Chefredaktor Markus Somm hat im Januar des noch frischen 2015 unter dem Titel «Was die Schweiz vom Baselbiet lernen kann» begeistert festgehalten: «In Baselland arbeiten alle drei bürgerlichen Parteien vorbildlich zusammen. Im Regierungsrat herrscht Einigkeit, Effizienz und ein bürgerlicher Grundkonsens. Auch zwischen den Parteien ist kein adoleszenter Zank mehr zu bemerken, besonders die Präsidenten der SVP, FDP und auch der CVP haben sich darum grosse Verdienste erworben.»
Jetzt, wo sich dieses Jahr dem Ende zuneigt und die bürgerliche Zusammenarbeit im Sumpf des politischen Klein-Klein feststeckt, wird Herr Somm den Landkanton wohl kaum mehr als Vorbild für den Rest der Schweiz preisen. Das Bild, das sich uns bietet, ist derart chaotisch, dass man sich fragen muss, ob man nicht besser das links-grün dominierte Basel als Vorbild nimmt. Denn die sind in ihrem Tun und Lassen zielorientiert, somit berechenbar. Derweil sich die bürgerlich-gewerbliche Landutopie wie Brennsprit verflüchtigt hat.
Bevor wir zur Ursache des Büza-Desasters vorstossen, kurz eine Auslegeordnung. Da ist zum einen die CVP. Nachdem sie den Sitz ihrer Nationalrätin Schneider-Schneiter mit viel Mühe und sehr knapp nochmals für vier Jahre gerettet hat, steht ihr nichts mehr für eine bürgerliche Politik im Weg. Was dazu führt, dass sie, man staunt, zur zuverlässigen Partnerin geworden ist. Was nicht zuletzt am geschickten Herrn Scherrer liegt, dem jungen Präsidenten (der allerdings schon bald aus beruflichen Gründen das Handtuch werfen könnte).
Dann die SVP, deren Präsident intern zu Alleingängen neigt, doch der es verstand, seine Partei aus der Schmuddelecke herauszuführen. Die SVP hält sich überraschend loyal an die Vereinbarungen der Parteipräsidenten aus dem Jahr 2013 und die Verabredungen der Fraktionsspitzen. Die FDP hat von der SVP alles bekommen, was sie auf ihrer Wunschliste hatte: den zweiten Regierungssitz und die Ständeratskandidatur Buser, die von der SVP engagierter unterstützt wurde als durch dessen eigene Partei.
Kommen wir also zur Ursache des bürgerlichen Desasters: zur FDP. Die Partei hat vier Probleme: zum einen Parteipräsidentin Christine Frey (Bild) und deren Führungsschwäche. (Weshalb ihre Münchensteiner Gemeinderatskollegen schon vor Monaten ihr Ressort auf ihre Möglichkeiten zurückgestutzt haben. Zuständigkeitshighlight: der Robinsonspielplatz.) Zum anderen Fraktionspräsident Rolf Richterich, den man dem Vernehmen nach gerne ersetzt hätte, aber niemanden fand, der das machen wollte. Und drittens den nach der Wahlschlappe und dank Ungereimtheiten in der Wirtschaftskammer angezählten Christoph Buser.
Konkret: Ging bis zum 18. Oktober ohne ihn nichts, so geht seither, bis auf wenige Themen, alles ohne ihn.
Was in der Summe dazu führt, dass sich viertens die FDP unter der Führung des Aktivistenduos Frey-Richterich gewaltig überschätzt. Die FDP meint mit Alleingängen, unsinnigen Postulaten und mit bewusst herbeigeführten Niederlagen der SVP (bei wem eigentlich?) zu punkten.
Kurz: War es noch im Januar die CVP, die eine wankelmütige Partnerin war, so muss man Ende des Jahres mit Erstaunen feststellen, dass diesen Part die Freisinnigen übernommen haben. Und es ist niemand in Sicht, der das Buser-Vakuum füllt, die beiden «unguided cruise missiles» auf Kurs bringt und den «adoleszenten Zank» unter den Bürgerlichen beendet.
Marc Schinzel meint
Meine „Innensicht“:
1. Die FDP-Leitung ist gut. Sie setzte früh auf die strategische Zusammenarbeit mit SVP und CVP. Die freisinnigen Erfolge in den Jahren 2014 und 2015 (Regierungsrats- und Landratswahlen, deutlicher Stimmenzuwachs in den nationalen Wahlen) bestätigen diesen Kurs. Wahlen sind nie Selbstläufer, siehe Ergebnis der Bürgerlichen, auch der FDP, in Basel-Stadt.
2. Die Zusammenarbeit zahlt(e) sich für alle bürgerlichen Parteien aus. Z.B. bei der Erneuerung der Regierung. Die SVP kehrte mit Thomas Weber zurück, Toni Lauber übernahm den CVP-Sitz des verstorbenen Peter Zwick, für die FDP kam zusätzlich Monica Gschwind.
3. Die FDP hat klare Vorstellungen, etwa zur Universität und zur kantonalen Finanzpolitik. Der „Uni-Deal“ ist nicht das Ende, sondern der Anfang der Arbeit für eine finanziell tragbare Universität. Bei den Kantonsfinanzen wird die FDP nach allgemeinen Vorstössen auch konkrete Themen aufgreifen.
4. Wir haben eine bürgerliche Regierung, die eine bürgerliche Politik umsetzen will. Für Oppositionspolitik im Landrat ist die Linke zuständig. Die Unterstützung der Regierung durch die bürgerliche Parlamentsmehrheit ist wichtig.
5. Die strategische politische Zusammenarbeit der bürgerlichen Parteien ist über das Tagesgeschäft hinaus weiterzuführen. Nur gemeinsam haben wir Erfolg.
Phil Bösiger meint
Nur eine Frage zu Punkt 4: Das Baselbiet hatte noch nie etwas anderes als eine bürgerliche Regierung und eine satte bürgerliche Mehrheit im Landrat. Was hat die Bürgerlichen bitte die ersten 185 Jahre seit der Gründung des Kantons daran gehindert, eine erfolgreiche und nachhaltige Politik zu machen? Doch wohl sicher nicht der eine mitregierende Sozialdemokrat der letzten Legislatur, oder?
Marc Schinzel meint
@Bösiger: Über die letzten 180 Jahre hinweg ist Baselland eine einzige Erfolgsgeschichte. Das sahen die Baselbieter Stimmberechtigten bekanntlich auch so (Fusionsinitiative). Versuchen Sie einmal, in Basel ein Bäumchen im eigenen Garten zu fällen, eine Beiz zu eröffnen oder einen Feststand zu betreiben. Da reden alle mit, nur Sie nicht mehr. In den Jahren vor der amtierenden Regierung wurden in BL auch auf bürgerlicher Seite Fehler gemacht. Als Freisinniger habe ich keine Mühe, das einzuräumen. Nur sozialistische Kaderparteien à la DDR glaub(t)en, sie seien fehlerlos („von der Sowjetunion lernen heisst siegen lernen …“). Solange Geld vorhanden ist, gibt man es oft zu schnell aus und lädt sich viele neue Aufgaben auf, an denen man später schwer zu beissen hat. A propos Fehler: Ihr „mitregierender Sozialdemokrat“ wütete ganz gewaltig im Bildungsbereich (nomen est omen). Er richtete ein sauteures Bürokratie-Chaos an, das die neue Regierung und der Landrat nun mühsam wieder zu entwirren versuchen.
Schewardnadse meint
Der liebe Herr Bösiger, der über das Baselbiet so wahnsinnig gut Bescheid weiss, blendet aus, dass auch im Baselbiet eine Regierung nicht einfach machen kann, was sie will. Es gibt da noch das Parlament und das Volk – wie in Basel auch.
Schewardnadse meint
Übrigens: im Baselbieter Parlament gab es seit vielen Jahren wechselnde Mehrheiten (Mitteparteien mit wechselndem Stimmverhalten). Von einer „satten bürgerlichen Mehrheit im Landrat“ ist man weit entfernt, wenn man etwas genauer hinschaut!
Siro meint
BS- und BL-Personen meinen stets, die jeweils andere Poltik gut zu kennen und beurteilen zu können. Bei anderen Kantonen wie SO, AG oder JU üben wir in der Regel mehr Zurückhaltung aus. Ich glaube, wir meinen uns zu kennen, aber BS und BL dürften mindest so unterschiedlich sein wie BL und AG oder BS und SO.
Phil Bösiger meint
@Schewardnade: Als im Baselbiet aufgewachsener und in Basel-Stadt lebender Bewohner unserer gemeinsamen Region erlaube ich mir eben schon, Vorgänge, die unser aller Interessen tangieren, zu kommentieren. Ob hingegen in Duggingen eine neue Tempo 30 Zone eingerichtet wird, geht mich nichts an und es interessiert mich auch nicht.
Ich sehe die Mentalitätsunterschiede zwischen urban und ländlich nicht an der Kantonsgrenze, sondern weiter aussen. Auch wenn die Agglomerationsgemeinden wohl aus Verlustängsten ihres Wohlstands über die letzten Jahre eher nach rechts gedriftet sind, tickt man in Stadtnähe nach wie vor urbaner.
Ich bin der Ueberzeugung, dass wir in der Region Nordwestschweiz, die im Rest unseres Landes sowieso schlicht als „Basel“ bezeichnet wird, nur weiterkommen, wenn wir tatsächlich zusammen arbeiten. Wahltaktische Lippenbekenntnisse bringen uns nicht weiter. Deshalb kann es mir als Stadtbewohner auch nicht egal sein, wenn sich eine ehemals staatsbildende (historisch gesehen) FDP aus reinem Wahlkalkül zusammen mit einer extrem wirtschaftsfeindlichen SVP ins Bett legt. Einer SVP, deren regionales Hauptanliegen im Baselbiet nur aus isolationistischem Kantönligeist zu bestehen scheint, mit klarem Feindbild Basel-Stadt.
Rainmaker meint
Zu dieser Bettgeschichte eine kleine Anmerkung – in Basel liegt man heute mit 3 Roten und einem Grünen im Bett. Mit einem SVP’ler hätte man die Möglichkeit einer wechselnden Mehrheit….
Phil Bösiger meint
@Rainmaker: Die Chance bestand zu den langen Zeiten der bürgerlichen Mehrheit in der stadtbasler Regierung durchaus. Es wird wohl da schon auch damals einen Grund gegeben haben, die SVP nicht in die Regierung zu wählen…..
Marc Schinzel meint
@Bösiger: Die kennen wir längst, die linken Sprüchlein von der FDP im Seitenwagen bzw. im Lotterbett der SVP. Nur glaubt die halt längst keiner mehr. Die FDP gewinnt Wahlen unabhängig vom Wahlergebnis der SVP. Sie legt deutlich zu, wenn auch die SVP zulegt (Landratswahlen BL, eidgenössische Wahlen). Sie legt ebenso zu, wenn die SVP stagniert oder verliert (Wahlen in den Kantonen Zürich, Glarus usw.). SVP und FDP haben ein unverkennbar eigenes Profil: SVP-Masseneinwanderungsinitiative: FDP Nein; FABI-Vorlage: SVP Nein, FDP Ja; Präimplantationsdiagnostik: FDP Ja, SVP Nein, familienexterne Betreuung BL: FDP-Initiative für Eigenverantwortung der Eltern, SVP Nein. Und jetzt die UNI-Vereinbarung mit BS: SVP Nein, FDP Ja. Das eigenständige Profil der beiden bürgerlichen Parteien ändert aber nichts daran, dass wir in grundlegenden Zielen, nämlich zB bei der Sanierung der Kantonsfinanzen, bei der Notwendigkeit, auch bei der Universität zu sparen und deren Finanzierung langfristig tragbar zu machen und v.a. auch bei der Abkehr von der völlig verfahrenen Bildungsbürokratie übereinstimmen. Beim Bildungschaos geben inzwischen führende SP-Politiker(innen) wie Ständerätin Anita Fetz, Daniel Goepfert (Lehrer) und Roland Stark (ehemaliger Parteipräsident der SP BS und Lehrer) selber zu, dass Harmos gescheitert ist. Staatstragend ist es, Aufgaben und Mittel des Staates immer wieder kritisch zu überprüfen. Staatsschädigend ist es, einfach weiter zu wursteln.
Grummel meint
Kann man zwei Herren gleichzeitig dienen: Der Industrie und der «freiheitlichen Demokratie»?
Henry Berger meint
Herr Stückelberger, können Sie nicht den Laden übernehmen?
Paule meint
Ins Schwarze treffende Analyse.
Phil Bösiger meint
Dem ist nichts hinzuzufügen.