Sonntag in HMC. Flanieren durch die Stadt. Die 30 Grad sind schon früh erreicht, dazu eine Luftfeuchtigkeit von 70 %. Du schwitzt an solchen Tagen nur einmal, dafür durchgehen.
Es gibt nicht allzuviele Sehenswürdigkeiten in Ho Chi Minh City. Eines davon ist das Kriegsmuseum oder salopp übersetzt, das Museum mit Überresten des Krieges, „War Remnants Museum“. Als die Beziehungen mit den USA noch gar nichts waren, also bis 1995, hiess das Haus „American War Crimes“.
Wirklich Neues erfährt der interessierte Europäer meiner Generation nicht. Die Bilder der Pressefotografen von Life und anderen Magazinen kennen wir zur Genüge. Die eingestreute Propaganda löst Gähnen aus. Der winkende Mao ist tot und die die Genossen grüssende DDR gibt es auch nicht mehr. Es sind vor allem ausländische Touristen, welche das Museum besuchen.
Was soll’s, dieser Krieg ist schon lange vorbei.
Anschliessend gehen wir zum Mittagessen in die „Brasserie de Saigon“. Es ist Sonntag heute, das letzte europäische Essen hatten wir bei diesem Italiener in Hanoi, deshalb zur Abwechslung ein französischer Dreigänger. Dazu ein Riesling. Europa ist schon einzigartig, hat Klasse.
Später am Nachmittag sitzen wir auf einer Bank in einen Park. Es dauert nicht lange und wir werden von ein paar jungen Vietnamesen angesprochen, mit der Frage, ob sie mit uns reden dürften. Na klar, warum nicht. Wie wir erfahren im Verlaufe des Gesprächs, dass sie Studenten sind und ihre Englischkenntnisse vertiefen wollen.
Also erzählt sie und erzähle ich und sie stellen alle möglichen Fragen, kurz: wir reden über Gott und die Welt.
Schliesslich gesellt sich noch ihr Lehrer hinzu, ein sympathischer Herr in meinem Alter. Er hatte die Idee, dass seine Schüler im Park Ausländer ansprechen sollen. Damit sie ihre Hemmungen ablegen, mit Unbekannten in dieser Fremdsprache zu reden. „Wer Aussicht auf einen guten Job in der Wirtschaft haben möchte, der muss Englisch beherrschen“, erklärt mir einer der Studenten.
Der Lehrer erzählt mir von seiner Kindheit als Bauernjunge im Mekongdelta, wie hart das Leben gewesen sei für ihn als Kind. „Wir waren bitterarm.“ Ich schildere ihm meine Eindrücke vom Kriegsmuseum, sage, ich hätte gerne mehr auch von der anderen Seite erfahren. Er sagt und deutet dabei auf seine Hand: „Wenn du etwas zu verstecken hast, dann zeigst du nur die eine Seite deiner Hand.“ Ich frage ihn, wo er denn 69, 70 gewesen sei. Er schaut mich an und sagt zunächst gar nichts, um dann mit einem Lächeln anzufügen: „Du weisst genau auf welcher Seite ich gestanden habe.“
Wir wechseln das Thema. Reden über sonstwas.
Dann sagt er unvermittelt: „Ich habe noch nie in meinem Leben einer Frau sagen können ‚ich liebe dich‘, weil ich nie wusste, ob ich morgen überleben werde.“ Deshalb sei er allein geblieben, bis heute. Und schlage sich als Englischlehrer durch, als freischaffender ohne Pensionsberechtigung.
Das sind so die Momente, wo ich denke: Du hast das goldene Los gezogen. In jeder Beziehung.