Es ist ja schon so, dass man Wahlen nicht mit Parteiprogrammen gewinnt oder einem, von mir aus, guten Leistungsausweis der letzten vier Jahre. Es gewinnen in dieser mediengeilen Politikerwelt diejenigen, denen das Schicksal kurz vor dem Wahltermin ein Knallerthema in den Schoss schmeisst. So war es vor vier Jahren mit Fukushima, Fortuna sei Dank, das die Grünen schon 2011 vor dem grossen Absturz bewahrt hat.
Und so hofft dieses Mal die SVP, die Flüchtlingsbilder vom Mittelmeer und vom Balkan hätten die Wirkung eines Stimmen-Boosters für neue Rekordergebnisse. Losgelöst von der geringen Qualität des Personals. Und überhaupt die Eritreer! Wer nun meint, ich setze hier zu einem kraftvollen Keulenschwung gegen die Sünnelis an, den muss ich enttäuschen. Nein, die Partei mit dem Markenslogan „Schweizer Qualität“, den mein Metzger fürs Biorindfleisch benutzt, inklusive Schweizerfähnchen am Zahnstocher, bewirtschaftet lediglich ein Thema, das „die Leute“ bewegt.
Sie kann nicht anders.
Wie alle, die einer Ideologie, einem Parteiprogramm, einer Kirche oder dem Veganismus anhängen, haben sie es ungemein leichter als unsereiner, die Welt und ihre Flüchtlinge in ihr geistiges Planquadrat einzuordnen und im Festzelt lautstark rasche Lösungen zu fordern. Ich bin Agnostiker, weshalb ich sehr viele Fragen für nicht beantwortbar halte. Mir fehlen schlüssige Erklärungen, um die Bilder von den Menschen auf Booten, in den überfüllten Zügen, in Parkanlagen einsortieren und bewerten zu können. Sunniten und Schiiten, Kurden und Jesiden, Afghanen, Iraker, Somalier und dann noch die Eritreer – Menschen, die sich aufgemacht haben, um ihren Traum von einer besseren Zukunft zu verwirklichen. „Wer angesichts solcher Bilder kein Mitleid empfindet, der hat kein Herz, wer aber nur Mitleid empfindet, von dem er sich mit einer Spende befreit, der hat keinen Verstand“, hat der deutsche Journalist Henrik M. Broder kürzlich mein Dilemma beschrieben.
Die plausibelste Erklärung für diese Völkerwanderung (?) hat vor Jahren der deutsche Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe Gunnar Heinsohn vorgelegt. Er hat 2003 in seinem Buch „Söhne und Weltmacht“ die These vertreten, dass es in einer Gesellschaft mit einem Jugendüberschuss von über dreissig Prozent dann zu erheblichen sozialen Spannungen kommt, wenn vor allem die jungen Männer keine gesellschaftliche und berufliche Perspektive hätten. „Diese entladen sich entweder in Kriegen, Bürgerkriegen oder massiven Auswanderungen.“ Nichts kann sie aufhalten.
Zum Beispiel die Eritreer.
Manchmal trotten ein paar der durchaus sympathischen jungen Männer durchs Dorf zu einem Arbeitseinsatz. In Zweierkolonne und mit gelben Signalwesten versehen. Vorne weg eine Aufseher Begleitperson und hinten noch eine. Einheimische, erkennbar an ihren blauen Signalwesten. Fehlen nur noch die Fussketten, meinte der Zyniker in mir, und dazu Sam Cooke’s 76er Hit „Chain Gang“.
In Arlesheim ist seit ein paar Wochen ein Abklärungszentrum in Betrieb, notfallmässig eingerichtet, mitten im Dorf. Keine Proteste, keine Unterschriftensammlungen, keine Leserbriefempörung. Dabei hatte noch im Dezember 2010 die Arlesheimer Gemeindeversammlung mit nur zwei Stimmen Mehrheit ein Asylzentrum im Industriequartier abgelehnt. Zumindest in Arlesheim wird man mit Flüchtlingsschicksalen keinen Wahlkampfprofit einstreichen können.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 9. September 2015
Grummel meint
Nicht vergessen: Die «Linke» bewirtschaftet dieses Thema ebenfalls.
Halt auf ihre Klientel zugeschnitten: Mit «Forderungs-Katalog» und gespendeten Schaukelpferden.
Noch ist das «Problem» bei uns rein virtuell. Wenn die Pärke besetzt, die Zeltdörfer aufgestellt und die ersten jungen Muslime unkontrolliert durchs Dorf gestreunt sind, dann werden wir sehen, was von der «Solidarität» noch bleibt.