Was in dieser idyllischen Flusslandschaft aussieht wie ein lieblicher Herbstnebel, ist in Tat und Wahrheit aggressiver Smog.
Man kann durchaus die Behauptung aufstellen, dass es sich bei der Luftverschmutzung um die gerechteste Art der Umweltverschmutzung handelt.
Denn vom Lärm der Fahrzeuge, vom Müll am Strassenrand, vom beissenden Uringeruch in engen Gassen, vom Anblick der offenen Abwasserkanäle, von den bleischwarzen Bächen an den Stadträndern, vom Staub und von der sommerlichen Hitze kann man sich loskaufen, in dem man sich zum Beispiel für 3000 Rupees oder mehr in eine Hotelidylle mit Pool oder in sein Haus hinter der Mauer mit Klimaanlage zurückzieht.
Doch dem Smog, der den Norden Indiens fest im Griff hat, sind ohne Ausnahme alle ausgesetzt.
Millionen von kleinen Feuern wie dieses – hier wird Teer flüssig gemacht – nähren den Smog über Nordindien.
Es weht jetzt für Wochen kaum noch ein Wind, der ihn vertreiben könnte. Das bedeutet, dass sich die Luft, sofern man davon überhaupt noch reden kann, noch weiter mit Schadstoffen aller Art anreichern wird.
Die Landschaft entzieht sich schon nach drei, vier Kilometern dem Blick. Man fährt in einer Art Milchglasglocke durch die weite Ebene, hunderte von Kilometern von den grossen Ballungsräumen entfernt. Die Sonne durchbricht erst bei hohem Stand so gegen zehn Uhr den dichten Smogschleier und kurz vor Fünf, eine Stunde vor dem eigentlichen Sonnenuntergang, verschwindet sie tiefrot im Smognebel. Der wolkenlose Himmel ist nicht mehr wie in Rajasthan blau, sondern rauchigweiss.
Später steht der volle Mond orangerot am sternlosen Nachthimmel. Die Atemluft kratzt im Hals. Man denkt an Ricola.
Dazu passt zumindest die Lektüre: „Spähren III, Schäume“ von Peter Sloterdijk. Er beschreibt darin – unter anderem – das „atmoterroristische“ Phänomen des ersten Giftgasangriffs der Weltgeschichte am 22. April 1915 durch die Deutschen im nördlichen Ypern-Bogen. „Die Entdeckung der „Umwelt“ erfolgte in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges,“ schlussfolgert Sloterdijk. Denn: „Man zielte nicht mehr auf die Soldaten, sondern auf deren Umgebungsluft.“
Im indischen Norden ist es nicht ein „Feind“, der die Atemluft verdreckt, sondern es sind die Menschen, die hier leben. Man muss dabei zu grossen Zahlen greifen. Alles Einzelne wiederholt sich hier sofort hunderttausend- und millionenfach: das nächtliche Herdfeuer, das man zum Kochen braucht und das zugleich etwas Wärme in die für indische Verhältnisse kalten Nächte bringt, die Abgase der Zweitaktmotoren der Tuktuks, die brennenden Abfallhaufen mit Plastikmüll, die Russschwaden der Dieselmotoren, die Holzfeuer im Freien, um die man sich wärmesuchend scharrt, die ungefilterten Abgase der Industrie, die Kohlefeuer in Restaurantküchen und Chai-Stalls und so weiter und so fort.
Und selbst beim Teekochen – in Indien wird sehr viel Tee gekocht – raucht es vom Holzfeuer was das Zeugs hält.
Der Smog, sagt unser Fahrer, sei in Indien kein Thema, schon gar kein politisches. Mit dem Monsun werde er weggeblasen und ausgewaschen. Welch ein unbestelltes Land für auswanderungsfreudige Grüne.