Wenn sie auf ZDF-Info nicht gerade diese Endlosschlaufe „Adolf erobert die Sowjetunion“ zeigen, sind Dokumentationen über den Vietnamkrieg, den sie in Vietnam den „amerikanischen Krieg“ nennen, auch immer wieder ein paar Sendestunden wert.
Die Bilder kennt man.
In unserem Alter.
Es sind jedoch nicht nur die Bilder, die in der Endlosschlaufe drehen, sondern auch die Kommentare der interviewten Historiker.
Ihre Sicht scheint abschliessend zu sein, weil sie, wie die Bilder, in Bits und Bytes auf Datenträgern gespeichert, ein für immer und ewig abschliessendes Urteil konservieren.
Die Bilder und Kommentare über den Vietnamkrieg geben also vor, die Zeit sei stehen geblieben, Urteil gefällt: Die Amerikaner haben in Vietnam verloren.
Und dazu noch dieses Bild vom Helikopter auf dem Dach der amerikanischen Botschaft.
Wir haben Vietnam zweimal bereist, 2013 von Norden nach Süden und 2015 das zentrale Hochland.
Aus Dien Bien Phu habe ich als Eindruck der Reise durchs Land geschrieben:
In Vietnam hat man 1986 eingesehen, dass es mit der Kollektivwirtschaft so nicht weitergehen kann. Seither geht es auch hier aufwärts.
Was bedeutet, dass die Konsumwelt des Westens und dessen in der TV-Werbung und TV-Shows (auch Vietnam sucht den Superstar) vorgelebten Lebensstil für die Menschen attraktiver sind als die kommunistische Ideologie der Vorväter.
Man will es zu persönlichem Glück und materiellem Wohlstand bringen und irgendwann mal – im Wortsinn – Audi fahren.
Was mich zur Feststellung bringt, dass bald mal vierzig Jahre nach dem Rückzug der Amerikaner aus Vietnam, Sieger und Verlierer nicht mehr so eindeutig auszumachen sind, wie 1975.
Als noch immer liberal-konservativer Zeitgenosse neige ich auf Grund der gewonnenen Eindrücke dieser Reise und einiger Gespräche auch hier in Vietnam dazu, inzwischen einen klaren Vorsprung des Westens zu erkennen.
Ich würde heute behaupten wollen: Die Chinesen und Russen haben Vietnam verloren und die Amerikaner gewonnen.
Was mich zur aktuellen Lage in Afghanistan bringt.
Auch wenn jetzt die Medien die Konserventexte der Vietnamhistoriker copy+paste auf Afghanistan übertragen – der deklarierte Sieg der Taliban ist keineswegs der Schlusspunkt.
Im Gegenteil, es ist der Anfang von deren Ende. Zum einen wird es auch diesen Leuten nicht gelingen, aus dem Vielstämmestaat Afghanistan einen Nationalstaat zu formen. (Ich habe das Land vor Jahren auf dem Weg nach Indien und wieder zurück mehrfach bereist.)
Dann ist es mit der Taliban-Ideologie wie immer: Die Hardliner bekämpfen die Gemässigten und diese beiden werden wiederum von noch Radikaleren umgebracht. Der IS hat in einer wirren Stellungnahme die These vertreten, der Sieg der Taliban sei ein Komplott derselbigen mit den Amerikanern.
Und überhaupt: „Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder.“ (Büchner: Dantons Tod.)
Ich meine, der Impuls „des verhassten Westens“ der letzten zwanzig Jahre wird nicht einfach verpuffen. Es gibt genügend gebildete Frauen und Männer in und ausserhalb Afghanistans, die eine andere Vorstellung von ihrem Lebensentwurf, von einem Staat haben.
Das wahrscheinlichste Szenario der nächsten Jahre wird ein Bürgerkieg entlang der Stammeslinien sein. Dass die Chinesen nach dem Abzug des Westens im Land auffahren werden, um die wertvollen Rohstoffe abzubauen, ist ein Märchenbild.
Wir sollten deshalb die Taktik der Taliban übernehmen: Abwarten und Tee trinken.
Klaus Kirchmayr meint
Wohltuend gelassen
Stefan Uehlinger meint
Guten Tag Herr Messmer
https://en.wikipedia.org/wiki/22_Gia_Long_Street
Dort war der Helikopter in Saigon, nicht auf der Botschaft!
mfg
paul menz meint
Eine hervorragende Analyse!
Könnte ich so gut formulieren wie du, ich hätte das Gleiche gesagt.
Herzliche Grüsse
Paul Menz