Man muss die Frage stellen, inwieweit das britische Wahlergebnis für die anstehenden europapolitischen Diskussionen und Abstimmungen in der Schweiz von Bedeutung sein könnten.
Zumal die britische Brexit-Diskussion durchaus Parallelen zur schweizerischen EU-Kontroverse aufweist.
Einmal abgesehen vom recht eigenwilligen britischen Wahlsystem – in Prozenten haben die EU-Freundlichen deutlich gewonnen – hat Boris Johnson die Wahlen mit einem populistischen Mix aus Nationalismus und sozialen Goodies für die im Hinterland Londons Zurückgelassenen für sich entschieden.
In Zahlen: In den nächsten fünf Jahren will Johnson 100 Milliarden Pfund in den Norden Englands pumpen
Kampf gegen die Masseneinwanderung von EU-Bürgern und gezielte soziale Förderung wahlentscheidender Wählergruppen ist die Mischung, die auch in der Schweiz Mehrheiten bringt, wie letzte Abstimmungen gezeigt haben.
Der Zeitgeist deutet darauf, dass die Ära der offenen Märkte und des Liberalismus zu Ende geht.
Weltweit.
Die Menschen bekunden Mühe, die Komplexität der Politik zu verstehen, was zum Gefühl führt, die da oben an den Hebeln der Macht agierten in einem Paralleluniversum.
Wir erleben den folgenreichsten Aufschwung des wirtschaftlichen Nationalismus seit Generationen.
Genährt wird dieser neu aufkommende Nationalismus von einer zunehmenden Wut der Öffentlichkeit, die von der Politik einfache Subito-Lösungen verlangt, die diese nicht liefern kann.
Nächsten Mai stimmt die Schweiz über die Begrenzungsinitiative der SVP ab. Was bedeutet, dass die Personenfreizügigkeit mit der EU beendet werden soll, was faktisch auf die Kündigung der bilateralen Verträge hinausläuft.
Mit ihrer Initiative trifft die SVP den Zeitgeist: Take back control – wir wollen wieder selbst bestimmen, wieviele und welche Ausländer ins Land dürfen.
Die unbequeme Ausgangslage: Die Initiative hat gute Chancen, angenommen zu werden.
Das hat selbst der Bundesrat erkannt und versucht nun, mit einer Überbrückungsrente für über 60-jährige Ausgesteuerte dem Volk eine „flankierende Massnahme“ als Tausch für ein Nein anzubieten.
Er lässt damit die Interpretation zu, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der Personenfreizügigkeit und Entlassungen kurz vor dem Rentenalter gibt.
Die britischen Wahlen zeigten, dass die Zurückgelassenen den Ausländerstopp höher gewichtigen, als die von Labour versprochenen Umverteilungsprogramme.
Fünfzigjährige plus könnten deshalb zum Schluss gelangen, dass es doch weitaus besser ist, den Arbeitsplatz behalten zu können, als vom Staat mit einem Alters-Goodie getröstet zu werden.
Man sollte die Demütigung, welche die Betroffenen erleben, nicht unterschätzen.
Die wichtige Stimmbürgergruppe könnte auch zum Schluss gelangen, warum nicht beides: Alters-Goodie und EU-Ausländer vom eigenen Arbeitsplatz fern halten.
Wer also gegen die SVP-Initiative anritt – Inhalt: ein Jahr die Abschaffung der Personenfreizügigkeit verhandeln; wenn die EU nicht darauf eintritt, Kündigung des Abkommens innert dreissig Tagen – muss sich mehr einfallen lassen, als eine “flankierende Massnahme“.
Dass die SVP diese Wählergruppe mit einem Sozialpaket umgarnt, ist wohl kaum zu erwarten.
Ausser ein Stratege der Partei kommt auf die Idee: lasst uns doch den Boris machen.