Herr Regierungsrat Weber (SVP, BL) äussert sich heute in der BaZ doch noch zu Ecopop. Die haben ihm ein paar Fragen geschickt, die er beantworten liess.
Wie schön. Und praktisch für beide Seiten.
Das dann so genannte Interview liest sich denn auch so, als wäre es für ein Unternehmensblatt geschrieben. Früher, als wir für einen Branchenverband so ein Informationsmagazin produzierten, haben wir nicht nur die Fragen gestellt sondern gleich noch die Antworten dazu geschrieben. Weil wir besser als die Unternehmensbosse wussten, was das Publikum für Antworten lesen will.
Doch zurück zu Herrn Weber. Es gibt in diesem BaZ-„Interview“ nur eine Stelle, die bemerkenswert ist, nämlich diese:
….wie die vor allem kritisierte Zuwanderung zu den Sozialsystemen eingedämmt wird.
Das nenne ich die Dummheit der Leute bewirtschaften. Denn Herr Weber sollte es eigentlich besser wissen, weil er Herr über die einschlägigen Statistiken ist: In Baselland gibt es Ausländer, welche Sozialhilfe beziehen, aber es gibt keine Einwanderung von Ausländern ins Sozialsystem.
Auch wenn die Medien immer wieder mal ein Spektaktel mit Ausländern veranstalten oder Herr S. aus A. meint, mit Surprise könne das gesamte Sozialsystem von Asylbewerberbezügern entlastet werdem.
Kommentatorin „gotte“ hat gestern die Baselbieter Fakten für Herrn Weber hübsch zusammengefasst, was uns die Recherche- und Schreibarbeit schwer erleichtert:
Schauen Sie sich hier mal die statistik zu den sozialhilfefälllen in BL.der grösste teil sind die unter 17-jährigen (30%) – also kinder, die unterstützt werden, weil ihre eltern (meist die mütter) nicht genug verdienen (nach der scheidung). die gesamte sozialhilfequote liegt in BL seit jahren zwischen 2.3 und 2.8%. ein blick in die erwerbsstatistik zeigt, dass 2010 auf rund 138’400 rund 5’400 erwerbslose kamen, was einem anteil von rund 3.9 % entspricht. die mit den problemen machen also insgesamt 6.7 % der bevölkerung aus (wobei hier bei der sozialhilfe 30% gar nicht stimmen darf).
So, jetzt noch ein kleiner blick, wie es uns denn sonst noch geht: 27’200 sind selbständig, oberstes management oder akademiker, 32’000 unteres oder mittleres kader.
40’000 sind immerhin gelernte angestellte und 8000 ungelernt (dann noch 6000 lehrlinge und rund 25’000 nicht zuteilbare). also auch hier würde ich meinen: von den 140’000 erwerbstätigen sind doch 59’000 in sehr guten positionen und nochmals 40’000 sind als gelernte angestellte unterwegs .
wenn ich nun alle diese zahlen anschaue und mitbedenke, dass hier ja auch die ausländer noch mitmischeln (auch bei den sozialhilfefällen und den erwerbslosen, dort werden sie ja vor allem vermutet!!!!) — dann bleibe ich dabei: es geht nicht nur der gut gebildeten akademikerin nach wie vor sehr gut in der schweiz.
Nochmals: Die Sozialhilfequote ist seit Jahren stabil, was demnach bedeutet, dass es in BL, anders als immer behauptet, keine „Einwanderung ins System“ gibt.
Die Zukunft sieht in anderer Hinsicht nicht sehr hell aus: In den nächsten Jahren geht die erste Welle der Geschiedenen in die Rente, also eine ziemlich grosse Kohorte, welche über keine volle Rente verfügen wird, weder bei AHV noch BVG. Es werden vor allem Frauen sein, die von der neuen Scheidungsarmut betroffen sind.
Wer gar zwei Scheidungen hinter sich hat, wird es noch schwerer haben.
Zudem werden die steigenden Mieten in Basel-Stadt Wenigverdiener und Rentner ins Baselbiet abwandern lassen, ein neues Phänomen, das in deutschen Grossstädten bereits zu sinkenden Bevölkerungszahlen führt.
Nicht Ausländer, sondern die Armuts-Einwanderung aus Basel-Stadt könnte für den Landkanton zum Problem werden.
Emmanuel Ullmann meint
Was wieder ein Argument für die Fusion gewesen wäre
gotte meint
meine recherche gestern soll die these untermauern, dass es nicht das geschundene, von armut und arbeitslosigkeit bedrohte volk ist, das ecopop und MEI soll findet. sondern der wohlstandsverwoehnte mittel- und oberstand, der konkurrenzangst hat. weil er merkt, dass es anderswo auch gut ausgebildete leute gibt. die mehr arbeiten. zu guenstigeren preisen. man schaue sich die ecopop hueslibesitzer an, die dichtegestresst sind. oder die svp-spiess-mannen der bl-svp-basis. denen geht es allen bestens.
Henry Berger meint
…er wird’s einfach weglächeln….
(Sorry, aber dieses [wohl antrainierte] Dauergegrinze von Herrn RR Weber nervt gewaltig)
Trashbarg meint
… ich kenne Herr Weber schon recht lange, es ist nicht antrainiert, muss angeboren sein!
Schewardnadse meint
Mir sind Regierungsräte, die ihre schwierige Arbeit mit Engagement und Freude machen, alleweil lieber, als Pisserkommentare ohne weiteren Inhalt.
M.M. meint
Sie haben offensichtlich keine Ahnung, welchen Einfluss die nonverbale Kommunikation hat. Herr Weber hat ein Mimik-Problem. Sage ich Ihnen als Profi.
Trashbarg meint
Also ich finde, ganz so schlimm wie bei Mörgeli ist das Mimikproblem bei Herr Weber nicht.
Schewardnadse meint
Ich hab’s auch noch gelesen und frage mich, ob Ihr es extra macht oder ob Ihrs nicht versteht? Die Frage der baz lautete: Können Sie sich erklären, weshalb in Ihrer Partei trotz allen Warnungen vor allem viele Mitglieder ohne ein politisches Mandat für die Ecopop-Initiative eintren? Webers Antwort: „Die Ja-Voten gingen in die Richtung, dass bezüglich einer Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative nun greifbare Ergebnisse von den Bundesbehörden erwartet werden. Vielen wird noch zu wenig ersichtlich, wie die gesamtwirtschaftlichen Interessen durchgesetzt werden sollen und wie vor allem die kritisierte Zuwanderung zu den Sozialsystemen eingedämmt wird.“
Trashbarg meint
Es sind 9 Monate seit der MEI Abstimmung vergangen und jetzt sollte diese Initiative, in den Augen der Initianten, bereits umgesetzt sein. Es wird mit Durchsetzungsinitiative oder, wohl noch effektvoller, mit der Ecopop Initiative gedroht wenn die in Bern nicht endlich fürschi machen.
Das man selber (die Initianten) gar keine Ahnung haben wie genau MEI umgesetzt werden soll ist das eine. Was aber vollständig vergessen scheint ist die Tatsache, dass die Schweiz aus einem unterzeichneten Vertragswerk aussteigt und das es für die Findung und Umsetzung neuer Verträge oder Lösungen halt leider immer auch die Gegenpartei braucht, nämlich die EU.
G. Koller meint
Kann von einer Magistratsperson erwartet werden, dass sie sich von der falschen, weil tendenziös behaupteten „Kritik der Zuwanderung zu den Sozialsystemen“ distanziert und den Sachverhalt richtigstellt, weil sie die Zahlen ja auch kennen sollte?
Wenn sie es nicht tut, fehlt es entweder an Mut, – oder es ist politisches Kalkül mit dem Ergebnis, dass die eigene Klientel bedient und gleichzeitig der Druck auf den politischen Gegner aufrecht erhalten wird.
Nur: Zu den Ritualen der CH-Realpolitik gehört auch, im Vorfeld von Abstimmungen regelmässig den Teufel an die Wand zu malen, aber der katastrophale Schadensfall ist meines Wissens noch nie eingetreten, wie er hätte sollen. Das ist irgendwie beruhigend, der Lärm der Welt kann einfach nicht bis zu uns vordringen ….
„Kohorte der Geschieden“ – schöner Ausdruck, der an die „kriegerischen Momente“ der im Dschungel der Städte verbrachten Lebensabschnitte erinnern lässt.
Aber auch sonst ist die Auswanderung aufs Land eine prüfenswerte Option, ernsthaft.
M.M. meint
@Schewardnadse: Glauben Sie mir, ich hätte ihm die Antwort auch so geschrieben. Unverfänglich, interpretierbar. Ich meine, der Mann muss sich im Spagat üben.
Aber ich kann’s halt eben auch ganz anders interpretieren. Frei wie ich nun mal bin. Und deshalb fehlt mir der Nachsatz: „….was überhaupt nicht der Fall ist, wie die Zahlen zeigen.“
So läuft halt das politische Spiel.
Meury Christoph meint
«Die Sozialhilfequote ist seit Jahren stabil». Das ist keine frohe, aber durchaus gute Botschaft. Wir sollten also das Problem nicht bejammern, sondern Lösungen finden, welche mit dem Phänomen «Armut» umzugehen lernen, respektive die schleichende Armut auch mit tauglichen Mitteln bekämpfen. Sozialhilfeempfängerinnen als Wahlkampfthemen zu instrumentalisieren ist verwerflich. Das wird auch RR Weber (SVP, BL) nicht helfen Sympathiepunkte zu sammeln.
Städter meint
…Letztgenanntes ist auch fair, die Rosinenpickerei von BL diesbezüglich geht wohl dem langsamen Ende entgegen. Die Stadt hat mittlerweile ganz gute Karten, wenngleich nicht in allen Quartieren.