Es ist ja altersbedingt, dass ich in den letzten Wochen mit unzähligen Leuten darüber geredet habe, wie es denn sei, wenn man aus dem Trott ausgestiegen aka Rentner ist. Ich kann dann nur sagen: Es ist die beste Zeit für mich, so wie all die Jahre zuvor jeweils die beste Zeit für mich waren.
Allerdings bin ich immer wieder erstaunt, wie die Leute einfach irgendwie in diesen nächsten Lebensabschnitt reinschlittern. Nicht etwa, dass sie sich keine Gedanken machen. Die Frage ist vielmehr die, ob sie sich mit ihrem Gedankenmachen nicht einfach nur im Kreis drehen.
Weil es bei den Gesprächen mehr oder weniger immer die gleichen Fragen auftauchen, fasse ich meine Antworten und Ausführungen mal auf folgende 10 Kernpunkte zusammen:
- Du bist frei
Zu meinem Standardrepertoire gehört folgender Satz: Ab 60 ist es völlig egal, was du machst, es gibt kein richtig oder falsch mehr, du musst niemandem mehr etwas beweisen, du bist frei. - Ändere dein Leben
Vorbei ist vorbei. Die letzten vierzig Berufsjahre waren spannend, anstrengend, abwechslungsreich, mit Rückschlägen und Glücksmomenten und so weiter und so fort verbunden. Strich drunter. Jetzt folgen dreissig weitere Jahre. Also: Welch ein Glücksfall, mit all dem Wissen und den Erfahrungen nochmals neu beginnen zu können. Als erstes haben wir den Alltagstrott mit Frühstück, Mittag- und Nachtessen durchbrochen. Wir essen in der Regel nur noch zweimal, das Mittagessen haben wir mit dem Nachtessen auf den Nachmittag verlegt. Die Umstellung braucht etwas Zeit, genau so wie, dass man nicht mehr um Punkt Viertel nach sechs aufwacht. Wir stehen auf, wenn’s hell ist. - Familie
Die Kinder waren die beste Investition unseres Lebens. Zum einen all die Erinnerungen, zum anderen die Freude, mitzuerleben, wie sie als selbstständige Menschen ihren Weg machen. Und eigene Familien gründen. Kurz: Glücklich ist, wer mit 60 Kinder und Enkelkinder hat. Allerdings: Wer nicht bereit ist, sein Leben zu ändern, dessen Leben wird , wie zuvor, von anderen bestimmt. Deshalb scheint es schon fast eine Selbstverständlichkeit zu sein, dass die Grossmutter an festen Tagen die Enkel hütet => Flucht in die Routine. Das machen wir nicht. Wir wollen keinen Alltagstrott. Wenn sie bei uns sind, dann ist das jedes Mal etwas Besonderes. Für sie und für uns. - Du brauchst Geld.
Klar, wenn man raus aus dem Trott ist, die Kinder aus dem Haus, dann braucht man für den Alltag weniger Geld. Man könnte sagen: ich bin zu einem Minimkonsumenten geworden, für Werbung nicht mehr erreichbar. Doch machen wir uns nichts vor, um den bisherigen Lebensstil fortsetzen zu können, brauchst du unter dem Strich ein Einkommen, dass dem letzten Nettoeinkommen entspricht. Finanzielle Unabhängigkeit bedeutet nicht, sich luxuriöse Kreuzfahrten und Safaris leisten zu können. Finanzielle Unabhängigkeit bedeutet, sich keine Sorgen ums monatliche Budget machen zu müssen. - Pensionskasse auszahlen oder nicht
Ich habe in den letzten dreissig Jahren ziemlich unsichere Einkommensverhältnisse gehabt, obwohl rückblickend all diese Existenzängste völlig umsonst durchlitten wurden. Weil ich diesen Zustand der ständigen Unsicherheit nicht mehr erleben möchte, lasse ich mir mein BVG-Guthaben in monatlichen Tranchen ausbezahlen. Was bedeutet – ich habe nun, zusammen mit der AHV – für den Rest meines Lebens ein gesichertes monatliches Einkommen. Ich habe seinerzeit bei der Dotcom-Blase mit Aktienersparnissen sehr viel Geld verloren und später wieder gewonnen. Für die Bewirtschaftung meines BVG-Kapitals fehlen mit sowohl Knowhow als auch die Nerven. Nachzahlungen ins BVG in den Jahren vor der Pension ist derzeit die beste Geldanlage. Mein grösster Feind ist die Inflation. - Belastender Posten: die Miete
Wenn ich sage, „den bisherigen Lebensstil fortsetzen“, dann betrifft das in zweiter Linie auch das Wohnen. Für viele meiner Bekannten, die kein Eigenheim besitzen, ist die Wohnsituation ein zentrales Problem. Da gibt es die, die seit zwanzig, dreissig Jahren in der selben Wohnung leben und damit relativ günstig. Was jedoch auch bedeutet, dass diese Wohnungen über kurz oder lang teurer werden, weil sie renoviert werden müssen oder den Besitzer wechseln. Eine Wohnungsmiete von sagen wir 2.500 Franken bedeutet 3/4 der AHV-Ehepaarrente ist weg. Wer in Zürich oder Basel wohnt, muss damit rechnen, in fünf, zehn Jahren in die Agglo ziehen zu müssen. Wer Eigentum besitzt, zumal bei diesen Hypozinsen, befindet sich in einer sehr komfortablen Situation. - Gesundheit
Sagen wir es so: Du hast zwei Optionen – entweder zu beschäftigst dich mit deiner Gesundheit oder zu hätschelst für den Rest deiner Jahre deine Gebresten. Weil ich jetzt Zeit habe und entsprechend motiviert bin, konzentriere mich auf die Gesundheit: Zwei- bis dreimal die Woche steht Krafttraining auf dem Programm und weitere vier Stunden Krav Maga-Training. Ersteres ist unabdingbar, um den Muskelabbau im Alter (ab dreissig) zu verlangsamen und Krav Maga ist gut für Kondidition, Konzentration und Reaktion. Abgesehen davon, habe ich mich seit der Primarschule mit niemandem mehr geprügelt, bin also diesbezüglich etwas aus der Übung gekommen. - Essen
Zweimal im Tag reicht. Viel Gemüse (wir kochen sehr oft asiatisch), weniger Fleisch als früher, Fisch, na klar doch, Dessert muss immer sein und Wein. Wir backen unser Brot selbst, ich liebe Butter und Speck und Eier und Confi zum Frühstück. So weit so gut. Für viele Frischrentner sind die Mahlzeiten ein heikler Punkt. Weil noch immer erstaunlich viele Männer nicht kochen können. Und erwarten, dass die Ehefrau selbstverständlich und pünktlich für Mittag- und Nachtessen besorgt ist. Mann – lerne kochen oder geh unter. - Sex
Wer kochen kann, hat besseren Sex. Okay, sagen wir es so: Wer keinen Spass am Leben hat, braucht auch keinen Sex. Für alle anderen gilt, geniesst es. - Horizont erweitern
Wer in der Arbeitswelt drinsteckt, muss sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen. Das fällt mit der Pensionierung weg, was viele als sehr angenehm empfinden und sich angewöhnen, unter dem Titel „Tagesablauf“ immer die selben Kreise zu drehen. Wir durchbrechen den Alltag immer wieder bewusst. Unsere Reisen haben denn auch nichts mit Ferien zu tun – die gibt es ja nicht mehr – sondern mit der Absicht, uns bewusst neuen Lebenssituation auszusetzen. Wir tun das, siehe „Geld“, zugegeben recht komfortabel. Wer sein Leben ändert, also offen ist, an den werden neue Aufgaben herangetragen. Im Moment habe ich zwei neue Mandate und schreibe eine Mittwochskolumne für die BaZ. Das alles ist kein Stress und dank Internet ist es auch egal, wo ich mich physisch gerade aufhalte.
PS: Ich hasse das Wort „Rentner“ und auch all die anderen Bezeichnungen für Leute in meinem Alter.
Walter Merz meint
Kann Punkt für Punkt von M.M. unterschreiben. Bin selber seit etwas mehr als zwei Jahren in dieser interessanten und spannenden Lebensphase. Einfach ohne Grosskinder – aber das kommt noch. Mein deutscher Freund und Verbandskollege Henning von Vieregge hat dazu ein lesenswertes Buch geschrieben: „Der Ruhestand kommt später“ (amazon.de). Für alle, die kurz davor sind oder ihren Weg noch nicht gefunden haben.
fred david meint
Ich kann da jetzt ja mitreden. Ich unterschreibe alles, bis auf Punkt 4: Mit dem Geld machen sich die Schweizer, wie ihr ganzes Leben schon, auch im Alter viel zu viel Stress. Wer eine ordentliche, keine fette, Altersvorsorge aufgebaut hat, braucht sich keine Sorgen zu machen. Ein Tip: Ins Ausland ziehen. Das fordert einen (schon eine neue Umgangssprache lernen fördert Hirntraining und zwingt zu neuen Kontakten), gibt neue Impulse und ist in aller Regel billiger als zu Hause. Es muss nichts Exotisches sein. Ich lebe seit meiner Pensionierung in den Niederlanden am Meer, in einer gemütlichem Stadt, mit allem, was ich brauche. Meine Lebenshaltungskosten sind um ca. 30% geringer, ohne dass mir etwas fehlen würde. Ich kann einen solchen Schritt nur empfehlen. Unsere Familienmitglieder und Freunde aus der Schweiz sind herzlich willkommen – aber wir sind nicht an sie gebunden. Das gehört auch zur Seniorenfreiheit.
M.M. meint
Mir fällt auf, wie viele Leute so um die fünfzig sich überhaupt keine Gedanken über die Pensionszukunft machen. Ich kenne selbstständige Grafiker, die verdienen nicht schlecht, aber sind sich nicht bewusst, dass sie mindestens fünfzen Prozent von ihrem Bruttoeinkommen fürs Alter weglegen müssen. Einer meinte kürzlich, er könne ja dann mal Ergänzungsleistungen beziehen.
Illusionen machen sich auch viele über die AHV-Leistungen. Man muss im Schnitt während seines 44jährigen Berufslebens (Männer) mindestens 84’240 Franken pro Jahr verdient haben, um die volle Rente zu bekommen.
Was das Ausland anbelangt, Holland wäre mir zu weit weg von den Kindern. Aber mehrmonatige Auslandaufenthalte ist für uns die Alternative. Zudem haben wir ein Haus mit einem ausserordentlich günstigen Zins.
Henry Berger meint
interessanter Beitrag. Besonders hervorheben möchte ich Ihre Aussage: Glücklich ist, wer mit 60 Kinder und Enkelkinder hat. Die heutige Lebensplanung sieht – für mich unverständlicherweise – meistens völlig anders aus. Man heiratet oder bindet sich sehr spät (was jedoch anscheinend auch keinen Einfluss auf den Bestand der Beziehungen hat – siehe Scheidungsrate), an Kinder denkt man dann vielleicht ab 30 oder zunehmend noch später, so dass man dann vielleicht mit 38 eine „glückliche“ Mutter hat, dann kommt dazu, dass Kinder heutzutage alles andere als etwas Natürliches sind, die Erziehung, Schule etc. sind ein Riesenstress, man muss dann heutzutage ja sogar auch noch das Studium der Kinder „überwachen“ (Es gibt effektiv Unis mit Elternabend). Mit Enkelkindern ist dann so ab Alter 75 bis 80 zu rechnen…
M.M. meint
Unter dem Rentenaspekt würde ich jedem Geschiedenen raten, kein zweites Mal zu heiraten.
Schon eine Scheidung läuft später ins Geld. Wir werden in den kommenden Jahren besonders bei geschiedenen Frauen steigende Probleme bei der Alterssicherung erleben.
fred david meint
…und wenn man spät Kinder kriegt, bedeutet das: Bis später mal ein Studium beendet und der Nachwuchs wirklich auf der Schiene ist (nicht in der Praktikums-Endlosschlaufe) kann das dauern, und man ist im Alter nicht frei. Ist natürlich ein bisschen egoistisch gedacht Aber das behalte ich mir vor. Junge Menschen denken auch ziemlich egoistisch. Ist auch ihr gutes Recht. Folglich gleicht sich das aus.