Heute habe ich einen wirklich erstaunlichen Artikel via Twitter gelesen:
Gedruckte Tageszeitung finden noch immer deutlich mehr Leser als ihre Online-Ausgaben.
Die Grundlage für diesen Klopfen-wir-uns-selbst-auf-die-Schultern-Artikel bildet eine repräsentative Umfrage mit sage und schreibe 23’600 Schweizerinnen und Schweizern ab 14(!) Jahren.
Sie besagt, dass 3,9 Millionen Menschen im Land der acht Millionen regelmässig eine gedruckte Tageszeitung lesen, aber nur „334’000 halten sich allein mit Online-Nachrichten auf dem Laufenden.“
Was Verleger und Journis zum Schluss führt: alles nicht so schlimm. Vergesst online. Denn, hurra:
Weniger als ein Zehntel der an Aktualitäten Interessierten verzichten auf gedruckte Informationen.
Jedoch: Beachtet man weniger den das Umfrageergebnis interpretierenden Text, sondern konzentriert sich auf die nackten Zahlen, dann kann man die Newsgewohnheiten der Leserhälfte der Schweiz auf einen einfachen Punkt bringen: Ob Online oder Papier ist wurscht, Hauptsache gratis.
2,6 Millionen derjenigen, die eine Tageszeitung lesen greifen zu den beiden Gratisblättern 20 Minuten (in drei Landessprachen) und Blick am Abend. Das sind 66 % aller Tageszeitungsleser! Oder, um es zu verdeutlichen: Nur gerade 34 % sind bereit, für Nachrichten auf Papier etwas zu bezahlen.
Das sind die schmerzlichen Fakten.
Zählt man noch die 334’000 Online-Only-Konsumenten hinzu, sieht die Sache noch viel verheerender aus: 74 Prozent der Schweizer informieren sich (nur noch) über Gratiskanäle.
Das ist das Besondere am Zeitungsmarkt Schweiz: In keinem anderen Land Europas sind Gratisblätter derart dominant wie im Alpenland. Nirgendwo in Europa ist der Gratisnachrichtenkonsum derart ausgeprägt, wie in der Schweiz.
Dank Tamedia und 20 Minuten sind die Schweizer in nur wenigen Jahren erfolgreich zu Gratisnewskonsumenten umerzogen worden. Deshalb lautet das Marktgesetz aus Sicht der Konsumenten (ich wiederhole mich): Ob Papier oder Online ist wurscht, Hauptsache gratis.
Übrigens: Mit dem Titel zeigt der Diensthabende, dass er über eine gute Portion hintersinnigen Humor verfügt: „Wer ein breites Publikum sucht, braucht Papier“. Oder er hat einen Beratervertrag mit einem Zeitungspapierlieferanten.
PS: Lasst mich mal spekulieren: Hätte der Journi nicht bloss die globalen Zahlen veröffentlicht, sondern die nach Altersgruppen aufgegliederten Detailzahlen, wäre das Resultat in der wichtigen Nachwuchsaltersgruppe unter 30 vernichtend.
Michael Przewrocki meint
Man könnte ich deuten. Wer viel Sch… schreibt braucht auch viel Papier. Mal über die Qualität nachdenken.
matthias meint
Du hast Recht, Manfred. Die Frage heute heisst gratis oder bezahlt. Dazu kommt noch, dass die erwähnte Studie nur die Online-Angebote der Pressevelage einbezieht. Also nicht: srf.ch, cnn.com und so weiter. Würde man diese ebenfalls berücksichtigen, wäre das Resultat für die Bezahlzeitungen noch dramatischer.
Rainmaker meint
Spannend in dem Zusammenhang ist auch die Rolle des TV – habe mir gestern unabsichtig wieder einmal 10vor10 angeschaut. Der Newsgehalt tendiert gegen Null. Ausser die rollenden Damen wurde alles schon X-fach online diskutiert – oft auch fundierter….