Ich bin, wie die meisten, nicht in der Lage zu beurteilen, ob die Order des Bundesrates (und der Basler Regierung in dessen Schlepptau) richtig war, die Durchführung der Basler Fasnacht wegen Covid-19 zu verbieten.
Weshalb diese epidemiologische Frage nicht Gegenstand meiner Betrachtung ist.
Wenn wir also die Gesundheitsbox mit ihren offenbar eigenen Spielregeln verlassen, uns den Entscheid vor dem Hintergrund eines noch immer sehr gut funktionierenden liberalen, demokratischen Staates mit 26 teilsouveränen Kantonen betrachten, dann hat sich letzten Freitag Erstaunliches zugetragen.
„Bern“ hat mit einem Bundesratsentscheid ins Alltagsleben aller Bürger eingegriffen.
Wie noch nie zuvor.
Gesetzlich legitimiert, keine Frage, aber letztendlich mit längerfristigen Konsequenzen für unser föderalistisches Staatwesen, die noch nicht abzusehen sind.
Was mich zum Nachdenken zwingt, ist das nicht von der Hand zu weisende Faktum, dass wir uns einer Bedrohungslage ausgesetzt sehen, die gefühlt als neuer Pestzug daherkommt und deshalb unser Bewusstsein mit schrecklichen Bildern aus dem kollektiven Unterbewusstsein flutet, man könnte auch sagen: mit in unseren Genen gespeicherten Schreckensszenarien.
Eine Bedrohungslage, die gemessen an Zahlen und Fakten weit davon entfernt ist, ein apokalyptisches Ausmass zu erreichen.
Von den 1,4 Milliarden Chinesen sind gemäss jüngsten Zahlen gerade mal 80’000 an SARS-CoV-2 erkrankt. Aktuell sind davon rund 3’000 Menschen dem neuartigen Coronavirus zum Opfer gefallen.
Wenn man sich die aktuellen Sterbestatistiken Chinas betrachtet, die weltweit als erhärtete wissenschaftliche Daten über den Verlauf der Krankheit gelten, dann sticht hervor, dass die höchste Sterblichkeit jene Bevölkerungsgruppen aufweisen, welche auch bei einer „gewöhnlichen“ Grippe eine höhere Mortalität als der Durchschnitt der Bevölkerung aufweist.
Während also – die gute Nachricht – bislang keine Kinder unter den Coronavirus-Opfern zu beklagen sind, bis fünfzig die Mortalität bei 0.2% bis 0.4% liegt, erreicht die Sterblichkeitsquote bei 70jährigen 8% und bei über 80jährigen hohe 14.8%.
Der Untersuchung zufolge haben Menschen ab einem Alter von 80 Jahren, das höchste Risiko (auch noch) an Covid-19 zu sterben.
Woraus geschlossen werden kann, dass die schweizerischen Gesundheitsbehörden wegen einer bestimmten Altersgruppe einschneidende Massnahmen wie noch nie für alle erlässt.
Für eine Altersgruppe, die wegen der saisonalen Grippe derzeit ohnehin die Betten in den Intensivstationen unserer kantonalen Spitäler füllen.
Nochmals: Ich zweifle keineswegs an der Kompetenz der Fachleute beim Bund und stelle auch nicht die nun mal getroffenen Massnahmen in Frage.
Mein Thema ist die Politik.
Was mich beunruhigt ist deshalb, wie rasch in einer Lage der allgemeinen Verunsicherung, ein auf starken Fundamenten und Traditionen aufgebautes demokratisches System in ein semi-autoritäres Regime kippen kann.
Für mich als Citoyen ist nicht mit dem Umstand, dass die Basler Fasnacht ausfällt, das bislang Undenkbare eingetroffen, sondern mit dem Entscheid des Bundesrates diese zu verbieten.
Welch eine Machtverschiebung hin zu unserer aus guten Gründen eher schwachen Zentralregierung.
Weil dieser Vorgang als Schulbeispiel gelten wird ja muss, wie die selben Mechanismen autoritärer Regimes plötzlich auch bei uns funktionieren: In einem Klima von Verunsicherung und Angst, können Massnahmen durchgesetzt werden, die den Kern des freiheitlichen Selbstverständnisses einer Bevölkerung treffen.
Ich wundere mich, dass auch bei uns gilt, was wir sonst anderswo beobachten: Wie offenbar selbstverständlich die – polemisch ausgedrückt – „Anordnungen der Obrigkeit“ von einer Mehrheit nicht nur hingenommen, sondern gar begrüsst werden.
Darüber müssen wir diskutieren, wenn sich das Coronavirus verzogen hat.
Henry Berger meint
… es ist halt schwierig, wenn die Ich-ich-will-alles-aber-schnell-Fun-Gesellschaft sich plötzlich mit Grenzen konfrontiert sieht.
Walter Steinmann meint
Die Zusammenarbeit Bund – Kantone ist für die diversen Krisenfälle (Atom, Biologie, Chemie, Naturkatastrophen, Technologische Risiken) klar geregelt und die einzelnen möglichen Ereignisse werden periodisch im Verbund der Führungsstäbe Bund – Kantone – Gemeinden geübt.
https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20171280/index.html
Aber es ist schon so, dass es auf Bundesebene (nach Rücksprache mit den in die Gremien involvierten Kantonsvertreter) leichter ist, derartige Entscheide zu fällen. Für eine BS-Kantonsregierung würden wohl in einem Wahljahr bei einem Entscheid „Fasnacht – ja oder nein“ nicht nur Gesundheitsaspekte gewichtet.
Bei jeder Gesetzesanpassung auf den drei Ebenen werden die Fragen der demokratischen Legitimation wieder diskutiert werden müssen. IN der Krise selbst braucht es aber vor allem Führung und eine eingespielte Zusammenarbeit aller involvierten Gremien. Und natürlich stimmen die Medien vorerst einige Tage in den Mainstream-Chor ein: aber in wenigen Wochen werden wir dann mit kritischen Berichten zu einzelnen nicht ganz schweiz-Iike superperfekten Lösungen sowie möglichen Schuldigen für einzelne Versäumnisse versorgt.
Urs Gygli meint
Schön zu sehen ist ja auch, wie die Medien, die eben noch den Staat wegen den Chiffriermaschinen in die Pfanne hauen wollten, jetzt als Transmissionsriemen zwischen den Behörden und dem tumben Volk funktionieren und Berset und seinen Abteilungsleitern fast in den Arsch kriechen. Die gleichen Medien, die uns weismachen wollen, dass unser Fleischkonsum schuld ist an den Buschbränden in Australien und dass es ohne Golf Diesel viel mehr Eisbären geben würde.
Eigentlich verständlich, dass in Liestal und in Sissach das neue Katastrophenszenario nicht wirklich ernst genommen wurde. Sehr wahrscheinlich weil die Chinesen ihre Papiertaschentücher in den Papierkorb statt in den Ochsnerkübel geschmissen haben.
Michael Przewrocki meint
Genau richtig gehandelt. Bei Teilverboten richtige Fasnachtskarawanen quer durch die Schweiz mit entspr. Chaos. Der Bund hat Gesundheits-Chaos verhindert.
Verlängerung Fasnacht 2021 ist wohl auch Gaga. Würden nicht Viele durchhalten rsp ertragen……
Michael Przewrocki meint
Wird das Bier 2 Wochen lang verboten sinkt die Sterblichkeitsrate auch. Ist auch eine Art Dauerepidemie. Versuchen wirs doch mal.
Patrick meint
Natürlich sind diese Massnahmen extrem undemokratisch, wir sollten alles dran setzen, in Zukunft solch weitgehenden Massnahmen nur nach Volksabstimmung mit Ständemehr umzusetzen!
Böser Spass beiseite: Wir haben ein Epidemiegesetz welches dem Bund, gerade weil in solchen Fällen zeitlich wenig Spielraum bleibt, weitgehende Befugnisse zur Eindämmung (oder zumindest zeitlichen Streckung) einräumt. Da spielt dann sicher auch eine Rolle, dass neben den Ü80-jährigen auch sämtliche Menschen gefärdert sind, deren Immunsystem aus welchem Grund auch immer chronisch geschwächt ist und die dann ebenso darauf angewiesen sind, Zugang zu einem Spitalplatz etc. zu kriegen. Jetzt von einer Machtverschiebung zu reden oder den Föderalismus in Gefahr zu sehen wirkt, naja, sagen wir mal etwas weltfremd.
gotte meint
wie naiv, dieser kommentar. ich gehe vielmehr davon aus, dass diverse kantonsregierungen den bundesrat angefleht haben, gestützt aufs epidemiegesetz diese massnahmen zu treffen. unter anderem deshalb, weil dann die lästige frage der staatshaftung geklärt wäre.
M.M. meint
…diverse kantonsregierungen den bundesrat angefleht haben,… das sehe ich aber genauso.
Genau deshalb muss man Fragen stellen – politische.