt zu machen. Was ich nicht verstanden habe.
Hallo, wegen eines Kopftuchs?
Ich bitte dich!
Doch es geht eben nicht um ein Stück Stoff – die Iranerinnen wissen sehr wohl, wie man mit dem Hidschab modische Akzente setzt – es geht darum, dass mit dem Kopftuchzwang, dem Verhüllungszwang den Frauen ihr Platz in dieser Gesellschaft zugewiesen wird.
Als Kollektiv.
Echt schockiert war ich, als wir in Ghom die Fatima Masuma-Moschee besichtigten.
Sie musste beim Eingang für Frauen eines dieser Kopf- bis Fuss-Tücher anziehen. Als sie mit den anderen Frauen aus dem Durchgang kam, habe ich sie zunächst gar nicht erkannt.
Und darum geht es beim diesem Kleiderzwang für Frauen: Man nimmt ihnen die Persönlichkeit. Man zerstört ganz bewusst ihre Individualität.
Man macht aus ihnen eine Kategorie: Frauen.
Vielleicht noch dies: Es sind nicht bloss die Männer in diesen Gesellschaften, die auf das Tragen der Burka bestehen, sondern auch Mütter, Tanten, Schwestern.
Aus Tradition, wegen gesellschaftlicher Zwänge, aus religiöser Demut, wegen Stammesloyalität und Ehrbarkeit.
Das müssen wir nicht mitmachen. Aus falsch verstandener Toleranz.
Chienbäsebärti meint
Wenn sie schon für das Visumbild Kopftuch tagen musste (für die Iranreise) frage ich mich: Was haben wir denn für ein Selbstbewusstsein, dass wir nicht «Gegenrecht» halten. Warum machen wir denn den kurzbehosten Besuchern nicht klar, dass wir hier keine verhüllten Begleiterinnen dulden. Natürlich lassen sich zunächst weniger Klickerlitzchen und teure Hotelsuiten verkaufen.
Gübelin und Co. Werden es überstehen aber vielleicht steigen wir in der Achtung unsrer Besucher.
Arlesheimreloadedfan meint
Beim Heulen der Sirenen, wurde mir bewusst.
Wir Schweizer sind auf Alles vorbereitet.
Seit Urzeiten spenden wir indexiert, 5 bis 10 Milliarden für Waffen.
Wie in Sparta kasernieren wir unsere Jungmänner,damit sie das Töten lernen.
Gegen eine Pandemie kann man sich nicht vorsehen.
Aber gegen die Sarazenen, also JA zum Burkaverbot in unserer Verfassung.
Fabian Baumann meint
„Zum einen, dass wir uns überhaupt mit der Burkafrage auseinandersetzen (müssen) und dies nicht dort geschieht, wo diese Diskussion hingehört – in den Iran, in die Golfstaaten und so weiter.“
Genau – so schrecklich die Burka ist, sie ist bei uns kein relevantes Phänomen und deshalb nur ein Vorwand für die SVP, gegen alle Muslim*innen gerichtete nationalistische Symbolpolitik zu betreiben und ihrerseits Kleidungsvorschriften zu erlassen. Sollte der Islamismus zum ernsthaften Gesellschaftsphänomen werden, können wir darüber sprechen (auch dann wären andere Massnahmen höchstwahrscheinlich wirksamer). Case closed.
M.M. meint
„So schrecklich die Burka ist, sie ist bei uns kein relevantes Phänomen.“ Absolut richtig.
Also Schwamm drüber.
Ich beurteile die Frage jedoch nicht aus der Sicht der Schweiz, sondern im Wissen, dass die Burka tatsächlich ein schreckliches Instrument zur Unterdrückung der Frau ist.
Es ist eine Gesinnung und nicht ein Fetzen Stoff.
Nun möchte ich nicht bestreiten, dass es auch bei uns diese Art von Gesinnung gibt. Einfach ohne Burka.
Michael Przewrocki meint
Hab im Lift mal einer jungen Frau mit sehr schön modischer -in jungmännlicher Begleitung-ein Kompliment gemacht. Keine Reaktion.
away meint
„Man ist ja in schlechter Gesellschaft…“. Absolut nicht. Die Argumente liefern Sie ja gleich selber. Wer hier mit „freiheitlich“ und „liberal“ schwadroniert“, hat eine verengte Optik und ignoriert die Wurzel dieses Übels. Eindrücklich die persönlichen Erlebnisse, sie bringen es auf den Punkt.
Franz meint
Bitte wieder etwas leichtere Kost.
Da will keiner sich zu weit auf die Äste rauslassen.
Es besteht Absturzgefahr.
Daniel Flury meint
Wer gegen die weibliche Genitalverstümmelung im nordöstlichen Afrika ist, der muss für das Burka-Verbot sein. Da gibt es keine zwei Meinungen. Es spielt keine Rolle, ob die Verdinglichung einer Frau blutig vollzogen, oder mit Tradition begründet virtuell verlangt wird. Das Ergebnis ist dasselbe: Entmenschlichung.
Margareta Bringold meint
Aber auch das Verbot der Genitalverstümmelung ist nicht in der Bundesverfassung festgeschrieben. Trotzdem ist diese schwere Körperlichverletzung zu Recht in der Schweiz verboten. In die Bundesverfassung gehören meiner Meinung keine Kleidervorschriften. Und der SVP geht es ja auch nicht um die Rechte der muslimischen Frauen sondern um die Hetze gegen Muslime. Das kann ich nicht unterstützen.
Steven meint
thema wurde der svp überlassen, weil alle anderen so etwas offensichtliches nicht geregelt bekommen haben. einmal mehr. nicht alles fremde ist gut. nicht alles einheimische ebenso. obwohl wir vor üblen verwerfungen stehen aufgrund der corona-massnahmen, die linke eilt den amerikanern nach: top themen sind lgbt und *innen. da wundert sich niemand mehr, dass es bald knallt im schweizerhaus.
U. Haller meint
Die Operation Libero bringt es auf den Punkt:
» Frauen gehören vom Staat weder ausgezogen noch eingehüllt. Jede Frau soll selbst entscheiden können, wie sie sich kleiden will – alles andere ist Paternalismus. Bereits heute ist es strafrechtlich verboten, eine Frau zum Tragen eines Schleiers zu zwingen. Dennoch gehen die Befürworter*innen der Initiative davon aus, dass Frauen, insbesondere Muslimas, nicht in der Lage sind, selbständig über ihr Auftreten und ihre Kleidung zu entscheiden. Die dahinterstehende Idee, Muslimas müssten vom Staat befreit werden, weil sie als Frauen und Muslimas per se nicht in der Lage sind, selbstbestimmt zu handeln, offenbart ein zutiefst patriarchalisches und kolonialistisches Frauenbild.«
Das Verbot ist ein Angriff auf unsere Freiheitsrechte und die liberale Verfassung. Für mich ein klares »Nein«.
M.M. meint
Das ist eine gute Zusammenfassung der gängigen Argumentation. Ich halte Operation Libero schon seit einiger Zeit nicht für den Massstab aller Dinge, aber eine interessante Informationsquelle für den linken Mainstream (es gibt ja inzwischen auch den von rechts).
Ich sehe das schlicht anders.
Konkret heisst das nämlich: Geht uns nichts an. Oder: der einen ihre Hotpants sind halt der anderen ihre Vollverschleierung.
Ich nehme mal eine beliebte linke Argumentation auf: Zeichen setzen.
Wenn ich lese, welche persönlichen Risiken – skin in the game – Iranerinnen auf sich nehmen, um gegen den verordneten Kopftuchzwang zu protestieren und Frauen in Saudi Arabien von Religionswächtern angehalten und verhaftet werden, wenn sie vermeintlich gegen Kleidervorschriften verstossen, dann denke ich, setzen wir ein Zeichen.
Dass die Linke und die Liberalen diesen Diskurs den Rechten und ganz Rechten überlässt, ist eine Schande.
Ganz klar.
Paul de Gend meint
Absolut richtig, Herr Messmer, Ihr Kommentar zu Herrn Haller, und mit Chuzpe formuliert, jenseits von jeglichem -tümelnden: die blasierte Libero ziseliert nicht zum ersten mal Realitätsfremdes.
M.M. meint
Das mit der Bundesverfassung ist tatsächlich ein bedenkenswerter Punkt. Ich war seinerzeit genau deshalb gegen ein Minarettverbot, weil ich der Meinung bin und war, Bauvorschriften gehörten nicht in die Verfassung.
Aber so sind halt nun mal die Spielregeln.
Daniel Flury meint
Wenn es darum geht, Frauen zu befreien, gleichzustellen, ihnen die Würde zurückzugeben, dann gibt es bei den Linken keine zwei Meinungen. Wenn es aber konkret darum geht, im Leben tatsächlich entwürdigte Frauen zu befreien, dann ist das «paternalistisch» und «Hetze gegen Muslime». Verstehe das, wer es wolle. Hier geht es um die Sache, und nicht um den Stallgeruch der Initianten, und auch nicht um legalistische Winkelzüge, um auf dem Buckel dieser Frauen Parteipolitik zu betreiben.