Seit November wohnen wir in Rom. Dank zwei Errungenschaften kann das jeder. Zum einen wegen der Personenfreizügigkeit, dank der man sich als Schweizer in EU-Europa niederlassen kann, und zum anderen dank Airbnb, wo man per Klick und rechtlich abgesichert eine möblierte Wohnung auf Zeit mieten kann.
Nein, ich habe wegen Airbnb kein schlechtes Gewissen.
Ein paar Wochen vor unserer Abreise – mit dem Zug übrigens – wollte ich endlich mein Italienisch verbessern. Sie kennen das: Man müht sich auch nach unzähligen Italienfahrten noch immer mit den rudimentärsten Sätzen ab.
Was die italienische Sprache ausmacht, sind die unzähligen Gesten, mit denen das Wichtigste betont wird.
Also alles.
Ich habe gestern mitgezählt: Die beiden Römerinnen am Tisch vor uns hatten 36 (!) verschiedene Handbewegungen in ihrem Repertoire.
Ich habe das mit Italienisch nicht weiterverfolgt, weil der Aufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen steht. Sagte ich mir. Ich schlage mich mit einer Translate-App durch. Man tippt die Wörter, die einem fehlen, ein.
Oder ich fotografiere den Text des dreiseitigen Antragsformulars für die ATAC-Monatskarte (35 Euro). Und verstehe, dass ich die meisten Fragen nicht beantworten muss.
Wer jetzt auf ein paar dieser gängigen Italien-Klischees hofft, den muss ich enttäuschen. Mir fällt da nichts ein. Italien ist nicht die Schweiz. Und das ist in vielerlei Hinsicht auch gut so.
Doch das Leben ist zu den Menschen ungemein härter hier. Deshalb gibt es keinen Grund zur Überheblichkeit. Höchstens Respekt, weil die Italiener, all den vielen Widrigkeiten zum Trotz, ihren Alltag mit bewundernswerter Gelassenheit meistern.
Was wir in Rom machen? Nichts anderes als zu Hause auch: lesen, diskutieren, lange Spaziergänge, Netflix schauen, kochen. Und Brot backen. Gleich in der Nähe befindet sich der Mercato Trionfale. Er ist wahrscheinlich der beste Markt in Rom für Obst und Gemüse, für Fisch und Frischfleisch, für handgemachte Pasta.
Wer in dieser Fülle nichts findet, sucht auch nichts.
Wir sind jeden Tag unterwegs. Der Luxus eines längeren Aufenthalts: Immer mal wieder bei den mittlerweile zahlreichen Lieblingsorten vorbeischauen können. Zum Beispiel bei den beiden Caravaggios in der Santa Maria del Popolo.
Von unserer Dachwohnung geniessen wir den freien Blick über die Stadt. Rechts die Kuppel des Petersdoms.
Und bis zum Horizont keine Hochhausarchitektur. Das Zentrum Roms ist ein einzigartiges Bau-Ensemble aus den Tagen der Renaissance und des Barock.
Und dann DIE Römer.
In Afrika sollen sie bis an den Tschadsee vorgestossen sein und in Asien bis nach Vietnam. Die Zolleinnahmen aus dem Handel mit Indien machten zur besten Zeit einen Drittel der Staatseinnahmen aus. Doch auf den Handelsrouten nach Afrika und Indien wurden nicht nur kostbare Güter ins Reich gebracht, sondern auch Viren eingeschleppt: die Pest, Pocken, Masern und andere Seuchen.
Was die Römer schliesslich zu Fall brachte. Plus der Klimawandel.
Was wir vermissen werden? Den Espresso. Und die Lievito Madre, die wir wegen diesem Terrorismusmist nicht durch die Flughafenkontrolle bringen werden. Lievito Madre, das ist ein Sauerteig, der mit Mehl und Wasser, etwas Olivenöl und Honig angesetzt wird. Wir haben unseren Teigklumpen vom Bäcker die Strasse runter bekommen. Das Frühstück mit unserem Brot – welch ein Start in den neuen Tag.
Ach, ich liebe sie, die Italiener.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 21. März 2016
Henry Berger meint
Können Sie die „Mutterhefe“ nicht in einem gut verschlossenen Becher o.ä. in den Koffer legen? Flüssigkeiten im aufgegebenen Gepäck sollten an sich keine Probleme geben (ausser eben das Auslaufen mit entsprechender Sauerei….)
Raphael meint
Wegen der Bemerkung mit dem Klimawandel und dem Lievito Madre:
Nehmt doch einfach den Zug. Laut Google 8 Std. Rom-Basel, schöne Aussicht inklusive und ohne diese Kontrolle.