Es herrscht in der Politik rechts der Linken und Grünen ein ziemlicher Begriffswirrwar. Bürgerlich, Liberal, Mittepartei, Rechtsaussen. Die Deutungshoheit darüber, wer oder was „bürgerlich“ sei, hat weitgehend die SVP übernommen.
Und jeder ist mehr oder weniger „liberal“.
In der Semantik der SVP sind die CVP und die FDP je nach politischem Thema mal mehr oder weniger bürgerlich. Im Grunde genommen, so behaupten die Stichwortgeber der Partei, sei die SVP die einzig noch verbliebene bürgerliche Partei. Der Rest sei nur noch links.
Was ja auch Sicht der SVP gar nicht so falsch ist. Weil es rechts von ihr gar nichts mehr gibt.
Die beiden anderen „bürgerlichen“ Parteien geben sich denn auch alle erdenkliche Mühe, sich selbst irgendwo zwischen Links und Rechts zu positionieren. Die CVP hat ihr Plätzchen in der Mitte gefunden. Und die FDP, respektive deren Präsident, erklärt seit Neuestem, seine Partei sei keine Mittepartei, sondern eine Partei rechts der Mitte.
Man sieht, schon verbal hat die FDP kaum Platz zum Atmen.
Das müsste jedoch nicht so sein. Es gälte einfach, die Schweizer Parteienlandschaft geografisch neu zu Ordnen, in „Links“, „Grün“, „Mitte“, „Liberal“ und „Konservativ“.
Links sind die SP und die Kommunisten, „Grün“ für die Grünen und die Grünliberalen, „Mitte“ für CVP und BDP, „Liberal“ für die FDP und „Konservativ“ für die SVP.
Damit wäre schon sehr viel mehr klar als bis anhin. Zum Beispiel bei den Wurzeln: Die SP beruft sich auf die sozialistische Internationale, die Grünen und Grünliberalen auf die Friedens- und Umweltbewegung der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts (mit einem Schuss Hippietum), die CVP auf ihre christlichen Werte, die BDP auf, ja was denn?, die FDP auf 1848 und die SVP auf 1291.
Die FDP sollte konsequent auf die Etikette „bürgerlich“ verzichten und sich nur noch mit „liberal“ bezeichnen (lassen). Die SVP sollte von den anderen Parteien ebenso konsequent als „konservativ“ bezeichnet werden. Denn das ist sie auch: „am Bestehenden/Hergebrachten festhaltend, rückschrittlich, rückständig, unzeitgemäss; (abwertend): antiquiert, reaktionär, rechts“ (Duden, Synonymwörterbuch).
Es gibt neben diesen Wertungen aber noch einen weiteren grundlegenden Unterschied zwischen den Liberalen und den Konservativen. Den habe ich kürzlich in einem Vortrag von Gerhard Schwarz, dem neuen Leiter von Avenir Suisse, gelesen, den er kürzlich in Freiburg vor Liberalen gehalten hat.
Der grundsätzliche Unterschied zwischen den Konservativen – und da kann man jetzt an die SVP denken – und den Liberalen liegt darin, dass „die Konservativen genau zu wissen glauben, wie die ideale Gesellschaft aussehen soll oder — als Strukturkonservative — , alles Bestehende mit Klauen und Krallen verteidigen und zu übersteigertem Nationalismus sowie Agrar- und Gewerbeprotektionismus neigen.“
„Strukturkonservative“ fände ich auch noch ein Ausdruck, den man des Öfteren in der politischen Diskussion mit der SVP gebrauchen könnte. Nämlich immer dann, wenn man den Unterschied in der grundsätzlich anderen Haltung bei gleicher Zielsetzung erklären muss. Gerhard Schwarz erklärt den fundamentalen Unterschied zwischen den Liberalen und den Konservativen so:
Eine liberale Ordnung will Raum schaffen, damit Menschen ihre individuellen Vorstellungen vom «Gutsein» realisieren, dass sie Solidarität und Konvivialität leben können. Liberale werden, im Gegensatz zu Konservativen, ihre individuellen Vorstellungen vom guten Menschen nicht mit Zwang durchsetzen wollen, sondern sich nur für eine Ordnung einsetzen, in der sich die Menschen freiwillig, von sich aus, zu «guten» Menschen entwickeln und sich als solche verhalten können.
Es ist an der Zeit, sich von der Vorstellung zu trennen, die Liberalen hätten etwas mit den Konservativen gemein. Die Distanz vom grundsätzlichen Standpunkt aus zu diesen, ist in etwa gleich gross, wie jene zur Linken.
Disclaimer: Wir haben ein Mandatsverhälnis mit Avenir Suisse.
max meint
Wenigstens das.
Mittelmass meint
Lieber M.M., etwas zur neuen Ordnung in der Kommentarfunktion:
Vorher war es viel besser.
Weil man von oben nach unten lesend sich kontinuierlich dem neuesten Eintrag näherte, unterwegs noch die Antworten zu den Einträgen lesen konnte ohne hin und her zu scrollen.
Jetzt fange ich von unten an, dann kommt eine Antwort auf eine Antwort auf eine Antwort, also muss ich rauf um den Ureintrag zu finden, dann wieder runter um die Antworten dazu zu lesen, wenn man fertig ist wieder rauf zum nächsten Eintrag.
Könnten Sie, liber M.M. das nicht wieder zurücksetzen? Danke.
M.M. meint
Okay, gemacht. Wie auch immer es dem geneigten Leser beliebt. 🙂
Mittelmass meint
WOW, das ging aber schnell!
Vielen Dank. Merci. Grazie.
Markus Saurer meint
Das ist in der Tat besser…
H.h. meint
Ein sehr interessanter Gedanke, diese Neuordnung der Parteienlandschaft. Bleibt ein Problem, nämlich, dass es wohl mehr Liberale ausserhalb der FDP gibt, als in dieser Partei. Ich fürchte deshalb, dass die Partei-Funktionäre Ihrem Gedankengang nur bedingt werden folgen können, verständnismässig.
Thommen 61 meint
„Liberal will Raum schaffen“. Das kann ich sogar als „Linker“ (ohne Sozialismus!) unterschreiben. Aber wenn dieser Raum dann wirtschaftlich so libral ist, dass ich in dieser Konkurrenz unter die Räder kommen muss, weil nicht mehr die gleichen Regeln für alle Kräfte gelten, dann bleibt mir kein Raum mehr für „inviduelle Gestaltung“! 😉
Dagobert Durutti meint
Wenn die FDP nicht mehr „bürgerlich“, sondern nurmehr „liberal“ sein will, wird sie zwangsläufig in der Bedeutungslosigkeit einer 5-10% Partei verschwinden. Es gibt meines Wissens in Europa oder sonstwo auf der Welt keine liberale Partei im eigentlichen Sinne (also nicht nur wirtschaftsliberal, sondern auch z.B. gesellschaftspolitisch liberal), die signifikant was zu sagen hätte.
Der Liberalismus, so schön darüber debattiert werden kann, entrückt, hoch über dem Genfersee, verursacht in der tagtäglichen Anwendung Anstrengung und Schmerzen. Damit lassen sich keine Wahlen gewinnen.
Die FDP war nur über so lange Zeit so dominant, weil sie eben auch die rechte Flanke (oder war Ernst Cincera tatsächlich ein Liberaler?) abgedeckt hat. Ohne die Cincera’s ist die FDP ein Minderheitenprogramm für schöngeistige BWLer.
Die Schweiz ist im Kern eben „strukturkonservativ“.
M.M. meint
Völlig richtig, was die Prozentzahl anbelangt. Ich denke, die FDP marschiert genau auf diese Grössenordnung zu. So oder so.
Doch frei nach Freud: Der Intelligenzquotient nimmt mit zunehmender Masse ab. Trifft auch auf eine Kohorte Intellektueller ab einer gewissen Grössenordnung zu.
Die Minderheit der Liberalen im Grossen Rat BS hat die Politik des Stadtkantons immer wieder nachhaltig geprägt – dank der Qualität über lange Jahre hinweg der Fraktions- und Parteileitungsmitglieder.
Martin Müller meint
Die FDP als liberal zu bezeichnen, dürfte ein geistesgeschichtlicher Irrtum sein und bleiben. Faktisch ist die FDP die Begründerin des Bundesstaats, also der Zentralisierung, der Bündelung der Macht. Beides nicht unbedingt urliberale Anliegen.
Die Partei hat sich dieses Claims bedient und ich hab’s eine Zeitlang auch geglaubt.
Urs Kopp meint
Die Begründung des Bundesstaates als nicht liberal zu bezeichnen geht zu weit. Immerhin sind dadurch gewisse Grundrechte in der Schweiz auch in den konservativen Orten durchgesetzt worden. Einer meiner liberalen, oder sollte ich sagen radikalen, Vorfahren musste sogar noch von Hitzkirch/LU in den Aargau flüchten, wo ihm ein Flüchtlingspass ausgestellt wurde. Da war die Verfassung vom 12. September 1848 schon eine Meisterleistung!! Es war übrigens die erste BV in dem das Volk entschieden hat. Die vorangegangenen, teilweise viel zentralistischeren Verfassungen wurden uns von aussen aufgezwungen. Und das schweizerische Misstrauen gegen zentrale Gewalt hat denn ja auch dazu geführt, dass wir bis heute keine schweizerische Hauptstadt haben, der Kompromiss war die Bundesstadt Bern.
Als FDP Mitglied bin ich stolz auf die Begründung des liberalen Bundesstaates von 1848. Die Schweiz war damals übrigens ein demokratisch republikanischer Zufluchtsort inmitten von europäischen konservativen Monarchien!
h.s. meint
Liberal ist also, Kindern zwangsmässig in eine „aufgeklärte“ Schule zu schicken (Die Reichen bittet mann über teuere Privatschulen einen Ausweg).
Liberal ist also, Kunst zu definieren und nur dieser massiv zu subventionieren, obwohl es kaum einer möchte.
Liberal ist also, die Freiheit zu schaffen zu denken wie Liberalen denken und alles andere zu unterdrucken.
Alle Anderen sind gegen die Freiheit weil die Liberalen sogar dieser definieren nach Ihre Gusto. Frei nach den Motto: Freiheit ist Sklaverei.
Und nun soll Konservatismus im Neusprechsystem misbraucht werden. Politisch Konservativ ist der, der nicht ändert um den Aenderungswillen, sondern ändert weil die umstände dies verlangen. Die SVP hat aber ein eigenes Weltbild. sie agiert um dies um zu setzen. Mit Reaktion gegen die Hippies hat dies nichts zu tun. Die SVP bastelt an eine neue schöne Welt. Nur gibt es an Stelle von Soma ein Buure z’Morge.
M.M. meint
Super Rundumschlag: Und jetzt? Wer bleibt? Die Christliche Volkspartei?
h.s. meint
Als ob die nicht für eine Staatsschule sind, für ein Staatstheater und ein staatliche gelenkten Kinderzeit.
Leider ist die Krankheit, dass andere meine Freiheit definieren wollen weit verbreitet. Dabei verlange ich nur das Recht auf meiner Art zum Teufel gehen zu dürfen.
Thomas Läubli meint
Kunst wird im Idealfall immer noch durch Kunstexperten definiert und nicht durch die Politiker. Es wäre ja noch schöner, wenn analog auch die Wissenschaft „liberal“ definiert werden würde, so dass am Schluss der Kreationismus Platz im Biologieunterricht erhält.
Urs Kopp meint
@Thomas: wieso braucht es überhaupt eine Definition der Kunst? Kunstexperten? Überlassen wir dies der Zeit, sie richtet es schon. Glaube nicht, dass die Höhlenmaler aus Altamira Kunstexperten gebraucht haben.
Markus Saurer meint
Ich wähle, wer den Staat in Grenzen halten will. Da immer neue Gesetze geschaffen werden – Verbote und Gebote – läuft dies darauf hinaus, dass ich oft den alten unregulierten Zustand „konservieren“ möchte. Ich meinte bis jetzt liberal zu sein. Henu, dann bin ich halt konservativ. Aber ich trete der SVP trotzdem nicht bei (wegen Sachfragen). Ist gut, dass M.M. endlich klar gemacht hat, wer die wirkliche Deutungshoheit hat: Er selber, G.S. und der Duden.
gotte meint
die mär, dass die svp für mehr freiheit steht, ist absurd. wir verdanken die sinnlosesten und absurdesten regelungen der jüngsten vergangenheit der svp, entweder direkt oder dank ihrem support: bauverbot für minarette in bundesverfassung, ausschaffungsgebot für kleinstminderheit in bundesverfassung, verwahrungsgebot für kleinstminderheit in bundesverfassung etc. sämtliche regelungen völlig unnötig, weil angestrebte ziele durch vollzug der bestehenden regelungen ebenso erreichbar wären.
Dagobert Durutti meint
Die SVP hat mit Freiheit soviel am Hut wie Jessica aus Liestal mit modernem Tanztheater.
Immerhin wollen ihre Parlamentarier so schnell als möglich wieder die milchwirtschaftliche Sowjetunion einführen (Motion Aebi) oder SRG Journis einen Stern (in den Parteifarben) ans Revers heften (Zanetti in Züri).
Mittelmass meint
Es ist also unzeitgemäss der EU nicht beizutreten?
Es ist rückständig für ein Kopftuchverbot und die Gleichberechtigung der Frauen einzutreten?
Es ist reaktionär wenn man die Wirtschafts- (Asyl ist gemeint) flüchtlinge nicht will und die Kriminalität bekämpfen will?
Es ist festhaltend wenn man den angeblich menschengemachten Klimawandel anzweifelt und andere Wissenschaftler auch zur Sprache kommen lässt?
Trotzdem würde ich im positiven Sinn die SVP als eine Bürgerlich-konservative Partei für Unabhängigkeit, Föderalismus und Freiheit bezeichnen.
Paule meint
Möglich, dass es nach den Wahlen Zeit gibt, sich in kleinerem Kreis in der Landratsfraktion über die Verortung der FDP ernsthafte Gedanken zu machen.
Philipp Sauter meint
Noch eine Ergänzung: meiner Meinung nach kann man grundsätzlich durchaus liberal sein aber in manchen Sachfragen links oder konservativ. Ich selber würde mich durchaus als liberal bezeichnen, habe aber in manchen Fragen durchaus die Meinung der SVP.
max meint
Nachdem die grosse Götterdämmerung nach dem epochalen Theaterentscheid doch ein ganz klein wenig ausgeblieben ist, verlegt sich der Herr Messmer aufs Beschimpfen. Endstation! Frust auf diese Weise abzureagieren ist zwar menschlich, eine intellektuelle Spitzenleistung ist es aber eher nicht.
„Basta“ ist übrigens eine urliberale Vokabel, nicht wahr, lieber Herr Messmer?
U. Haller meint
….ach, werter Max, ich sehe da weit und breit keine Beschimpfungen, sondern eine nüchterne Lagebeurteilung. Nur hört die nicht jeder so gerne. Das ist es.
Uebrigens: Vielleicht müsste sich die FDP mal diese Gedanken des Humanistischen Liberalismus zu Gemüte führen:
http://www.julis.de/positionen/grundsaetzlich/?PHPSESSID=a00e97ffc2e9944380e03f19bb6e77c0
Davon ist – leider – viel abhanden gekommen oder wird, im Beiboot der SVP, klammheimlich über Bord geworfen.
max meint
Da Messmer den Duden zur Begriffserklärung zitiert, ist es doch relativ deutlich, in welche Richtung das läuft. So sind im allgemeinen Sprachgebrauch Wörter wie rückschrittlich, rückständig, antiquiert, reaktionär nicht eigentlich positiv zu verstehen. Aber anscheinend bei den professionell Anständigen. Dann ist das natürlich eine „nüchterne Lagebeurteilung“. So sachlich. Sollte es allerdings einem SVP Sympathisanten in den Sinn kommen, im selben Sinne eine Lagebeurteilung betreffend FDP durchzuführen, so mangelt es demselben selbstverständlich an Anstand, Respekt vor „Andersdenkenden“ etc.
Vielleicht wäre es für die FDP auch mal ganz gut, zu überlegen, was sie über Bord geworfen hat, DASS sie überhaupt zum „Beiboot“ der SVP geworden ist. Vielleicht in Form einer nüchternen Lagebeurteilung.
M.M. meint
@max: Ich habe kein Problem damit, unhöflich zu sein.
Die SVP ist in der Tat reaktionär und zwar im Wortsinn: Sie will erklärtermassen die 68er-„Revolution“ rückgängig machen. Begreife gar nicht, dass Sie diese „Reaktion“ so stört.
max meint
Ja natürlich, Herr Messmer. Genau die Reaktion der SVP auf die 68er hatten Sie mit Ihrem Artikel im Visier.
Ich glaube Ihnen übrigens, dass Sie kein Problem damit haben, unhöflich zu sein. Sie haben nur eines, wenn’s andere auch sind. Oder wie darf ich Ihren Thread vom 14.2.11 „in eigener Sache…“ verstehen?
Philipp Sauter meint
Das ist keine schlechte Definition. Insbesondere mit dem Wort „liberal“ wird Schindluder getrieben. Es ist das Gegenteil von „etatistisch“. Somit können Linke gar nicht liberal sein. Leider rückt auch die FDP häufiger davon ab indem sie etatistische und regulatorische Vorstösse unterstützt.