Klar bin ich aufgestanden und habe die Direktübertragung der Präsidentendebatte auf der BBC angeschaut.
Und inzwischen jede Menge Kommentare zur Debatte gelesen.
Ich fand die Debatte unterhaltsam.
Für die Uhrzeit.
Ich fand sie unterhaltsam, weil die Kontrahente das geliefert haben, was man zuvor erwartete: Trump liess seine zwanzig Beller-Sätze von der Leine und Biden kam hin und wieder an den Punkt, wo man dachte, jetzt verliert er irgendwo in Alzheim für immer den Faden.
Was da ablief, sei der amerikanischen Demokratie unwürdig, wird geschrieben.
Bullshit.
Das war amerikanischer Wahlkmapf at it(‚)s best.
In den USA wird um die Macht gekämpft, so brutal wie einst um die Gold-Claims im Westen. Da geht es nicht um inhaltliches Kleinklein, da geht es nur darum, zu gewinnen.
Nach der Devise „The winner takes it all“.
Weil der Gegner tot ist.
„The winner takes it all“ – diesem Grundsatz folgt nicht nur das US-Wahlprozedere, das keine Direktwahl des Präsidenten durch das Volk kennt.
Um Präsident zu werden, braucht es kein Volksmehr, sondern eine Mehrheit der Wahlmänner.
Oder wie Bush ein Gerichtsurteil.
Diesem Grundsatz folgen die willkürlichen Grenzziehungen der Wahlbezirke.
Diesem Grundsatz folgen die hohen Hürden bei der Wählerregistrierung (in einem Land, das weder Personalausweise kennt noch Wohnsitzregister führt).
Diesem Grundsatz folgen am Wahltag auch die Entscheide der lokalen Behördene über Standort und Zahl der Wahllokale in einer Stadt.
Vor diesem Hintergrund war diese erste Debatte ein Spektakel, der den amerikanischen Wahlgepflogenheiten absolut gerecht wurde.
Ich denke, Trump hat sich besser geschlagen als Biden, obwohl ich während der Debatte getwittert hatte, Biden liege vorne.
Doch das war durch die schweizerische Brille betrachtet. Biden machte halt ein wenig auf Bundesrat.
Trump hingegen was so, wie er immer ist.
Authentisch.
Er hat die Schlagzeilen geliefert, welche die „Fake-News“ erwartet haben.
Er hat sich nicht an die vereinbarten Regeln gehalten. Hat dreingeredet, wann immer es ihm passte.
Was aber ziemlich egal ist.
Weil es schlussendlich nicht um Trump oder Biden geht, sondern um handfeste Interessen von beiden Seiten.
Es geht um völlig unterschiedliche Auffassungen, wie man einen Staat organisieren soll.
Der einen Seite hehre Absichten zuzubilligen – den Demokraten – und die anderen als finstere Verschwörer und durchgeknallte Spinner abzutun – die Republikaner – ist ziemlich holzschnittig.
So einfach gestrickt sind selbst die Amerikaner nicht.
Trump hat in den letzten vier Jahren das geliefert, was die nationale Wirtschafts- und Geldelite schon seit Jahren auf ihrer politischen Agenda hatte.
Zum Beispiel das Rechtssystem zu entliberalisieren (im europäischen Sinn).
Die Wahl konservativer und wirtschaftsfreundlicher Richter ist wichtiger, als diesen oder jenen Sitz im Senat und Repräsentantenhaus zu halten.
Die Nachfolge Bader Ginsburgs am Obersten Gerichtshof ist wichtiger als die Wiederwahl Trumps.
PS: Die Abstimmungsgepflogenheiten der Schweizer sind den übrigen Europäern ebenso ein Rätsel, wie den Schweizern der US-Wahlkampf.
Marc Schinzel meint
Die Debatte brachte null Überraschungen. Sie war ein Abbild dessen, was wir seit Jahren sehen in der US-Politik, die weder fähig noch willens ist, die tiefe gesellschaftliche Spaltung des Landes zu überwinden. Es wird immer noch mehr Öl ins Feuer gegossen. Der beste Satz der Debatte ging etwas unter: Trump „is Putin’s puppy“, meinte Joe Biden. Völlig richtig. Das betrifft auch uns. Unter Trump haben sich die USA aus der globalen Aussen- und Sicherheitspolitik verabschiedet. Die Beziehungen zu langjährigen Allianzpartnern sind zerrüttet. Autoritäre Staaten springen gern in die Lücke, blockieren die UNO, annektieren fremde Gebiete und befeuern jeden Konflikt, gerade auch in Europa.
gotte meint
…und vielleicht hat sich jetzt grad alles erübrigt, heute, am 2. oktober, nachdem die meldung um die welt tickert, dass beim orange man desinfektionsmittel nicht geholfen haben…
Miraculix meint
Das sehe ich ein bisschen anders. Ein Streitgespräch, in dem der eine dem anderen sagt, er sei ein dummer Siech und der andere mit „Clown“ zurück gibt, ist eine Volksverarschung und ein ostentatives Kacken auf die Demokratie, die sich noch immer aus der besseren Lösung legitimiert und nicht durch ihre Dehnungsmöglichkeiten bezüglich Wahrheit, Gerechtigkeit, Redlichkeit und Ethik durch den gerade Mächtigen. Das Kulturniveau dieser Debatte ist nicht authentisch, es ist gewählt. Gewählt hat man extra die tiefere Schublade einer Barschlägerei, Trump hat angefangen, Biden hat mitgemacht. Nichts dagegen, dass man mit harten Bandagen kämpft, nichts dagegen, dass man den Gegner provoziert: für mich kam nur eins heraus, dass die beiden älteren Herren den gewaltigen Aufgaben nicht gewachsen sind, nicht gewachsen sein wollen, es ist ihnen völlig egal, sie wollen nur eins, den anderen mit dem Gesicht im Pflutter und Sieger sein, die Macht ergreifen. Ja, das ist dem mächtigsten Land der Welt, das sich auch noch erkühnt, sich Demokratie zu nennen, unwürdig, weil diese Show das gewaltige Problem des zerrissenen Amerika festbetoniert. Das Verhalten dieser beiden Windelbuben wird Kriegsmacher wie Putin oder Erdogan oder Assad sehr freuen. Ihr Verhalten in juristischen und Menschenrechtsbelangen wird bestärkt: Du darfst alles, wenn Du der Mächtige bist. Sagt man bei der Mafia auch, aber soll man das auch gut finden? Im Stil: Es gibt Korruption, also akzeptieren wir sie doch? Spielregeln, ist was für Weicheier. Das Argument, wir verstünden den amerikanischen Wahlkampf nicht, entspricht etwa der Tiefenschau, wie wenn Hip-Hop-„Fachjournalisten“ mit Unmut und Stirnrunzeln darauf reagieren, dass man sich an Ausschwitz-Reimen und Verherrlichungszeilen von sexueller Gewalt gegen Frauen bei ihren Jogginghosenhelden stösst. Auch die sagen, wir verständen halt die Hip-Hop-Battles nicht. Doch, doch, wir haben ganz genau zugehört, und haben ganz genau verstanden. Wie auch bei dieser „Debate“. P. S. Wenn man das Kulturargument in einem zivilisierten Machtkampf und inhaltliche Redlichkeit für überholt und entbehrlich hält, dann hätte ich einen sehr effizienten Vorschlag für die nächsten „Debates“: Trump und Biden sollen sich auf der Bühne vor den Kameras duellieren. Dann ist die Sache nach 3 Minuten klar. Beide hatten ihre „Chance“. Das wäre authentisch, gemäss der extra zur Schau gestellten, gegenseitigen Verachtung. Argumente? Pengpeng, das sitzt.
U. Haller meint
Wenn eine so alte Demokratie wie die USA nur noch zwei pöbelnde Rentner aufzubieten vermag, ist das doch ein recht erschütterndes Spiegelbild über das kaputte politische System in diesem Land.
Und was Trumps Manieren gegenüber der Presse anbelangt, geht mir immer wieder die sog. »Aktion Trump« von 1940 durch den Kopf. Man darf gerne googeln. Und ja, dieser Nazi-Typ war ein weiter Verwandter von Donald. Ob solche Ähnlichkeiten rein zufällig sind…????
Gregor Stotz meint
😉
gotte meint
die oberlehrerin in mir meint: „at it’s best“ schreibt man „at its best“. die europäerin in mir meint: „at its worst“.
M.M. meint
The senior teacher is right. „At it’s best“ means „at it is best,“ which is nonsense.
Andrea Müller meint
Jedes Land hat die Politiker, die politische Kultur, die es verdient.
Haben die Amerikanerinnen und Amerikaner das verdient? Udn wie steht es mit unserer Polit-Kultur?
M.M. meint
Wir arbeiten uns sehr hart an der SVP ab. 🙂
Wobei – die CVP OMG, die FDP wtf, die SP – Schwamm drüber, die Grünen – Kräutergarten – ich glaub, wir haben auch die, die wir verdienen.