Ich weiss nicht, ob es Verachtung ist. Oder Gleichgültigkeit. Oder halt in Anlehnung an die Brechtsche Einsicht „Zuerst kommt das Fressen und dann der Journalismus“, dass die Tamedia-Granden ausgerechnet den Chef des Sports zum Nachfolger von Markus Somm gemacht haben.
Vielleicht ist es aber eine Ernennung aus Verzweiflung, weil gar niemand von Format mehr da ist, dem man die Zürcher Aussenstelle als Filialleiter hat überlassen können.
Ich meine – Chefredaktor ist schon ein etwas hoch gegriffener Titel für die Aufgabe eines Lokalchefs.
Mir ist nicht ganz klar, welche Zielgruppe man mit dieser Besetzung erreichen will. Schliesslich kennt den Mann ausserhalb des Joggeli kaum jemand.
Wer nach sechs Jahren Somm jetzt noch Abonnent der BaZ ist, findet den Kurs gut oder die Todesanzeigen oder hat sie aus Gewohnheit.
Letztere sterben weg und erstere werden frustiert sein.
Also sind wir gespannt, welche Resultate das mediale Petrischalenexperiment von Tamedia liefern wird: Ist es tatsächlich so, dass wenn man Somm durch Rohr ersetzt es zu einer wundersamen Vermehrung der Abonnenten kommt?
Bis wir das wissen, freue ich mich auf die lokalpolitischen Kommentare des neuen Chefs. Wenn er seinen bisherigen Schreibstil weiterpflegt:
Wie gewohnt agierte Kämpfer im Landrat rechts hinten. Sein Gegenpart auf der anderen Seite, Adil Koller, musste bereits nach einer halben Stunde verletzt aus dem Saal. Der Dreitagebärtler erlitt nach einem verbalen Foul von Christoph Buser einen schmerzhaften Hörsturz. Während Koller später am Kaffeautomaten vorbeischlich, sagte Buser: «Wir sind sicher besser, als es das Abstimmungsergebnis vermuten lässt“.
Ruf Urs meint
Mein Grossvater hatte schon die Nationalzeitung mit Morgen- und Abendblatt abonniert. Mein Vater ebenso. Da bin ich wohl der letzte Dinosaurier der die BaZ noch abonniert hat. Aber was soll ich machen. Die bz als Zeitung ist mir nicht sympathisch. Die NZZ und der Tagi ebenso. Da werd ich wohl in den letzten Tagen vor meinem Ableben nur noch mit dem Allschwiler Wochenblatt leben müssen.
Otto Müller meint
Ich glaube, das ging so. Die Zürrrccherrr sagten sich:
„Diä Bossler bestönd jaaa nur no us trüüü Sache: Fosnocht, Farma, FCBeee. Üübers erschti darfsch nöd brichte, üübers zweite chasch nüd brichte, s’dritte isch s’einzig, wo diä Bossler öppis z’brichte händ. Asssso, wie heissst de Sportchef? Lütt doch däm emal aa, ob er s’wett moche“.
Karl meint
Eine überraschende Entscheidung, für alle wohl. Aber wenn man es sich genau überlegt, dann ist die Lösung mit Rohr eigentlich konsequent. Der Sport, und hier vor allem der Fussball, und noch präziser: Der FCB, hat seine Relevanz im Ganzen, ganz gleich, wie die politische Stossrichtung der Zeitung auch immer sein möge. Neben dem FCB gibt es noch das Lokale, und noch etwas Kultur, die hier stattfindet. Aber ansonsten ist ja alles ausgelagert, bzw. zentralisiert in ZH. Alle Welt erwartet im Lokalen einen politischen Kurs. Ich glaube, es reicht, wenn der Journalismus gut ist, und die Themen wichtig für die Leserschaft. Dafür braucht es keinen Somm 2.0, aber auch keinen explizit deutlichen Lokalchef, der die Welt im eher linkeren Segment befriedigt. Politische Gazetten funktionieren nicht wirklich, sieht man auch an der Tageswoche. Man manövriert sich als Zeitung damit in eine Sackgasse, aus der man nicht mehr rauskommt.
Anonymus meint
Übergangslösung, bis strategische Entscheide in Zürich gefallen sind: wie machen wir aus einem Lokal-Teil eine Zeitung, die etwas Gewicht hat.