Parteien kann man grob in zwei Kategorien einteilen: Zum einen gab es die, in denen sich eigenständig denkende Persönlichkeiten, die über ein paar wenige, gemeinsame Grundhaltungen verfügten, zusammen taten, um in ihrem Sinn Einfluss auf den Gang der politischen Dinge zu nehmen.
Die LDP der Basler Liberalen, beispielsweise, war mal so eine Partei, eine Partei von unabhängigen, gar eigen-willigen Citoyens.
Das war denn auch über lange Jahre hinweg die Stärke der Bürgerlichen, dass innerhalb der Parteien ein lebendiger Wettbewerb unter unabhängig denkenden Persönlichkeiten herrschte.
Gegenwärtig gilt Meinungsvielfalt innerhalb von Parteien als Schwäche und deshalb als nicht mehr zeitgemäss.
Zum anderen gab es die Parteiorganisation sozialistischen Zuschnitts, was heisst, dass sich alle Parteimitglieder einer einzigen fixen Idee unterzuordnen haben.
Auf der linken Seite war es die Bewegung der Grünen, die über Jahre hinweg mit einem äusserst beschränkten Gedankengut grosse Wahlsiege feiern konnten.
Auf bürgerlicher Seite hat als erste Partei die SVP erfolgreich das marxistisch-leninistische Kaderprinzip kopiert.
Seither gelten auch in bürgerlichen Parteiversammlungen Abstimmungs- und Wahlergebnisse von 95%plus als Zeichen von Stärke.
Man bezeichnet solche Wahlergebnisse als – Neusprech – „starkes Zeichen der Geschlossenheit“.
Beeindruckt und auch verunsichert vom Erfolg der Rechtsnationalen sind in den letzten fünf, sechs Jahren auch die anderen bürgerlichen Parteien auf das doktrinäre Verhaltensschema der SVP eingeschwenkt.
Selbst Liberale sind nun Stolz darauf, wenn Einigkeit herrscht und verkaufen das als neue Sitte.
Wenn nach der Ursache für dieses neue Phänomen fragt, das so gar nicht in die schweizerische Politlandschaft passen will, dann bekommt man zwei mögliche Antworten: Zum einen fehlt es den Eliten in ihrer digitalen 24/7-Welt aus Beruf, Familie, Freizeit schlicht an Zeit und vor allem an Lust, sich auch noch parteipolitisch ein- und unterzuordnen zu müssen.
Wer sich politisch engagieren will, für den ist ein Amt nur noch eine temporäre berufliche Option unter anderen.
Man will höchstens noch gewählt werden, weil man Lust verspürt, von der Seitenlinie ins Spielfeld zu wechseln.
Zum anderen muss man schon ganz genau hinschauen, dass man bei den Parteien inhaltliche Unterschiede ausmachen kann.
Besonders dann, wenn man sich in Wahlzeiten nicht vom Parteienblabla beeindrucken lässt, sondern die Auswirkungen ihrer Tagespolitik auf das Alltagsleben von uns Citoyens und den Unternehmen spürt. (Der folgerichtig nächste Schritt ist deshalb der Schulterschluss im eigenen Lager.)
Die Bürgerlichen und nicht die Linke, um ein Beispiel zu benennen, blähen seit Jahren den Staatsapparat. Weil sie in praktisch allen Parlamenten und Regierungen des Landes die Mehrheit stellen.
Schliesslich gibt es noch ein drittes Phänomen: Wer in einer Partei keinen Platz mehr findet, gründet einfach eine neue. Wie Herr Wiedemann, der ex-Grüne in Baselland. Oder Herr Bäumle, der ex-Grüne in Zürich, Widmer-Schlumpf, die ex-SVPlerin.
Sie haben eines gemeinsam: es handelt sich um politische Eintagsfliegen.
Marc Schinzel meint
Das ganze Leben besteht aus Situationen, in denen man sich eine eigene Meinung bilden und sich für oder gegen etwas entscheiden muss. Wer dies kann, wird es auch in einer Partei so halten. Wer es nie konnte, wird auch in einer Partei nur Mitläufer sein.
Rudolf Mohler meint
Vieles im Artikel ist für mich stimmig. Aber eine Dimension fehlt halt doch.
Für die Parteien hat sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges etwas stetig geändert. Früher waren Parteien – noch mehr bei den Linken als bei den Bürgerlichen – Gemeinschaften, die ganz bestimmte Ziele gemeinsam erreichen wollten. Sie waren die „Treiber“, die die Anstöße zu politischen Zielen auch einbrachten.
Heute kommen die allermeisten solcher Anstöße aus der Staatsmaschine (z.B. Verwaltung, Expertenkommissionen, internationalen Organisationen) und werden dann erst von den Parteien rezipiert. Damit ist das Schema wie verrutscht. Heute sind Parteien primär nicht mehr „Zielegemeinschaften“. Heute zeichnen sie sich vor allem durch mehr oder weniger stark gemeinsam akzeptierte Grundwerte aus. Also von der „Zielegemeinschaft“ zum „Werteclub“.
Dieser Wandel zieht es auch mit sich, daß man viel rascher eine eigene Partei „aufmacht“. Immer dann, wenn halt das gemeinsame „Wertegefühl“ auseinandergefallen ist.
Chienbäse-Bärti meint
Dieser elegante FDP-Werbespot soll womöglich darüber hinwegtäuschen, dass den Köpfen der Nachfolger der damaligen Gründerpartei die Ideen ausgegangen sind. Ideen (Ziele und Werte) werden tatsächlich in der Verwaltung und den Expertenkommissionen ausgebrütet; dort haben sich ja die führenden Geister der Parteien niedergelassen und festgesetzt.
Rainmaker meint
Wenn Vorlagen aus den immer professionelleren Verwaltungen immer dicker werden und hunderte Seiten umfassen, dann haben die „Teilzeitpolitiker“ in der Tat nur noch bedingt Zeit, Kreativworkshops durchzuführen….
Meury Christoph meint
Mehr Querdenker würden den Parteien insgesamt gut tun. Bessere Ideen und Projekte entstehen nur aus dem Diskurs und der entsprechenden Reibung. Händeschüttelnd und schulterklopfend ist noch nie etwas Besseres entstanden. Deshalb mehr Mut zum Querulantentum. Meinungsvielfalt ist eine Stärke. Auch eine Stärke der Schweiz. Bei der heterogenen Schweizer Bevölkerung kann nicht alles über einen Leisten geschlagen werden. Ergo muss auch die Politik keine Einheitslösungen finden und so tun als sei die allgemeine und flächendeckende Harmonie ein Gemeinschaftsziel.
Grummel meint
Meury, wenn ich «Diskurs» lese, wird mir schlecht. Und wenn ich «Querdenker» lese, fallen Sie mir ein. Allerdings nur im Zusammenhang mit einer Vakanz im Präsidium der «Sozialdemokratischen» Partei des Kantons. Sie sollten dieses Vakuum ausfüllen: Ein wenig Botox, schwarzes Haar, Eloquenz. Ein gereifter Adil. Auf geht’s.
Henry Berger meint
Guter Artikel – insbesondere möchte ich Ihre Aussage, dass das „Phänomen“ nicht in die Schweizer Politlandschaft passt, unterstreichen! Konsequenterweise müsste die SVP eigentlich das Panaschieren politisch bekämpfen (kommt vielleicht noch). Zurzeit dreht die SVP ZH ja fast durch, da sich Zürcher FDP-Vertreter „erdreistet“ haben, auch SP- und grüne Regierungsräte als wählbar zu bezeichnen. Leider scheint auch das Märchen der völlig links-orientierten Parlamente und Regierungen zu verfangen…