In Frankreich – und nicht nur dort – ist wegen den Grossspenden der Superreichen für den Wiederaufbau von Notre-Dame eine heftige Kontroverse im Gang.
Das Beispiel zeige, meinte ein Vertreter der Gilets Jaune, dass genug Geld vorhanden sei, wenn es brennt. Allerdings nicht um die sozialen Brandherde in den Banlieues zu löschen.
Dass die Besitzer der Luxusgüterindustrie das Portemonnaie für Notre-Dame locker machen, ist keine Überraschung. Gehört es doch schon seit Jahren zur Marketingstrategie der grossen Labels, ihre Produkte mit historischen Bauten und geschichtsträchtigen Denkmälern aufzupeppen.
Fendi hat in Rom die Restaurationsarbeiten für den Trevibrunnen gesponsert, um dann ebendort ihre völlig überteuerte Ware der Menschheit zu präsentieren.
Eine echte Win-win-Strategie. Für den Konzern.
Nun ist es mir persönlich ziemlich egal, dass die Superreichen für den Wiederaufbau der Kathedrale ein paar hundert Millionen Euros locker machen.
Weder bin ich beeindruckt, noch rege ich mich darüber auf.
Mich interessiert lediglich zu verstehen, was hier eigentlich vor sich geht.
Und dabei können wir zunächst einmal festhalten, dass es unglaubliche Mengen an in Buchhaltungen gebunkertem Geld gibt. Das weiter dort läge, wäre dieses Feuer nicht ausgebrochen.
Und das vom Staat nicht abgeschöpft wird (aua, das ist jetzt aber ein schampar ein sozialistischer Gedanke).
Um da noch einen draufzusetzen: Diese Millionen sind im weltumspannenden Geflecht der internationalen Geldwirtschaft bei ein paar Banken in Form von Krediten schon vor Jahren in den Kreislauf gepumpt worden, dass heisst von diesen „geschöpft“ worden.
Diese Euros sind so virtuell wie Bitcoins.
Was bedeutet, dass die Millionen von allen bezahlt werden, die Teil der Geldwirtschaft sind, also beispielsweise nur ein Sparkonto besitzen.
Ich lese derzeit „Bereicherung: Eine Kritik der Ware“, geschrieben von den beiden französischen Soziologen Luc Boltanski und Arnaud Esquerre.
Ihre These, die das Engagement der Luxuslabel-Besitzer für Notre-Dame treffend erklärt: Die Reichen bereichern sich nicht mehr an den Armen sondern beuten die Kulturgeschichte eine Landes (Beispiel Frankreich) aus.
Weingüter, Schlösser, alte Häuser in den Zentren, Kulturdenkmäler, kurz alles was mit kulturellen und historischen Erzählungen angereichert ist, wird zur Wertsteigerung von Waren genutzt.
Die im Grunde genommen niemand wirklich braucht.
„Nationale Traditionen dienen nicht mehr zur politischen Stabilisierung von Staaten, sondern zur Positionierung von Produktklassen.“
Pauschalreisen und Billigflüge sind effektivere soziale Stabilisatoren als Prämienverbilligungen für Krankenkassen. (Wenn die Freitagsprotestierer sagen, sie können auf Billigflüge verzichten, dann ist das eine Kampfansage der privilegierten Kulturklasse an die Bezüger von Prämienverbilligungen.)
Man überlässt denen, die aussen vor sind, Venedig. Zum Shoppen reist, wer Geld hat nach Florenz.
Marc Schinzel meint
Es mag ja viel sein wie beschrieben. Nur: Das Bild ist unvollständig. Notre-Dame ist eine Touristenattraktion. Und auch ein Objekt zur Vermarktung von Luxusprodukten. Die Kathedrale ist aber viel, viel mehr. Sie ist im Herz unzähliger Menschen in Frankreich und in der Welt – genau so! Der Brand, er traf viele von uns persönlich und tief. Auch mich. Soll Notre-Dame vermarkten, wer will. Das ist Teil unserer Gesellschaft, weder gut noch schlecht. Vermarktung gab es schon immer, man denke an das Mittelalter mit den Tingel-Tangel-Märkten in und um die Kathedrale (von Victor Hugo schön geschildert). In Asien sind buddhistische und hinduistische Tempelanlagen ganz selbstverständlich lebendige Freizeittreffpunkte und quirlige Marktplätze, nicht zum Schaden der Orte. Für mich sind sie gut, die Spenden der reichen französischen Unternehmer. Sie lösen nicht nur den Wiederaufbau von Notre-Dame aus, sondern ganz viel mehr im Hexagon. Was mindestens so viel zählt, sind die unzähligen Beiträge von 5, 10, 20, 50 und 100 Euro, die Französinnen und Franzosen in St.Louis, Strasbourg, Biarritz, Quimper, Rouen, Le Lavandou, Nantes, Lille oder Saint-Denis erbracht haben. Die Kathedrale und das Land leben mit ihnen. So wie die Dresdner Frauenkirche, der Wiener Stefansdom oder die im Krieg vollständig zerstörte Residenz der Wittelsbacher in München, aufgebaut und wiederhergestellt mit unzähligen grossen und kleinen Spenden. Ohne Idealismus, wie wenig er auch immer vermag, wäre die Welt nicht so schön, wie sie ist. Ein Van Gogh wäre bloss ein Haufen farbiger Punkte.
U. Haller meint
Das ist ja gut und recht, lieber Marc Schinzel, doch als ich vor wenigen Jahren vor dieser Kirche stand und die zwei allegorischen Figuren Ecclesia und Synagoga betrachtete, die als Ausdruck der Substitutionstheologie das mittelalterliche Verständnis des Verhältnisses von Christentum und Judentum, das von starkem Überlegenheitsgefühl der christlichen Kirche gegenüber dem Judentum geprägt war, sehr eindrücklich aufzeigt, da wurde mir wieder einmal die blutige Geschichte bewusst, die mit wenigen Ausnahmen in der ganzen Berichterstattung der letzten Tage zumeist ausgeblendet wurde. Dass die Kirche noch heute zum Teil von diesem Ungeist zersetzt ist – Beispiele hierfür gibt es zuhauf – , brauche ich wohl nicht näher zu erläutern. Meine Betroffenheit über den Brand hielt sich in Grenzen.
Marc Schinzel meint
@Haller: Natürlich haben Sie auch recht. Nur: Brauchen Menschen diese – bzw. irgendeine – Kirche, um grausam, überheblich und arrogant zu sein? Sie würden doch immer einen Aufhänger finden, um sich so zu verhalten, wie sie es wollen. Notre-Dame ist für mich Teil des Paris, in dem ich immer wieder gern gewesen bin. Notre-Dame als wehrhafter Hort des dünkelhaften, unfehlbaren Glaubens hat doch längst ausgedient, wenn sie vom Volk überhaupt je so empfunden wurde, was ich bezweifle. Vor, an und in der Kathedrale spielte sich auch die Revolution ab. Und die Bouquinistes verkaufen dort ihre mehr oder weniger alten Bücher und Postkarten, im August fotografiert von Japanern und Chinesen. Doch gibt es auch den November … Szenewechsel: Wenn ich mich an einem Abend in Wien, nachdem ich an den beperückten Mozarts vorbeigegangen bin, die sich mit Marzipan-Kugeln und Werbung für Touristen-Konzerte etwas Taschengeld verdienen, in eine Bank im Stephansdom setze und den Leuten zusehe, die in den Seitenkapellen Kerzen anzünden, und wenn dann noch die schweren Glocken einsetzen, so berührt mich das. Dann geht es nicht um Lehren, Rechthaberei, Macht. Mehr um Verbindendes, das weit vor meiner Zeit begann und das plötzlich wieder auftaucht, wenn ich längst nicht mehr im Dom bin, sondern zu vorgerückter Stunde im Bahnhof Olten angefressen auf einen Zug warte, der nicht kommen will. Die besten Gedanken kommen einem doch eh auf den Perrons, wenn man die muffig-sterilen, gläsernen Warteverliese meidet …
L. Stüssi meint
@Haller Der letzte Satz Ihres Beitrags ist degoutant. Antisemiten sind übrigens ebenso verabscheuenswert wie notorische Antikatholiken.
Markus Schöpfer meint
Ja, aber ich verstehe nicht, wie Kulturgeschichte ausgebeutet werden kann. Die reiche Kulturgeschichte Frankreichs wir höchstens dazu genutzt, um Luxuswaren zu vermarkten. Wir nutzen das Matterhorn, um Schokolade zu verkaufen, in der ganzen Welt. Würde der Gipfel des Matterhorn aufgrund eines Erdbebens abbrechen, würde man je nach Grösse des Schadens auch versuchen, den Gipfel wieder zu restituieren. Wenn es dann noch von der Schokoladenindustrie bezahlt würde, wäre das doch eine winwin Situation, und genau so kann man das in Frankreich auch sehen. Ich glaube aber dass der Schock, der durch das Grossfeuer erzeugt wurde, parallel dazu auch wirkte, und ein paar Milliardäre dazu bewogen hat, einmal aus dem Bauch raus eine Entscheidung zu treffen, eine ganz normale menschliche Entscheidung. Die Franzosen und vor allem die konservativen Franzosen sind sehr emotionale Menschen.
M.M. meint
Das Matterhorn ist insofern ein gutes Beispiel, weil ein paar Zermatter Familien seit Beginn des Tourismus die Vermarktung des Bergs im Griff haben. Das ist weder gut noch schlecht.
Doch zum Beispiel Kunst: mit ihr wurde ein in sich geschlossener Geldkreislauf geschaffen, zum exklusiven Kreis dieser „Bereicherungsökonomie“ (Boltanski) gehören ein paar tausend Sammler rund um den Globus.
Es geht in erster Linie um eine alternative Geldanlage – nebst Aktien, Immobilien und Direktinvestitionen – und in zweiter um Kunst.
Im Kunsthandel geht es nicht mehr um die Produktion von neuen Objekten, „sondern vor allem um die Aufwertung bereits vorhandener Objekte“. (Siehe heute NZZ am Sonntag über die Probleme der Basler Galeristen gerade wegen der ART. Und: Basel hat zuwenig Banker mit hohen Boni, weshalb die Galerien Probleme haben.)
Bei Beyeler stehen die Sammler Schlange, um ihre Sammlungen öffentlich zugänglich machen zu können, weil sie dann Steuern sparen können.
Man kann als Sammler seine Bilder auch während Jahren kostengünstig – sprich umsonst – sicher und umsorgt im öffentlich finanzierten Kunstmuseum deponieren und wenn dann der Preis dank der exklusiven Spekulationsclubs astronomische Höhen erreicht hat, sie abhängen und in die Golfstaaten verkaufen. Das ist weder gut noch schlecht sondern schlicht die Logik des Kunsthandels.
Wer irgendwann mehr Kunstwerke besitzt als Wände, baut ein Museum oder ein Schaulager. Das ist weder gut noch schlecht.
Wer viel Geld hat, stiftet ein Kunstmuseum und die Öffentlichkeit – wir – übernehmen die Folgekosten. Klar ist das toll und zum anderen eben auch schlecht, wie man am Beispiel des Kunstmuseums sieht.
Oder man kauft hunderte Quadratkilometer Dschungel im Amazonas (verdient mit hochpreisiger Medizinaltechnik) und ödes Land in Patagonien (verdient mit Fleece-Jacken für Outdoorfreunde). Das ist weder gut noch schlecht.
Was wir in Frankreich (Steuern, Einkommen), in Deutschland (Innenstadt-Mietpreise), Italien (rechtsextreme Wähler), UK (Brexit) erleben, sind verzweifelte Proteste derjenigen, die am Rand dieser Entwicklung leben und keine Chance auf eine Rückkehr ins „normale Leben“ haben.
Ich würde Ihnen empfehlen, das Buch zu lesen. Es regt zum Denken und auch zum Widerspruch an. Weil man es so oder auch andersrum sehen kann.
Und das ist doch gut.
Markus Schöpfer meint
Ja, danke. Gelbwesten und Firmenbesitzer haben natürlich eine ganz andere Sicht der Dinge. Nichtsdestotrotz gibt es viele Gewinner der New Economy oder der Globalisierung, die wieder etwas zurückgeben wollen. Ein guter Artikel dazu in der NZZ am Sonntag endet mit dem Rat, das einfach so stehen zu lassen ohne dass man gleich vermutet, dass diese daraus wieder einen Profit erzielen wollen. Sollen den Firmenbesitzer wie Hansjörg Wyss einfach alle guten Projekte fallen lassen, nur weil man auf den Gedanken kommen kann, dass das man das aus reinem Eigennutz tut?
Wem nutzen die Sehenswürdigkeiten in Paris? Arme Familien aus den Banlieus werden wohl kaum immer nur mit Begeisterung an sie denken, zumal sie kaum von den Millionen Touristen profitieren, die jedes Jahr Paris besuchen. Das ist aber ein anderes Problem, welches Macron hoffentlich mit der Beantwortung der Fragen anlässlich der nationalen Konsultation nächste Woche relativieren und später einmal verbessern kann. Die Sozialen Probleme Frankreichs werden aber nicht von heute auf morgen gelöst werden können. Leider muss Frankreich sein Militärbudget weiterhin hoch halten, dass die Rechnung am Ende einfach nie aufgehen kann. In Deutschland ist man von Seiten der Militärausgaben bis jetzt weit weniger belastet.
Ja, man kann auch den Kunstmarkt so oder so ansehen. Es gibt jedoch überall auf der Welt viele lokal bekannte Künstler, die ihre Werke an Freund und bekannt verkaufen, und davon leben können. Kunst ist auch Identität und Geschichte. Bilder und Statuen werden seit Jahrhunderten von Künstlern aus Überzeugung geschaffen, und einige von diesen Künstlern wurden und werden sehr bekannt. Die heutige Konsumgesellschaft heizt den gesamten Konsum von Waren an. Dinge mit zeitlosem Wert sind deshalb besonders gesucht. Und wenn man es sich leisten kann, wird man genau diese vom Gefühl her zeitlosen Kunstgegenstände erwerben, wenn einem diese gefallen. Das liegt einfach in der Natur des Menschen. Bei den derzeit überbordenden Vermögen, die viel Reiche ansammeln konnten, werden die Kunstgegenstände oft auch mit der Portokasse begleichen, zumal sie ja eine vermeintlich sichere Investition darstellen.
Tatsächlich gibt es wachsende Armut, nicht nur in ganz Europa, sondern auch in der Schweiz. Die Antwort auf die immer grösser werdenden Schäre muss die Politik geben, aber ich glaube, sie liegt nicht einzig und alleine am Reichtum weniger. Diese kommen oft mit einem grossen Anteil am Steuer Substrat für einen grossen Anteil an den Ausgaben des Staates auf. Die Steuerhinterziehung aber ist sicherlich eines der grossen Übel unserer Zeit, und diese muss weiter bekämpft werden. Es gibt aber leider keine Zauberformel, die alles Probleme lösen kann, und die auf jedes Land anwendbar ist.