Kennen Sie sicher, diese Lithografie aus dem Jahr 1943 von A. PAUL WEBER: Das Gerücht.
Ein Schlangenmensch mit grossen Augen, mit markanter Brille und spitzen Ohren schwebt an einem Hochhaus vorbei. Aus den Fenstern lehnen sich Menschen und schauen erschrocken auf das Monster, um sich schliesslich aufs Gerücht zu stürzen, ihm aufzusitzen.
Das Bild ist mir heute morgen durch den Kopf, als ich die neuesten Stand der Coronavirus-Wasserstandsmeldungen zur Kenntnis nehmen musste. Zum einen die Zahlen im In- und Ausland und zum anderen, was man sich so im Bekanntenkreis erzählt.
Zum Beispiel sind inzwischen viele Eltern davon überzeugt, dass nächste Woche Schulen geschlossen werden. Und andere, dass Ende des Monats die Schweizer Grenzen dichtgemacht werden. Oder die ganz Ängstlichen: dass nächste Woche das Toilettenpapier zur Neige geht.
Und überhaupt: Es wird zu einer Mobilmachung für Spezialeinheiten der Schweizer Armee kommen.
Ein weiteres Gerücht zirkuliert in meinen Alterskreisen, wonach es nächste Woche 65+-alten Menschen verboten wird, aus dem Haus zu gehen.
Klammer: Es fällt auf, dass viele Gerüchte mit der Zeitangabe „nächste Woche“ versehen sind. Klammer zu.
Was die Conoravirus-Statistik anbelangt, gehöre ich dank SARS-CoV-2 nun plötzlich zu einer besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppe.
Allerdings falle ich (auch hier, meine Freunde) ziemlich aus dem Durchschnitt.
Denn was meine Gesundheit anbelangt, bin ich schon seit Jahren kerngesund. (Hätte mich im Winter vor einem Jahr nicht dieser hartnäckige Husten überfallen, trotz Grippeimpfung.)
Sei’s drum.
Wenn die Hochrechnungen (aka Gerüchte) stimmen, dann sollen 60, 70 Prozent der Bevölkerung in den nächsten Wochen vom Virus befallen werden.
Was bedeutet, Alter hin oder her, die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich irgendwann, irgendwo, irgendwie mit SARS-CoV-2 infizieren werde, ziemlich gross ist.
Daran wird auch der verordnete Zwangsaufenthalt ab nächster Wochen in der Wohnung nicht viel ändern. Schliesslich ist das Ding in die Welt gesetzt und wird noch monatelang ums Haus schleichen.
Weshalb ich heute morgen gedacht habe, es wäre wohl das Beste, ich würde mich nicht irgendwann, sondern weshalb-nicht-heute mit dem Virus anstecken.
Dann wüsste ich, wie heftig Corona mich tatsächlich umhaut.
Ich hätte es hinter mir. Wie immer es auch rauskommen mag.
gotte meint
was mich besonders interessiert, ist die frage : warum toilettenpapier ? im netz bin ich auf psycho-sozio-interpret gestossen, der meint, es liege daran, dass sich « der mensch » durch das hamstern eines gegenstands, bei dem es sich eigentlich um einen verzichtbaren luxus handelt, einen rest an normalität bewahren möchte. klopapier, der neue zivilisationsmesser oder lévy strauss reloaded (le crû et le chi)…
U. Haller meint
…oder etwas für Feinschmecker:
https://www.der-postillon.com/2020/03/corona-quarantaene.html
Arlesheimreloadedfan meint
Sobald die Leute,Keller und Estrich mit Toilettenpapier gefüllt haben,geht es bestimmt vorübergehend in den Läden zur Neige.
Es gab mal das Gerücht, Kehrichtsäcke würden knapp – worauf unsere Mutter soviele nach Hause schleppte – dass wir nach Jahrzehnten – diese zur Räumung des Hauses brauchen konnten.
Ich bin haargenau in Ihrem Alter – aber der Virus darf mir ruhig fernbleiben !
niggiullrich meint
Das nennt man einen realen Blick auf zunehmend noch realere Verhältnisse. Dass der konzise Text einen leichten satirischen Ton hat, passt und stört nicht.