In den nächsten Jahren verabschieden sich Hunderttausende von Babyboomern aus der Wirtschaft (und viele aus der Politik). Den Industriestaaten steht ein Aderlass bevor, wie er sonst nur nach Kriegen und Seuchen zu beobachten war. Mein Bekanntenkreis besteht vor allem aus Führungskräften, aus Selbstständigen, Unternehmern, kurz aus Leuten, die in den letzten 30 Jahren in führender Position den Karren gezogen haben.
Einige träumen von einem Beratermandat, andere von einem Verwaltungsratssitz oder wollen etwas mit Politik machen, genährt aus der Angst, frühmorgens mit der Gattin am Küchentisch bei Kaffee und raschelnder Zeitung die grosse Leere zu durchleben. Das sind die Bekannten, die auch nach der Pensionierung, wenn sie mal für eine oder zwei Wochen wegfahren, aus Gewohnheit von «Ferien» reden.
Es gibt da jedoch noch eine andere Gruppe, die stark wächst: die der Altersaussteiger. Wer das entsprechende Alter hat, erinnert sich an den Begriff «Aussteiger» – damit wurden in den 1970er-Jahren jene bezeichnet, welche Wirtschaft und Gesellschaft den Rücken kehrten, um sich fortan etwas «Alternativem» zu widmen. Die Aussteiger sind eine Bedrohung fürs System, glaubte damals das Establishment.
Der Unterschied zu den sogenannten Alten von früher: Die Altersaussteiger sind vital wie keine Generation zuvor, sie leben gesund, sind sportlich aktiv und gebildet sowieso. Sie sind es gewohnt, über den morgigen Tag hinauszudenken, verfügen über eine reiche Lebenserfahrung, nutzen Computer, Tablet und Smartphone wie selbstverständlich, kurz: Sie verfügen über die notwendigen Ressourcen, um sich noch einen anderen Lebensentwurf zu denken als den des Rentners auf Kreuzfahrt.
Es sind die, welche sich intensiv um die Enkel kümmern, aber nicht jede Woche immer am Dienstag und Freitag, damit die Kinder ihre Berufswünsche verfolgen können. Sie tun das nicht, weil die neue Freiheit vor allem Oberhoheit über den Rest der eigenen Lebenszeit bedeutet. Diesen neuen Lebensabschnitt kann man unter das Motto «reduce it to the max» stellen.
Ich bin ein Vertreter dieser Gattung von „Alten“ und gestehe, dass ich nicht unter einem schlechten Gewissen leide, selbstbestimmt den Rest des Lebens zu gestalten.
Dass die Jungen unsere Renten angeblich bezahlen – na schön. Wir haben nicht nur die AHV-Renten unserer Grosseltern und Mütter finanziert, die nie einen Rappen eingezahlt hatten, wir haben bis 1986 bei jedem Stellenwechsel Millionen von Franken (Arbeitgeberanteil) in der jeweiligen Pensionskasse zurücklassen müssen, die den Guthaben der sesshaften Vätergeneration gutgeschrieben wurden.
Wir haben mit unseren Steuern die Infrastruktur finanziert – Schulhäuser, Strassen, Schwimmbäder, Velowege, Kabelnetze, Kläranlagen und so weiter – auf denen die nachfolgende Generation weiter aufbauen kann. Ja, und die Umwelt ist auch besser, als wir sie von unseren Eltern übernommen haben.
Jetzt treten wir nicht einfach ab. Wir werden mit unserer Erfahrung, politischen Macht, mit unserem Einfluss, unserem Spass am Leben, den finanziellen Möglichkeiten, unserer Neugierde auf Neues und so weiter und so fort nochmals die Welt um uns herum verändern. Wie damals, 68. Es ist eine Altersrevolution im Gange, die noch gar nicht ins öffentliche Bewusstsein gedrungen ist.
Wir befinden uns in einer gesellschaftlichen Umwälzung, die kein Vorbild hat.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 1. April 2015
Alice meint
Ich könnte jetzt auch noch anfügen, dass ich keine 2. Säule habe. Bevor ich mich selbständig machte, ging auch bei mir und meinen (doch häufigen) Stellenwechseln jede Menge Geld drauf (ich verlor jedes Mal den Arbeitgeberanteil). Als ich dann selbständig erwerbend war, wollte ich keine 2.Säule, weil ich bei meinen Angestellten miterlebte, wie v.a. Teilzeitmitarbeiterinnen von ihrem sonst schon wenigen Gehalt relativ viel einbezahlen mussten (inkl. jedes Jahr diese bescheuerte, absolut überhöhte „Bearbeitungsgebühr“) und wie wenig sie dann im Alter bekommen (die meisten kapieren nämlich nicht, dass wir mit der 2. Säule auch noch jede Menge Versicherungen aufgedrückt bekommen, die wir gar nicht wollen). Sprich: Ich könnte jetzt auch jammern, wie ungerecht das ganze System ist, nur bringt das nichts. Die von Werner Zumbrunn erwähnte Heiratsstrafe macht mich sackhässig, weil Herr Ehemann und ich ganz schön was in die AHV einbezahlen, und zwar beide schon ein rechtes Stück Arbeitsleben lang, und dann gemeinsam 1,5 Renten erhalten. Auch das etwas, worüber man jammern könnte. Bringt aber grad noch einmal nichts.
Ich gehe mit Herrn Zumbrunn einig, dass jede Generation sich von der Vorgängergeneration Vor- und Nachteile einhandelt. (Meine Grosseltern hatten 15 Kinder, die der Grossvater mit seinem Gehalt als Bergwerkarbeiter „durchschtrupfen“ musste.) Was ich mir ziemlich sicher bin: Meine Generation ist die Generation, die den Höhepunkt erlebt hat. Im Gegensatz zu meinen Grosseltern und Eltern hatten wir es total leicht. Für die Generationen danach könnte es wieder schwieriger werden. Aber hey, ihr habt uns alten Säcke an eurer Seite. Und wenn ihr uns nicht aufs Altenteil zu den volkstümlichen Schlagern und den Puurazmorga abschiebt, können wir eine ganze Menge erreichen.
Ein PS noch: Ich sass vor vielen Jahren in einer Informationsveranstaltung von Pensionskassenvertretern, die uns Arbeitgebern erklärten, wie das nun läuft, nachdem die Mindestlohngrenze für die Aufnahme in die 2. Säule gesenkt worden war. Einer von ihnen sagte frank und frei, dass das nicht funktionieren würde. Viel Aufwand, viel Einzahlen, wenig Ertrag. Und sollte die Wirtschaftslage je abkühlen, seine wir am Allerwertesten.
Werner Zumbrunn meint
Das Freizügigkeitsgesetz, welches die „goldenen Fesseln“ sprengte, stammt nicht aus dem Jahr 1986, sondern aus dem Jahr 1993. Ich gehöre auch zu jenen, welche diese goldenen Fesseln mehrmals sprengten und deshalb mit staatlichem Segen um einen grossen Teil des PK-Alterskapitals gebracht wurde. Nicht erwähnt hat Herr Messmer noch die verfassungswidrige Heiratsstrafe, unter der wir „Alten“ seit mehr als 30 Jahren leiden (selber schuld). Trotzdem: Unsere Jungen haben mit Widrigkeiten zu kämpfen, die wir nicht kannten. Deshalb: Jede Generation ist mit neuen Herausforderungen konfrontiert und handelt sich von der Vorgängergeneration Vor- und Nachteile ein.
Alice meint
Irgendwie hat da jemand irgendwas falsch verstanden. Genau so wünsche ich mir das Alter. Wer glaubt zu wissen, wie diese Revolution aussieht, hat grad noch einmal etwas nicht verstanden. Für mich wird sie kompromissloser, weil ich unabhängig bin. Ich wünsche mir – wie damals als Zwanzigjährige – eine andere Welt. Und weil ich ich niemandem mehr beweisen muss, was ich kann und wer ich bin, kann ich all meine Energie in diese Vorstellung einer anderen Welt legen. Vielleicht werden M.M. und ich nicht Seite an Seite marschieren in dieser Revolution (ich wäre auch für Sitzstreiks vor grellschimmernden Bankhochhäusern zu haben), aber es wird einen Höllenspass machen, mit ihm die Klinge zu kreuzen, Gemeinsamkeiten zu finden und sich über den Rest wortstark uneinig zu sein. Himmel! Seid froh, dass wir uns nicht ins Wohnzimmer vor ein TV-Gerät verkriechen, uns die Neuversion des „Stadels“ angucken und in der Lokalzeitung Leserbriefe unter dem Pseudonym „eine senkrechte Eidgenossin“ veröffentlichen, sondern uns lustvoll und selbstsicher ins Geschehen stürzen.
Grummel meint
«Macht kaputt, was euch kaputt macht». Die 68’er sind jetzt 68 und finishen ihren Lebenstraum: Von der Kleptokratie zur Gerontokratur.
Fehlt nur noch «Che» Wüthrich-Alioeolio an der Wand. Na Bravo!
Gott behüte.
h.s. meint
Wenn jemand M.M. und seine Revolution folgen möchte, dann sind Susanna Leutenegger und Claude Janiak die ideale Kandidaten für die neue Revolution. Regula Meschberger ist bereits ein Grünschnabel. Die durch diese „Alte“ bezahlte infrastruktur durfen wir „Junge“ nochmals bezahlen. Einerseits mit hohe Krankenkassenprämien mit darin enthalten 10% Infrastrukturkosten, oder Netzgebühren Stromrechnungen, Wasser und Abwasser mit bis zu Zweidrittel Infrastrukturbeitrag. Andererseits in dem wir die Schulen, Eisenbahnen und Strassen die ihr uns hinterlässt mit immer neue Steuern und Abgaben in Stand stellen dürfen. Und wo Ihr in 68 euer erste Revolution machte, war der Staat so Gut wie Schuldenfrei. Es gab auch keine Preiserhöhungen für staatliche Leistungen um die Löcher in die Pensionskasse zu schliessen. Und die durch euch grosszügig aufgebaute Schulden um euer schone Welt zu bauen dürfen die Junge zurück bezahlen. Also, echt Klasse.
Aber in eine Sache bin ich einverstanden. Die Rentner werden nochmals alles aktivieren um noch einmal richtig ab zu sahnen. Nach gute alte 68-er Masche. Après moi le deluge. Warum aber M.M. dann SLO kritisiert die genau das gleiche möchte ist ein Rätsel.
p.s. Die 68-er hatten immer ihre Mühe mit die „Kriegsgeneration“ die mit eigentlich die gleiche Argumenten Sonderrechte einforderte. Es gibt keine Ausnahmegeneration. Wir sind in einander greifende Zahnräder. Den Vermögen der Schweiz wäre ohne Einkommen innert kürze konsumiert. Die Sanierung der AHV ist genau wie die der Pensionskasse nur ein Beitragserhöhung der Junge. Die 68-er wollen keine Revolution mehr. Sie wollen ihren Stand halten, ungeachtet die folgen für die anderen. Zeitungsleser sind für solche Artikel genau die richtige Gruppe. Zustimmung allerorts.