Der Rücktritt von Benedikt XVI hat alle überrascht. Dieser Satz ist Konsens.
Und auch das:
Aus den verschiedenen Kommentaren zum Rücktritt ist deutlich eine grosse Erleichterung über den Entscheid des Papstes herauszuhören.
So im Stil: Der Mann konnte einfach nicht Papst.
Den Vogel schiesst in dieser Hinsicht die Basler Zeitung ab mit dem Titel: Basler hat den Papst zum Rücktritt aufgefordert.
Das Blatt lässt einmal mehr Herrn Pfister zu Wort kommen, diesen notorischen Kirchennörgler, der bis zu seiner Pensionierung auf der Payroll der Römkathkirche stand, der in Basel als Kommunikationsbeauftragter der Kirche während Jahren die Antipapststimmung bewirtschaftete in der Hoffnung, die Kirchen zumindest halbwegs wieder zu füllen.
Er tat, was in vielen röm.-kath. Kirchengemeinden Zeitgeist ist: Institutionenbashing.
Was wir in den nächsten Wochen von allen möglichen WortmelderInnen lesen werden, ist „die Hoffnung“ , dass nun endlich ein Papst gewählt werde, „der die nötigen Reformen“ an die Hand nehmen werde.
Reformen? Was denn? Für was denn? Für wen denn?
Für den Zeitgeist?
Wir können davon ausgehen, dass der nächste Papst genau so konservativ sein wird, wie all seine Vorgänger zuvor.
Und das ist auch gut so.
Denn es ist gut, dass es in unserem Kulturkreis zumindest eine Institution gibt, die sich standhaft dem Zeitgeist verweigert.
Welchem auch immer.
Damit ist die katholische Kirche ein Ärgernis, eine Provokation.
In einer Zeit von #aufschrei ist eine Institution, die sich, innerkirchlich wohlbegründet, dem hierarchischen Aufstieg von Frauen verweigert, eine Provokation.
Eine Institution, die beharrlich an Glaubenssätzen festhält, die schon länger als ein Jahr gelten, ist ein Ärgernis.
Aber genau das schätze ich an der Weltkirche, dieses unendlich langsame Reformtempo: dieser ganz im Trend der Alternativen liegende Slow Change.
Die katholische Kirche ist ein europäisches Kulturgut erster Güte, dass es zu erhalten gilt.
Es gibt keine andere Institution in Europa, die auf eine 2000-jährige Geschichte ohne Unterbruch blicken kann. In diesen 2.000 Jahren hat die Kirche Mitteleuropa nicht nur architektonisch, sondern auch geistig geprägt. Diese Tatsache nötigt mir Respekt ab.
Habe ich vor sieben Jahren in einem Interview mit den katholischen Pressedienst der Schweiz im Zusammenhang mit der Röschenzer-Affäre gesagt.
Ich kann zu dem, was ich damals gesagt habe, noch immer stehen.
Wer sich heute in unseren Breitengraden der als Massstab für praktisch alles geltenden „Beliebigkeit“ verweigert, handelt im Grunde genommen avantgardistisch.
Das Problem bei der röm.-kath. Kirche sind die Katholiken, Gemeindemitglieder und Priester, die nicht mehr katholisch sein möchten sondern irgendwie „urchristlich“.
Und die nicht die Courage haben, aus der Kirche auszutreten.
Weil für sie schon längst das sich Reiben an der Institution und am Papst – an welchem auch immer – zum eigentlichen Glaubenszweck geworden ist.
PS: Ich muss wohl nicht unbedingt betonen, dass ich nicht katholisch bin und auch niemals war. Und dass ich auch sonst nicht gläubig bin.
Urs P. Haller meint
Deine Aussage „Es gibt keine andere Institution in Europa, die auf eine 2000-jährige Geschichte ohne Unterbruch blicken kann. In diesen 2.000 Jahren hat die Kirche Mitteleuropa nicht nur architektonisch, sondern auch geistig geprägt. Diese Tatsache nötigt mir Respekt ab.“ ist natürlich etwas plakativ und müsste schon noch hinterfragt werden. Unter welchen teils verabscheuungswürdigen Voraussetzungen konnte sich das Primat der Kirche überhaupt so lange halten? Unbestritten ist, dass die Kirche Kulturträger war und seit dem Hochmittelalter in Bildung und Fürsorge eine wichtige Rolle einnahm. Wurde das System Kirche aber bedroht, so etwa durch die Reformation, setzte ein Prozess ein, der mit Gewalt (Folge u.a. der Dreissigjährige Krieg), Repression, Zwangsmissionierung und ausgeklügelter Propaganda eine Rekatholisierung von an den Protestantismus verlorenen Gebieten vorantrieb. Mit dem Aufkommen der Aufklärung und den Idealen der napoleonischer Politik bildete sich ein neues, von sämtlichen kirchlichen Bindungen losgelöstes Verständnis von einem Staat und dessen Aufgaben heraus, was wiederum zu Kollisionen mit den Wertvorstellungen, die die Kirche an den Staat stellte, kam. Dieser Kulturkampf ist bis zum heutigen Tage nicht ganz verstummt. Es würde den Platz dieses Blog bei weitem sprengen, doch fände ich (auch nicht Katholik, der zudem in der Kirche mit ihren christlichen Dogmen eine grosse interpretatorische, historische und der reinen Machterhaltung dienende Fehlentwicklung sieht) es spannend, den Fokus einmal auf die ganzen historischen Umstände von Macht und Unterdrückung zu legen. Dass sich das System Kirche nach wie vor auf ihre Unfehlbarkeit beruft und demzufolge – eigentlich fast konsequenterweise – nicht zu ihren historischen Verfehlungen stehen kann, das ist zwar schwer nachvollziehbar, aber irgendwie verständlich. Insofern sind die oft gehörten Rufe nach einer Rückkehr zum einem Proto-Christentum nachvollziehbar.
PS Die 2000-jährige Geschichte – das gerät oft in Vergessenheit – wird noch überboten von der rund 3000-jährigen Geschichte der Mutterreligion des Christentums. Doch diese hat bis heute nie einen Macht- und Herrschaftsanspruch geltend gemacht, im Gegenteil, es ist eine 3000-jährige Geschichte von Exil und Verfolgung. Aber das Judentum hat bislang alle Staaten, alle Repressionen, alle Versuche, es auszurotten, überstanden. Das ist DIE Tatsache, die mir persönlich ganz gehörigen Respekt abnötigt.
U. Haller meint
Das aber kann die Kirche für sich nicht in Anspruch nehmen:
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Beat Hermann meint
Vielleicht braucht es einen, der die Herde im Auge behält und nicht dauernd das verlorene Schaf retten will. Einen, der den Vatikan und seine Institutionen ausmistet, damit die Herde sich wieder in Freiheit und Verantwortung entwickeln kann.
Haguhans meint
Freu mich jetzt schon auf den Nachfolger. Laut wird der Jubel wohl sein, wenn es ein Schwarzer wird, so laut, dass er sich den Friedensnobelpreis gleich auf Vorschuss wird umhängen können. Noch dröhnender aber dann das Stillschweigen, wenn man feststellen muss, dass der Neue punkto Zölibat, weibliche Priester, Verhütung und Homosexualität womöglich noch konservativer eingestellt ist als seine Vorgänger miteinander. Wird spannend…