Man fragt sich immer mal wieder zurecht, ob die Medien tatsächlich jenen Einfluss auf die öffentliche Meinung entfalten, die man ihnen zuschreibt. In der Kommunikationstheorie gibt es die These, wonach Medien höchstens als Verstärker schon vorhandener Themen wirken.
Diese These hat durchaus Bestand, wenn man den täglichen Erregungsjournalismus zur Untermauerung derselbing nimmt, was sich auch in Masterarbeiten von irgendwelchen Medienwissenschaftsstudentinnen niederschlägt und deshalb zur Gewissheit wird.
Doch, und das ist nun meine Gegenrede, es gibt ein Thema, bei dem es einem einzigen Medium durch Beharrliches am Ball bleiben gelungen ist, die Schweiz politisch in eine andere Richtung zu steuern.
Die Rede ist von der WELTWOCHE und das Thema ist die Sozialhilfe. Die WELTWOCHE hat mit ihren Missbrauchsreportagen, in Kommentaren und Analysen in allen Sozialhilfebehörden dieses Landes, oder sagen wir: der Deutschschweiz ein grundsätzliches Umdenken ausgelöst.
Weil sich meine Frau über zehn Jahre lang, lokal, kantonal und national intensiv mit diesem Thema beschäftigt hat, kann ich das sehr wohl beurteilen.
Als Herr Baur seine ersten Artikel veröffentlichte, wurde er reflexartig in die rechte Ecke gestellt. Doch dann hat sich Erstaunliches zugetragen: In den Sozialhilfebehörden wurden plötzlich Missbrauchsdebatten geführt, was sage ich – es wurde überhaupt mal die Frage gestellt, ob es denn auch hier, in dieser Gemeinde Missbräuche gäbe.
Bis dahin war das schlicht undenkbar, was aus heutiger Sicht kaum mehr zu glauben ist. Denn inzwischen nehmen selbst linke und grüne Sozialhilfepolitikerinnen Positionen ein, die sie vor vier, fünf Jahren noch der SVP zugeschrieben haben. Also igitt waren.
Es könnte ja mal einer dieser vielen Medienwissenschaftsstudenten (ein völlig nutzloses Studium) sich dieses Themas annehmen.
Herr Baur war kürzlich an einer Sozialhilfetagung im Baselbiet (Disclaimer: meine Frau hat die Tagung organisiert). Leider haben die Lokaljournis den Anlass verpennt, denn Sozialhilfe ist nicht sexy.
Dabei hätte der Anlass doch eine kontroverse, den Leser also zum Denken anregende Berichterstattung erlaubt. Deshalb hier ein paar Zitate aus seiner Rede:
Unsere Vorstellungen von Armut sind aus der Sicht eines Serben, Türken oder Eritreers grotesk bis obszön. Und er wird für die dargebotene Unterstützung nicht einmal dankbar sein. Denn das Angebot zeigt ihm lediglich, was er schon immer zu wissen glaubte: Dass Reichtum nichts mit Arbeit zu tun hat. Er braucht uns allerdings auch nicht zu danken. Indem wir ihn in die Abhängigkeit der Sozialhilfe treiben, tun wir ihm keinen Gefallen.
Ich vergleiche die Sozialhilfe gerne mit Morphin. Im Notfall ist dieses Nervengift ein Geschenk des Himmels – doch wehe, wenn es zur Gewohnheit wird, dann führt es zur Abhängigkeit und letztlich ins Elend. Denn im Kern sind die Menschen, ob schwarz oder weiss, blond oder blauäugig, alle gleich. Es ist und bleibt für alle etwas Entwürdigendes, auf Kosten der anderen zu leben – und es führt in einen Teufelskreis, bei dem es am Ende nur Verlierer gibt.
Letztlich lässt sich alles auf scheinbar simple, aber doch schwierige Fragen herunterbrechen: Wie viel braucht ein Mensch effektiv zum Leben? Gehört ein Auto, eine Zigarette oder ein Filet dazu? Wie viel Eigenverantwortung darf man den Menschen zumuten? Müssen wir uns Immigranten aus fremden Kulturen anpassen, oder liegt es nicht vielmehr an ihnen, sich uns anzupassen? Was ist, wenn sie völlig andere Vorstellungen von Armut und Härte haben als wir? Was ist überhaupt ein Härtefall? Und vor allem: Ist es wirklich so, dass der Mensch von Natur aus ehrlich und arbeitsam ist? Das sind die Fragen, die mich beschäftigen und die ich aufgeworfen habe.
Falls ein mitlesender Journalist doch noch was drausmachen möchte: Hier der Link zum Referat-Alex-Baur
Werner Spinnler meint
Danke, dass Sie das Thema aufgreifen. Der wichtigen Frage: Wieviel Sozialhilfe (Grundbedarf, Mietzins, Krankenkassen-prämien mit Franchise und Selbstbehalt, Zahnarztkosten u.m.) soll ein Sozialhilfeempfänger erhalten, muss sich früher oder später unsere Gesellschaft stellen. Wenn die Ressourcen knapper werden, die Sozialversicherungen Sparübung an Sparübung über sich gehen lassen müssen, wird der Tag kommen, an dem auch die Sozialhilfe genauer unter die Lupe genommen wird. Der aktuelle Bundesgerichtsentscheid betr. Generalvollmacht geht schon mal in die richtige Richtung.
Wahrsager meint
Die Geldspritze für die Bank muss Morphin gewesen sein. Nur so sind die andauernden Exzesse erklärlich.