Es ist verführerisch.
Es ist verführerisch, was sich da in Deutschland gerade politisch abspielt.
Sympatische Menschen stehen an den Mikrofonen und reden davon, wie sich drei Parteien unterschiedlichster Ausrichtung gefunden haben, Deutschland mit „Zukunftsinvestitionen“ zu erneuern.
Komplett erneuern, ergänzt man spontan beim Zuhören.
Von einer „neuen politischen Kultur“ ist die Rede.
Die drei Parteien treten an als „Fortschrittskoalition“, die „neue politische Phantasie erzeugt“.
Und so weiter und so fort.
Ich meine, man sitzt da vor dem Tablet und hört sich an, was die Männer und Frauen in die Mikrofone sagen.
Und wird ein stückweit mitgerissen. Mit zaghafter Begeisterung, weil man sich nicht so richtig traut, zu jubeln.
Was folgerichtig in den Gedanken mündet: „Was, wenn die das tatsächlich ernst meinen, das mit dem Zukunftsprojekt und was, wenn denen der grosse Sprung nach vorn tatsächlich gelingt?“
Wenigstens dieses eine Mal.
Und man denkt: Läck, wenn doch mal ein paar Politiker bei uns solch starke Sätze formulierten, gerade heraus und frei gesprochen.
Ohne einen einzigen Verzögerungslaut dazwischen.
Wäre ich nicht dreissig Jahre zu alt, weiss, Mann und Hetero, meiner aufrichtigen Begeisterung wäre diesen adrett gekleideten Männer und Frauen vor den Mikrofonen gewiss.
Aber eben.
Desillusioniert aus langer Erfahrung, weiss ich, Politik funktioniert nicht so, wie über sie vor diesen Mikrofonen geredet wird.
Schon gar nicht mehr heute.
Das wirkliche Sagen haben heutzutage gutorganisierte, lautstarke Minderheiten, die sich den politischen Luxus leisten, sich auf eine einzelne Frage zu fokussieren.
Um damit alles andere auszublenden, ohne auch nur den geringsten Fliegenschiess an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Die Aufbruchstimmung wird zerbröseln. Keine Frage.
Weil die lautstarken Minderheiten sich innerhalb und vor allem aber auch ausserhalb der drei Parteien formieren, um fortwährend festzustellen: Was ihr da macht ist viel zuwenig und zu langsam.
Und überhaupt.
In den Chor stimmen wir üblich noch jede Menge Experten ein.
Und alt-Politiker.
Und Journalisten.
Und ………… (selbst einfügen).
Es ist halt so, wie es ist.
Politik ist ein chaotisches System, wo man als Überlebensstrategie hartnäckig leugnen muss, es handle sich um ein chaotisches System.
Und die einzige Konstante in diesem Chaos ist die Veränderung, von der man nicht weiss, wann sie kommt, wie sie aussieht und wohin sie führt.
Weshalb man so tun muss, als gäbe es eine klar formulierte Absicht, eine Richtung, ein Programm.
Deshalb ist Politik auf den Punkt gebracht, wenn einer am Mikrofon von „neue politische Phantasien erzeugen“ redet.
Rampass meint
„viel zuwenig und zu langsam“ – Wer das verlangt, der wünscht sich die Zeiten des WK2 zurück, als Energie knapp und teuer war. Wie die Vorfahren erzählten, lag damals kein Ast im Wald rum. Alles wurde eingesammelt, um Energie für Kochen und Heizen zu erhalten.
Bevor die „Fortschrittskoalition“ das Klimaministerium (mit Veto-Recht) etabliert, muss sie das Wahrheitsministerium schaffen. Gab es alles schon einmal, die Geschichte wiederholt sich.