Man kann vielleicht sagen, dass der Tod des Concierge das Ende jener Zeit voll verwirrender Zeichen und den Beginn einer anderen, vergleichsweise schwierigeren kennzeichnete, in der die anfängliche Bestürzung sich allmählich in Panik verwandelte.
Albert Camus, Die Pest*
SARS-CoV-2 schleicht ums Haus. Ein unsichtbarer Feind. Eine tödliche Bedrohung. Für die Alten.
Nach allem, was wir inzwischen wissen, tritt das Coronavirus in zwei Phasen auf: Zunächst setzt es sich als Gedanken im Kopf der Menschen fest und danach, unter besonderen Umständen und in weitaus geringerem Ausmass, als organische Struktur in deren Lungen.
Mit der Phase 1 hat das Coronavirus ganze Arbeit geleistet: Nach acht Wochen ununterbrochenem Nachrichtengetrommel hat sich das Coronavirus flächendeckend bei uns allen eingenistet.
Sars-CoV-2 hat unser Denken und Handeln und damit unseren Alltag fest im Griff.
Zahlen mit Kreditkarten sei hygienischer, als Zahlen mit Bargeld. Händeschütteln: Tunlichst zu unterlassen. Händewaschen mindestens alle Stunde. Niesen und Husten in die Armbeuge.
Die Basler Fasnacht ist kein Thema mehr.
Wir sollen uns im „Social Distancing“ üben, was bedeutet, an der Migros-Kasse deutlich Abstand zu dieser älteren Frau halten, die nach dem passenden Münz sucht.
Und niemand scheint darüber nachzudenken, was das in unserer Gesellschaft anrichtet, wenn dieses „Social Distancing“ zum normalen Alltag wird.
Was ich hingegen begrüsse: Diese Küsschen zur Begrüssung links und rechts und links (in der Schweiz) sind abgeschafft und kommen hoffentlich für immer aus der Mode.
Schweizer dürfen nicht mehr in Israel einreisen; nach Venedig gehen sie nicht mal mehr freiwillig.
Die Börsen stürzen ab und im April befinden wir uns in einer Wirtschaftskrise wie selten zuvor.
Nach acht Schlagzeilenwochen halte ich die Gefahr für grösser, die vom virtuellen Caronavirus-Befall des Hirns ausgeht als die reale Infektionsgefahr für unsere Lungen.
Weil SARS-CoV-2 im Kopf autoritäre Gedanken freisetzt.
In Bern haben Experten und Technokraten die Macht übernommen. Und die Logistikspezialisten der Schweizer Armee.
Ich habe in den letzten Tagen mit verschiedenen Leuten geredet, die in speziellen Arbeitsgruppen des Bundes engagiert sind. Die Spielregeln sind klar: Das letzte Wort haben die Chefbeamten des BAG und die Logistiker der Armee.
Für erstere herrscht der Ausnahmezustand und für letztere Krieg.
Weshalb man stufenweise die schon längst vorbereiteten Notfallplanlisten für bislang Undenkbares abarbeitet.
Gerät die Situation wie in Italien ausser Kontrolle, kann die Schweiz weitreichend lahmgelegt werden.
Undenkbar?
Na dann schauen wir doch zurück nach Wuhan (Geisterstadt) oder nach Norditalien (Niemand darf rein, niemand darf raus).
Und stellen uns die Fragen: Wer beliefert dann die Grossverteiler? Wer übernimmt die nächste Schicht jener Spitalangestellten, die selbst in Quarantäne müssen? Wer stellt die Information der Bevölkerung sicher, wenn Redaktionen ausfallen? Wie können Internet und Telefon weiter funktionieren, wenn dort Personal ausfällt.
Wer sorgt für Recht und Ordnung, wenn Recht und Ordnung wanken? Die Antworten auf diese und noch viele andere Fragen sind schon seit Jahren formuliert.
Das totalitäre China liefert den Krisenstäben die willkommene, weil im Ernstfall erprobte Blaupause: Mit rigorosen Massnahmen lässt sich das Virus tatsächlich bekämpfen.
In den Berner Arbeitsgruppen sitzen keine Politiker, zum Beispiel gewählte National- oder Ständeräte*innen.
Kantonsregierungen werden informiert.
Dabei sind die Herausforderungen, mit einem Ausbruch dieses Ausmasses umzugehen, nicht technokratisch, sondern hochpolitisch.
Weil weitreichende Entscheidungen in einem Nebel der Unsicherheit getroffen werden müssen.
Je länger dieser Ausnahmezustand noch dauert, desto mehr ist die Legitimation des Handelns jener gefragt, welche die einschneidenden Massnahmen top-down anordnen.
Wir lernen dabei: Notstandsgesetze führen zu Demokratiedefiziten. Doch Demokratie gibt es nur von unten.
Die Schweiz hat jetzt tatsächlich den Notstand ausgerufen. Im Gegensatz zum Klimanotstand vor ein paar Monaten in Basel ist das keine unverbindliche Politposse.
Er zeigt, auf welch dünnem Eis unsere knapp fünfzigjährige Demokratie steht. (Stichdatum 7. Februar 1971: Man kann ja kaum von einer Demokratie reden, wenn ein Land den Frauen das Wahl- und Stimmrecht verweigert.)
Wir können davon ausgehen, dass viele der im Verlaufe des Coronavirus-„Pestzugs“ erlassenen Massnahmen nur von kurzer Dauer sein werden. Aber eines lehrt uns die Geschichte, dass grosse, plötzliche Veränderungen in unserer Lebensweise eine unerwartete langfristige Wirkung haben können.
*Habe gestern Abend diesen Camus aus der vollgestellten Bücherwand geklaubt. Und stelle schon nach den ersten Seiten fest: „Die Pest“ ist in einem neuen Kontext wieder hochaktuell.
Daniel Seiler meint
Es war übrigens ein Frachter names „Camaro“, der letztes Jahr zwei Brückenpfeiler streifte und nur dank vollem Einsatz eines Lotsens nicht komplett ausser Kontrolle geriet……
Baresi meint
… Nach acht Wochen ununterbrochenem Nachrichtengetrommel hat sich das Coronavirus flächendeckend bei uns allen eingenistet. …
Sie sagen es. Man wünscht sich schon fast die gute alte Terrorangst der letzten Jahre zurück.
Christoph Meury meint
Für Krisen sind wir schlecht gerüstet. Auch mental. Die Einen reagieren mit Ignoranz, die Anderen hysterisch. Offensichtlich: Unser System ist fragil und wenig viren-resistent. Ein Virus blockiert nicht nur mental, sondern stellt das gesellschaftliche Leben auf den Kopf und destabilisiert die Wirtschaft. Ob die alten Rezepturen den Virus stoppen können ist fraglich. Die autoritäre Indoktrination durch Krisenstäbe und hyperventilierende Medien scheinen im Moment die einzigen Handlungsoptionen. Die Menschen reagieren dagegen, wie eh und je, banal mit Hamsterkäufen und hypochondrischen Überreaktionen. Das Gemeinwesen ist mit dem Coronavirus hoffnungslos überfordert. Nicht einmal Desinfektionsmittel und Gesichtsmasken sind in genügendem Umfang vorhanden.
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Pointe: Dafür, nach uralt Überlebensstrategie (Modell 1. & 2. Weltkrieg), gibt es in den Rheinhäfen (insbesondere im Birsfelder Hafen) tausende von Tonnen gebunkertem fossilem Mineralöl in Bundes-Pflichtlagern. Damit hätten wir in Notsituationen theoretisch die Möglichkeit mit unseren Diesel- und Benzinkutschen während Monaten durch’s Land zu kurven und könnten auf die Versorgung von aussen pfeifen. Eine eigene Schifffahrt, um die Versorgungslage sicherzustellen, haben wir übrigens auch. Ein ausserordentlich defizitäres Unternehmen. Aber was tut man nicht alles für die Unabhängigkeit (?).
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Dumm nur, dass wir aktuell kein Benzin und auch kein Soja oder keinen Weizen brauchen. Wir bräuchten Medikamente und Impfstoffe, aber nicht einmal Desinfektionsmittel haben wir in genügendem Umfang, um uns vor dem C-Virus zu schützen. Sollten wir gelegentlich den Kopf wieder einmal frei haben, müssten wir uns Gedanken über die zukünftigen Bedrohungslagen und adäquaten Strategien machen. Dann kämen wir vielleicht auf die Idee, dass uns eine milliardenschwere und hochgerüstete Armee vor zukünftigen Bedrohungen wenig schützt und wir das Geld möglicherweise lieber in Forschung oder Bildung investieren würden.
Oder (noch dramatischer): Was wäre erst, wenn das Internet vollständig aussteigen würde? Das Land würde von jetzt auf sofort implodieren. Eine bizarre Krisenvorstellung.