Das Baselbiet schafft es immer wieder aufs Neue, den Karren noch tiefer in den Morast zu fahren. Zum Beispiel letzten Sonntag mit den beiden Schulvorlagen. Während eine Mehrheit der Stimmbürger für die Einführung des Lehrplans 21 votierte, lehnte ebenfalls eine Mehrheit die damit vorgesehenen Sammelfächer ab.
Wobei es eine Frage der Interpretation ist, ob nur alle, welche sich bei der Abstimmung unter dem Titel «Einführung Lehrplan 21» Nein geschrieben haben und damit Ja sagten zur grossen Schulreform, das tatsächlich so gemeint hatten. Denn im Kleingedruckten ging es schliesslich nicht um den Lehrplan 21, sondern um eine Kompetenzverlagerung vom Bildungsrat zum Landrat.
Auf alle Fälle hätten die Baselbieter den Bildungsrat entmachtet, so wie es Frau Gschwind wollte, dann wäre das jetzt eine klare Sache: Die Baselbieter könnten eine eigenbrötlerische Schulpolitik betreiben. Vermeintlich. Denn es gibt ja noch die Bundesverfassung. Dort droht mit dem Paragrafen 62 Absatz 4 die Bundeskeule: Sollten sich die Kantone nicht auf eine Harmonisierung des Schulwesens einigen, greift Bern ein.
Weil es die Landschäftler weiterhin einem politisch unabhängigen Fachgremium überlassen wollen, über «die Stufenlehrpläne und die Stundentafeln der einzelnen Schularten und die obligatorischen Lehrmittel der Volksschule» zu beschliessen, kann dieses das Votum der Stimmbürger freundlich zur Kenntnis nehmen. Niemand kann den Bildungsrat jedoch daran hindern, das zu tun, was ihm richtig erscheint.
Weil es sich nicht um eine Kommission handelt, die in dieser Sache Anträge stellt, sondern um eine Vollzugsbehörde, die abschliessend entscheidet.
In einer eher ungemütlichen Lage befindet sich seit Sonntag Frau Gschwind als Präsidentin dieser unabhängigen Vollzugsbehörde. Sie steht jetzt einem Gremium vor, das sie eben noch abschaffen und durch ein Beratergremium ersetzen wollte.
Und das in wesentlichen Punkten andere Ziele verfolgt als die Bildungsdirektorin.
Denn der von tagespolitischen Erregtheiten befreite Bildungsrat liess vor der Abstimmung keine Zweifel über seine Absicht aufkommen, nämlich «die Beschlüsse des Volks zur Harmonisierung im Bildungswesen von 2010 nun umzusetzen». Während also Frau Bildungsdirektorin weiterhin ihren Marschhalt propagiert, zieht die Bildungsratskarawane weiter. Deshalb stellt sich die Frage, ob Frau Gschwind sich nicht aus dem Gremium zurückziehen sollte.
Auch aus Gründen der Corporate Governance.
Wie auch immer: Im Kanton Baselland werden – so wie im Kanton Basel-Stadt und anderen Kantonen – die Sammelfächer eingeführt, weil Geografie eben auch etwas mit Geschichte und Wirtschaft zu tun hat. Dabei wird man sich höchstens um eine resultatkonforme Optik bemühen. Indem man den belasteten Begriff «Sammelfächer» durch «Fächerübergreifenden Unterricht» ersetzt. Mehr liegt nicht drin, weil der Landkanton nicht über die finanziellen Mittel verfügt, selbst in die Ausbildung der Lehrer nach Baselbieter Modell und in eigene Lehrmittel zu investieren.
Bleibt noch der grosse Verlierer des Sonntags, Landrat und Mathematiklehrer Jürg Wiedemann. Der don-quijotische Einzelkämpfer hat für sein Anrennen gegen den Lehrplan 21 nicht nur seine eigene Partei gegründet, sondern gebietet mit «Starke Schule» über eine Lehrplan-Auns.
Er scheint sein Frustrationspotenzial noch nicht ausgeschöpft zu haben.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 8. Juni 2016
liberopoulos meint
Besten Dank MM für ihren Artikel, das war auch meine Interpretation nach dem Wahlsonntag. Sprich, der Bildungsrat entscheidet, und die Sammelfächer kommen dann früher oder später doch. Bauernfängerisch war ja beim Abstimmungstext auch das Adjektiv „kostentreibend“. Sehr wahrscheinlich wurde damit eher der Mehraufwand für ältere oder lustlose Lehrpersonen gemeint, die jetzt doch noch neue Lehrformen und Schulstunden konzipieren müssen.
Heiner Schäublin meint
Der «Bugs Bunny» der kantonalen Bildungspolitik ist eines. Aber wer mittlerweile die politische Agenda bestimmt, sieht man in Bubendorf. Dort wurde eine kosovarische Familie nicht eingebürgert, weil die Alarmanlage ihres Autos drei mal abging. Wir bewegen uns in Richtung Spiesser-Diktatur. Soll sich jeder selbst überlegen, wie lange die «direkte Demokratie» das alles noch verträgt (und was die Alternative dazu wäre).
Meury Christoph meint
Rumpelstilzchen & Schneewittchen werden uns nicht weiterbringen und ihre Interventionen werden das Schulchaos noch vergrössern. Aber wirklich fatal an der Sache ist, dass alte Männer und Frauen über das Bildungswesen der Zukunft entscheiden. Fatal ist, dass Menschen über die künftige Bildungspolitik abstimmen, welche mit dem autoritären Frontalunterricht gross geworden sind und interdisziplinäres und prozessbezogenes Denken und Lernen als neumodischen Schnickschnack ins Pfefferland wünschen. Fatal ist, dass die direktbetroffenen SchülerInnen & StudentInnen gar nichts zur aktuellen und zukünftigen Bildungspolitik zu sagen haben.