Bin Intervallleser.
Das heisst, zwischendurch liegt ein angefangenes Buch ein paar Wochen rum, bis ich weiterlese (Okay, das schrieb man früher, heute: Ich öffne es nicht in meiner Bücher-App).
Gestern also wieder: Licht aus dem Osten, von Peter Frankopan..
Ich habe letzten Herbst just an der Stelle aufgehört zu lesen, die interessantes Hintergrundwissen zum aktuellen Schlamassel in der Ukraine liefert – Sechstes Kapitel: „Schätze der Steppe – der neue Welthandel“.
Die Handlung spielt im 19. Jahrhundert und – ausser der USA – sind damals schon alle versammelt: die Briten, die Franzosen, die Russen, der Iran (Persien), China, Indien, Afghanistan.
Man kann die Ursache der damaligen diplomatischen Auseinandersetzungen und Kriege (Krim!), ja überhaupt das alles beherrschende Thema des glorreichen Viktorianischen Zeitalters so auf den Punkt bringen: Das Britische Empire war geradezu besessen von der Angst, das expansive Russland könnte über den Landweg in Indien einfallen.
Als die Franzosen ihre scheinbar bedrohten Handelsinteressen im osmanischen Reich durch Russland mit einem Feldzug durchsetzen wollten, schloss sich ihnen England an. Die Absicht: die britischen Interessen in Indien zu schützen, in dem man Russland von der Krim und dem gesamten Kaukasusgebiet (aktuelles Stichwort: Georgien) vertreibt.
Nebenbei: Als weitere Massnahme versorgten die Briten die aufständischen Tschetschenen mit Geld und Waffen. Frankopan: „Diese Unterstützung stand am Beginn einer langen Tradition des tschetschenischen Terrorismus gegen Russland.“
Die Russen wurden in die Knie gezwungen.
Worauf in Paris 1854 den Russen die Friedensbedingungen diktiert wurden. Frankopan: „Grossbritannien und Frankreich taten sich zusammen, um ihrem gemeinsamen Rivalen einen Strick um den Hals zu legen.“ Russland verlor unter anderem den militärischen Zugang zum Schwarzen Meer (Krim).
Doch anders als erwartet, löste die Niederlage dank Reformen in Russland einen phänomenalen Moderniesierungsschub, der der die Jahrzehnte bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs anhielt.
Das riesige Land erlebte dank eines Wirtschafts- und Wissenschaftsbooms erstmals einen Zusammenhalt. Auch dank des forschen Ausbaus des Schienennetzes (Transib).„Anstatt Russlands Aufstieg zu bremsen, hatten die Briten dazu beigetragen, den Geist aus der Flasche zu lassen.“
Dank geschickter Diplomatie und günstigen Krediten (der Wirtschaftsboom führte zu steil ansteigenden Steuereinnahmen) gelang es Russland unter anderem, Persien als engen Verbündeten gegen die Briten zu gewinnen. Diese waren vor den Kopf gestossen, sie betrachteten Persien bis dahin als ihren Hinterhof.
Der Landweg nach Indien schien damit offen. In Europa wurde parallel in Verhandlungen mit einzelnen Ländern das Ergebnis des Pariser Friedensvertrags schliesslich gekippt. Der vermeintliche Sieg endete in einer strategischen Niederlage.
Bis zum 1. Weltkrieg blieb Russland der grosse Rivale Grossbritanniens.
PS: Die britische Indienparanoia hielt sich bis zum 1. Weltkrieg, dessen Ausbruch die Briten mit Hinterzimmermanövern („Die Schlafwandler“) mitverursacht haben: Die jahrzehntelange russischen Bedrohung für British-Indien war mit der Kriegserklärung Deutschlands an Russland (1. August 1914) gebannt; die russischen Truppen waren im Westen gebunden. Bekanntlich hat’s nichts genutzt.