Ich bin ja nicht blöd. Ich interessiere mich sogar für Politik, wie die Leser dieser Kolumne inzwischen wissen.
Deshalb weiss ich, dass die schweizerische Art des Politisierens vom Kompromiss lebt. Schliesslich gehört jeder und jede in diesem Land zu einer Minderheit.
Mal zu dieser, mal zu jener.
Wir können also darauf zählen, dass alle für ihr Anliegen kämpfen, aber am Ende sich keiner mit einem Hundert-Prozent-Ergebnis durchsetzen kann. So ist denn ein Kompromiss in erster Linie das Resultat von Verzichten.
Weshalb in diesem Land der Mittelweg als erfolgreiche politische Arbeit gilt.
Damit ist auch gesagt, dass eine Abstimmungsvorlage, die als Paket unterbreitet wird, die also Dinge enthält, die nur reingepackt wurden, um die unsäglichen Diskussionen endlich beenden zu können, nicht als Kompromiss durchgehen kann, sondern als Zeichen eines demokratischen Erschöpfungszustands verstanden werden muss.
Dem politischen Personal in Bern scheint die Kraft abhandengekommen zu sein, aufgrund allseits anerkannter Fakten, nachvollziehbare Schlüsse zu ziehen. Weshalb es sich in letzter Zeit bei Abstimmungsvorlagen weniger um der Sache dienliche Geschäfte handelt, als um Ergebnisse eines Last-Minute-Geschachers.
Damit beleidigt man die Intelligenz des Souveräns.
Das ist denn auch der Grund, weshalb ich am 24. September bei der Abstimmungsvorlage zur «Reform der Altersvorsorge 2020» Nein stimmen werde.
Ich habe in letzter Zeit mit verschiedenen Befürwortern des Geschäfts gesprochen. Ich wollte mich überzeugen lassen. Schliesslich kann niemand bestreiten, dass die Rentenversprechen der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts nicht gehalten werden können: Der Umwandlungssatz in der 2. Säule ist zu hoch, die AHV auf Dauer unterfinanziert und das Rentenalter zu tief.
Diese Fakten werden von allen anerkannt. Die einzige offene Frage: Wann muss tatsächlich gehandelt werden?
Bei der Beantwortung dieser Frage unterscheidet sich der Souverän kaum von seiner politischen Vertretung im Bundesparlament: Er handelt erst, wenn der Druck so gross ist, dass man nicht mehr anders kann, als zu handeln.
Ist es aber dann so weit, entscheidet das Volk erstaunlich klug, wie immer wieder festgestellt wird.
Deshalb sollte man in Bundesbern den Souverän ernst nehmen und ihn als politischen Partner und nicht als unmündiges Schulkind behandeln.
Wenn ich also höre, dass die Gewerkschaften nur wegen den 70 AHV-Franken an Neurentner dem tieferen Umwandlungssatz zugestimmt haben und das Pensionsalter 65 für Frauen nur schwer zu akzeptieren sei, dann zieht der politisch interessierte Bürger zwei Schlüsse: Zum einen kann es auch 13 Jahre nach der gescheiterten 11. AHV-Revision nicht so schlimm um die zwei Rentensäulen bestellt sein, wie das in Bern damals und heute wieder an die Wand gemalt wird.
Und zum anderen: Diese Vorlage ist kein Entscheid, sondern lediglich die Momentaufnahme einer Abstimmung.
Gleich danach ging die Diskussion um die Rentenreform wieder von vorne los.
Was wir wollen? Schnörkellose Vorlagen.
Und wenn dann die Citoyens anders entscheiden, als «die in Bern» vermuten, ja nu denn halt.
Wir baden das immer gemeinsam aus.
PS: So ganz nebenbei, also fast schon klammheimlich, haben die Räte ab nächstem Jahr den jährlichen Freibetrag von 16 800 Franken für berufstätige AHV-Bezüger gestrichen, trifft 25 Prozent dieser Altersgruppe.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 16. August 2017
Bringold Margareta meint
Das Volk ist tatsächlich nicht blöd. Wir alle wissen, dass wir immer älter werden und der Kapitalmarkt immer weniger hergibt. Die Renten müssen sinken, rsp. wir müssen länger arbeiten und kriegen dann trotzdem weniger Rente. Das ist leider eine unangenehme Wahrheit.
Die AV2020 ist eine Summe vieler faulen Kompromisse. Dazu kann man nicht guten Gewissens ja sagen.
Markus Schmid meint
Ich bin für die AHV-Revision, sie ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
In jahrelanger Arbeit hat das Parlament endlich einen Vorschlag angenommen. Klar, ganz knapp, aber das war wegen dem Rechtsrutsch im Parlament bei den letzten Wahlen.
Ich folge lieber der Parlamentsmehrheit und lasse mich vom neoliberalen Flügel der SVP und FDP nicht verunsichern. Diese nehmen ja in Kauf, dass auch in der Schweiz die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.