So rein theoretisch ist der Mist geführt: Mustafa Atici wird am 7. April im zweiten Wahlgang locker zum neuen Vorsteher des städtischen Erziehungsdepartements gewählt.
Die nackten Zahlen lassen gar nichts anderes zu: Wähleranteil Links-Grün: 47%, Wähleranteil bürgerliche Parteien: 40%.
Selbst die Tatsache, dass weder Atici noch Urgese ihr Wählerpotenzial voll ausschöpfen werden, wird nichts am Endresultat ändern.
Es sei denn.
Es sei denn, es gelingt den Medien, den Wahlkampf in eine inhaltliche Auseinandersetzung zu lenken.
Ich nehme bewusst die Medien in die Pflicht, weil sie es in Händen haben, in den kommenden Diskussionen kein Wahlkampf-Blabla mehr zuzulassen.
Für den zweiten Wahlgang ist es zunächst mal völlig egal, ob der eine ein Linker ist und der andere ein Bürgerlicher.
Das wissen inzwischen ja alle.
Ich wage die These, dass der erfolgreiche Gastro-Unternehmer mit Fachkompetenz „Döner“ und Besitzer einer 7-Zimmervilla auf dem Bruderholz vielen Bürgerlichen näher steht, als seinen urban-links-grün-veganen Politschwestern mit dem SP- oder dem grün-basta Parteibuch.
Der Mann, der mehrfache Millionär, hat den Aufstieg geschafft.
Nein, die Medien sollen das thematisieren, was die Leute wissen wollen, nämlich mit wem sie es tatsächlich zu tun haben, wer Mustafa Atici konkret und politisch im Erziehungsdepartement will, das 47%-Ticket „SP“ mal weglassend..
Die Wähler sollen die Unterschiede zwischen ihm und Urgese erkennen können und dann ihre Wahl treffen.
Ich meine – ganz ohne Ironie und Hintergedanken -, dass für politisch Interessierte die Kandidatur Atici eine spannende Angelegenheit ist.
Dass sich mit Mustafa Atici ein im Studentenalter eingewanderter Mann aus der Türkei (kein politischer Flüchtling übrigens) handelt, sich ein in seiner Glaubensgemeinschaft verankerten Alevite (Teil des shiitischen Islams) fürs Erziehungsdepartement interessiert und der gar als Bildungspolitiker gilt, kann man in der Summe als Alleinstellungsmerkmal bezeichnen.
Weil es völlig klar ist, dass dieser Hintergrund eine andere Sicht auf die Dinge zulässt, wäre es interessant zu erfahren, wie denn diese Sicht ist. (Mal abgesehen vom Musikunterricht seines Sohnes).
Immerhin 54% der Wohnbevölkerung Basels sind Ausländer, die Mehrheit also.
Oder müssen wir davon ausgehen, dass es in Bezug auf die Integration zwischen dem bürgerlichen Urgese und dem sogenannt linken Atici gar keine grossen Unterschiede gibt?
Weil beide am Ende des Tages nur mit Wasser kochen?
Bei Regierungsratswahlen ist es ein wenig wie bei der Vermählung: Man heiratet nicht nur die Frau oder den Mann, sondern gleich noch die ganze Verwandtschaft.
Was vielen erst später klar wird.
Sprechen wir es also an: Eine Minderheit von 4.4 Prozent in Basel-Stadt, rund 13’000 Personen, bekennt sich zum Islam. Doch was die Bevölkerungsverteilung anbelangt, erreichen sie und andere Ausländer im Kleinbasel einen Bevölkerungsanteil von über 50%.
Was erwartet diese Bevölkerungsgruppe von ihm, von der er die uneingeschränkteste Unterstützung erhält?
Wie hält er es mit dem Schwimmunterricht für Mädchen, ein Dauerbrenner in Basel. Gemischtes Turnen, moslemische Feiertage, Kopftuch für Lehrpersonen und Schülerinnen?
Wie will er die Radikalisierung unter jungen Muslime angehen – man kann davon ausgehen, dass er einen grösseren Einblick in die entsprechenden Milieus hat als Urgese.
Zumal der schreckliche Vorfall in Zürich zeigt, dass Mustafa Atici für einen Teil junger Muslime nicht mehr unbedingt als Vorbild des fleissigen, integrierten Schweizer-Türken taugt.
Wie hält er es mit den Juden, die in Basel bedroht werden, wie mit den jüdischen Kindern, welche die öffentlichen Schulen besuchen?
Was ich damit sagen will: Mich interessiert tatsächlich, dass uns jemand, der sich auskennt, erklärt, wie dieser Bevölkerungsteil tatsächlich tickt.
Verstehen ist schliesslich die halbe Mieter bei der Integration.
Wer versteht, kann auch akzeptieren.
(Selbstverständlich muss auch Luca Urgese diese Fragen beantworten.)
Allerdings gehe ich davon aus, dass kein Journalist, keine Journalistin solche Fragen stellen wird. Weil sie Angst haben, zurecht Angst haben, in die Rassismusecke gestellt zu werden.
Wenn die Baselbieter SP-Regierungsrätin Kathrin Schweizer an einer Medienkonferenz nicht mal mehr die Verbrechensstatistik zitieren darf, also objektive Zahlen benennen kann, ohne von ihrer Partei und den Jusos gleich niedergemacht zu werden, dann zeigt das ziemlich deutlich den Zeitgeist an.
Also – Schwamm drüber. Atici, der SP-Mann ist gewählt.
Oder, als Alternative: Wer das alles nicht will, muss Urgese wählen.
Punkt.
Es könnte ja sein, dass Milieu-Linke zum Schluss gelangen, im Herbst lieber ein Original zu wählen, als im April einen Villenbesitzer mit SP-Parteibuch vom Bruderholz.
Friedmann David meint
Ich kann Ihnen einige Fragen beantworten. Ja, Mustafa Atici hat diese islamischen Themen klar im Visier, er unterstützte und unterstützt den Tisch der Religionen und andere Massnahmen, welche genau in diese Richtung zielen. https://grosserrat.bs.ch/dokumente/100389/000000389890.pdf
Zudem wird er von einem grossen Teil der jüdischen Bevölkerung geschätzt. Viele Juden unterstützen auch genau deshalb seine Kampagne, weil sie den Schritt gehen wollen, dass ein islamischer Zeitgenosse auch in Basel Regierungsrat werden kann. Wie lange brauchte es, bis die Juden ein Stimmrecht hatten? Der erste Jude wurde in den 70er Jahren in den Grossen Rat gewählt und Ralph Lewin war dann der erste jüdische Regierungsrat. Ralph Lewin würde Mustafa nicht so massiv unterstützen, wenn dies nicht im Sinne seiner Gemeinde wäre.
Ich selbst war bei Kriegsausbruch im letzten Oktober (7. November) in Israel. Mustafa, ok, er ist auch ein Freund meiner Familie, rief sofort an und fragte wie es mir geht und was er für uns und die gestrandeten Schweizer in Bern machen kann. Er intervenierte massiv beim EDA, dass es zu diesen Evakuationsflügen mit der Swiss kam. Wir kamen dann auch mit einem dieser Flüge zurück.
Mustafa Atici ist ein Macher, ein Macher mit viel Emphatie und trotzdem ist er durchsetzungsstark, wenn dies gefordert ist. Es ist doch auch einmal gut für Basel, wenn sich ein muslimischer Regierungsrat für die Schwimmpflicht einsetzt und diese auch durchsetzt. Die Basler haben es verstanden und sehen, dass eben nur ein fehlerfreies Deutsch nicht die Hauptsache für das Amt des Regierungsrates ist. Es wird eine Strategie, Kenntnis und vor allem auch Durchsetzungsfähigkeit und Leadership gefordert und dies sind die Stärken von Atici.
Trotzdem ist es Luca Urgese hoch anzrechnen, dass er im Gegensatz zu einegen Parteipräsidien nicht mit der „Sprachkeule“ kommt, sondern seine guten Dossierkenntnisse in den Vordergrund stellt. Ich wünsche mir von Herzen, er wird einmal Finanzdirektor in Basel – da könnte ich mir keinen Besseren vorstellen.
Henry Berger meint
Wohin gehen die Stimmen von Thiriet? M.E. kann nicht einfach davon ausgegangen werden, dass diese nun zu Atici wandern.