Die Wahlkämpfer, die auf der Strecke blieben, befinden sich noch immer in einem tiefen Loch.
Wo sie nach Erklärungen für ihre Niederlage suchen.
Lassen wir sie also in Ruhe.
Wenden wir uns lieber dem Brexit zu, wo sich bei mir, ich gebe es zu, nach vier Jahren des interessierten Zuschauens, ein gewisser Überdruss eingestellt hat.
Selbst die Brexit-Anhänger hierzulande sind erstaunlich ruhig geworden.
Ob die Briten jetzt endlich gehen oder doch noch nicht, ist keine eine wirklich interessante Frage mehr. Irgendwie, muss man aufgrund der sich schon längst im Kreise drehenden Diskussionen annehmen, dass sie irgendwann und irgendwie aus der EU rausflutschen werden.
Oder halt auch nicht.
Interessanter ist vielmehr zu beobachten, wie sich das politische System der Briten in den letzten vier Jahren gewandelt hat.
Man versucht den Schein von Demokratie mit der Tradition aufrecht zu erhalten, wozu die Queen noch immer vortrefflich taugt.
Doch die unendliche Geschichte des Brexit legt die Zweifel der Zeit ziemlich brutal offen, nämlich die über die Tauglichkeit eines demokratischen Systems in Zeiten der inneren Zerrissenheit.
Und der Suche einer Nation nach ihrem Selbst.
Da gibt es diesen Satz von Goebbels aus dem Jahr 1933, den ich kürzlich gelesen habe.
Angesichts der parlamentarischen Manöver und den politischen Intentionen des nordisch-blonden Premierministers, kann man sich ob dessen plötzlicher Aktualität ungläubig die Augen reiben:
Die moderne Struktur des deutschen Staates ist eine höhere Form der Demokratie, in der die Regierung aufgrund des Mandats des Volkes autoritär ausgeübt wird, während es keine Möglichkeit für parlamentarische Einmischung gibt, um die Ausführung des Volkswillens auszulöschen und unwirksam zu machen.
Ist es möglich, dass die fast schon krankhafte Obsession der Briten mit Nazi-Deutschland jetzt im Jahr 2019 recht eigenartige Blüten treibt?
Marc Schinzel meint
Abwegiger Vergleich. Johnson schlug soeben Wahlen im Dezember vor. Die Meinungsfreiheit geht wohl in keinem anderen europäischen Land so weit wie in Grossbritannien. Genauso die Vereinsfreiheit. Die UK-Gerichte kontrollieren Johnsons Kompetenzüberschreitungen ziemlich rasch und effektiv. Goebbels wie Hitler waren braunhaarig, nicht nordisch-blond, wie praktisch alle Nazi-Führer bis auf Heydrich. Von einer „krankhaften Obsession der Briten mit Nazi-Deutschland“ kann keine Rede sein. Es war da halt mal etwas. Auch beschäftigen sich andere Staaten, nicht zuletzt Deutschland selber, mehr mit besagter Unzeit als die Briten. Was durchaus nicht schlecht ist.
M.M. meint
Sie sind nicht auf der Höhe der aktuellen Diskussion.
Die UK-Gerichte kontrollieren Johnsons Kompetenzüberschreitungen ziemlich rasch und effektiv.
Eben deswegen, sie oben.Dazu noch diese Zitate aus dem Independent:
Johnson spoke to BBC about his intention to push for another general election regardless of opposition, the FT reported. He said:
Johnson’s comment that parliament – which is the backbone of a democratic society – is useless has prompted accusations of totalitarianism.
Marc Schinzel meint
Sicher kein schlauer Spruch von Johnson. Den hört man aber so ziemlich überall, auch bei uns (Parlament = “Schwatzbude“). Sie sind ja diesbezüglich auch nicht immer ganz unkritisch … 🙂 Und gemäss Independent will er ja die Wahlen, die er, weil es im Unterhaus ein 2/3-Mehr braucht, natürlich trotz allem Gerede nicht selber durchsetzen kann; er kann ja nicht gut allein auf die Strasse stehen und “wählt mich“ rufen. Der hinkende NS-Demagoge dagegen rief meines Wissens nie nach Wahlen.
M.M. meint
„Den hört man aber so ziemlich überall, auch bei uns (Parlament = “Schwatzbude“).“
Es war Blocher, der das Parlament als Schwatzbude beschimpfte.
Für die FDP, die Sie repräsentieren, mag das ein harmloser Scherz sein.
Für mich nicht. Vergegenwärtigt man sich die damals von der SVP geschürte Stimmung, ist er Ausdruck einer zutiefst antidemokratischen Gesinnung.
Wie Johnson heute konstruierte Blocher einen fiktiven Kampf „Volk“ gegen die „Classe politique“.
Es geht nicht mehr um den demokratischen Diskurs, sondern um Empörungsbewirtschaftung.
Die Wahlen haben gezeigt, dass das „Volk“ darauf nicht mehr abfährt.
Marc Schinzel meint
Nein, auch für mich ist “Schwatzbude“ nur despektierlich. Ich gehörte ohnehin nie zu denen, die den Staat schlecht reden. Faszination und Respekt gegenüber unseren Institutionen ist ein zentraler Grund für mein Politisieren und meinen Eintritt in die FDP, die ja diesen Staat entscheidend mitgestaltet hat. Autoritäre Vorstellungen egal welcher Ausrichtung können nie das Ding der Freisinnigen sein. Wenn man die Welt etwas bereist, sieht man rasch, was man bei uns hat. Ich meine nur, diese Art der Kritik gibt es weit über UK hinaus. Gerade deshalb sollten Sie vielleicht doch auch wieder wählen gehen?