Heute ist Freitag. Heute ist TagesWoche-Tag. Und ich bin ratlos, was ich mit diesem Blatt machen soll, wie all die anderen Freitage zuvor.
Gut, lesen halt, wird man mir entgegenhalten. Doch was?
Das fängt schon beim Titelbild an. Seit 200 Jahren haben Legionen von Setzern/Grafiker/Layoutern sich Gedanken gemacht, über die Gestaltung, die Gesetzmässigkeit von Zeitungstitelseiten.
Es gibt Hunderttausende von Vorbildern.
Die TagesWoche-Macher verblüffen das Publikum Woche für Woche mit einem Titel, wo man denkt, die üben noch immer.
„Es ist kalt im Kosovo“, lautet der Titel – welch ein Einfall, was für eine Schlagzeile! Hei treibt die die Leute an den Kiosk.
Die Unterzeile „Ein Blick ins Innere – und Ansichten aus der Schweiz“, das ist etwa so originell wie, „Hund pisst an Laternenpfahl“.
Die Absicht ist klar. Diese Schulmeisterjournalisten wollen uns zum Nachdenken bringen anregen. Schliesslich müssen wir ja ein Wochenende hinter uns bringen.
Wie bei der WELTWOCHE ist auch bei der TagesWoche nicht ein Funke Überraschung zu finden.
Alle Porträtierten und Zitierten spielen die Rolle, die man erwartet. Bis hin zum total integrierten Kardiologen, bei dem ich mich lediglich gefragt habe, weshalb der hier bleibt und nicht in den Kosovo geht.
Hier wäre er sofort ersetzt und dort hätten sie einen der dringend benötigten Fachärzte.
Dann kommt, weil es dazu passt, die Geschichte über das „letzte Asylheim vor der Grenze“. Und schliesslich, man lässt diese Woche nichts aus „Das gefährliche Geschäft der Rohstoffbarone“.
Tut mir leid, aber diese thematische Nische besetzt Surprise.
Den Höhepunkt in dieser Ausgabe ist ein Interview auf drei Seiten mit der Frau Kuratle und dieser Lead:
Früher hat Regina Kuratle Gitarre gespielt, bis ihr fast die Finger abfielen. Mit gleichem Einsatz refomiert sie nun die Basler Schule.
Ist das originell?
In der Sektion Sport erfahren wir, dass Eisschnelllaufen „ein Sport auf Sinnsuche zwischen Tradition und Moderne“ sei. Ich kann das nicht beurteilen, ich weiss nur, dass in Basel und Umgebung, ja selbst in der Schweiz der Eisschnelllauf noch exotischer ist als Hornussen.
Wie man raushört, bin ich ziemlich sauer.
Was stimmt. Mich ärgert die Konzeptlosigkeit dieses Blattes. Mich ärgert die amateurhafte Arbeit dieser Redaktion (der Online-Auftritt ist eine derartige Katastrophe, dass man da gar nichts mehr retten kann, auch wenn, wie man hört, fieberhaft an einem neuen gebastelt wird – hallo, vier Monate nach dem Start, das muss man sich mal leisten können).
Mich ärgert die arrogante Besserwisserei, dieser Mitte-Mief. Ihr macht das Blatt nur für Euch und nicht für die Leser. Eure einzige Antrieb, die euch in die Tasten greifen lässt, ist euer Antisommreflex.
Doch der hat, was Euch ganz entscheidend fehlt: journalistisches Feuer unterm Hintern.
Leute, ich habe nichts gegen euch persönlich. Die meisten kenne ich schon seit langem. Aber was ihr als Kollektiv Woche für Woche zusammenbastelt ist eine Zumutung.
Hört bitte damit auf.
PS: Die „Basler Woche“ ist kein neue Blatt. Ich war 1983 für ein Jahr dort Chefredaktor und hatte das Blatt innert drei Wochen völlig umgekrempelt. Das ist fast dreissig Jahre her. Zu dem Layout und auch zum Inhalt kann ich noch immer stehen.
Wir hatten einen Redaktor, der die Produktion des 24-Seiten-Blattes verantwortet hat, plus etwa zehn freie Mitarbeiter. Sie war die erste Zeitung in der Schweiz im Tabloidformat, war gratis und hatte eine Auflage von 15’000 Exemplaren. Sie gehörte, was damals nur wenige wussten, der Basler Zeitung. Am 30. Dezember wurde sie eingestellt. Ich war zu der Zeit auch noch Chefredaktor des doppelstab mit fünf RedaktorenInnen. Ich war, wir waren 24/7-Journalisten.
Karl Linder meint
Mommol, das sind natürlich ‚Kracher‘ an Headlines. Damals von der Basler Woche „Zukunft gehört Basel“ 😉 Das hat die Kioskverkäufe sicherlich explodieren lassen.
Die Tageswoche ist ein Magazin, so seh ich das. Also vergleichbar mit dem Tagi Magazin z.B., auch wenns im Zeitungsformat daherkommt. Also mit Themen, die keinen Anspruch auf Kurzfutter haben. Klar gibts auch Überlappungen mit der Sonntagspresse z.B.
M.M. meint
Tagimagi – Sie hängen die Latte ziemlich hoch.
Tagimagi funktioniert halbwegs, weil es gratis führenden Tageszeitungen beigelegt wird. Hat eine völlig andere Funktion.
Aber bitte. Die Zeiten für Lokalamateure sind vorbei. Das Publikum hat einfach zuviel Auswahl.
Das Problem liegt darin, dass die unbedingt ein Printprodukt machen wollen, also ungefähr die Hälfte der Redaktion will das.
Cornelis Bockemühl meint
Tagimagi – hoch?? „Welche Sau wollen wir denn heute mal wieder durch’s Dorf treiben?“
Also ich bin ja auch dafür dass die TW noch zulegt, aber mit so einer Messlatte machen Sie’s den TW-Machern doch ein wenig zu leicht! 😉
l.h meint
zur not einen blattmacher vom blick anheuern? die wissen, wie man eine front anständig textet und das blatt am kiosk verkauft.
Cornelis Bockemühl meint
…dann würde ich es aber bestimmt nicht mehr kaufen oder gar abonnieren! 😉
NB: Was macht der „Markt“ mit den Medien? Er schaltet sie alle gleich! Heute haben wir hunderte und tausende Fernseh- und Radiokanäle zur Verfügung – und ich finde sie allesamt langweiliger und „gleicher“ als je zuvor… Warum? Alle wollen „die Mehrheit“ bedienen – und niemand denkt dabei an mich! 😉
Cornelis Bockemühl meint
Ich war ehrlich gesagt mehr ratlos mit diesem Pauschal-Kommentar als mit der TW! Denn das schätze ich daran gerade: Ich lese über Themen, die ich in der Presse sonst nicht finde. Und im Gegensatz zu fast allen anderen Zeitungen lese ich fast alles. Und finde tatsächlich nicht das Erwartete, sondern Themen, die gerade nicht durch die neuesten Kurzzeit-Hysterien getriggert werden. Brauche ich in der TW auch nicht – lese ich online oder wo auch immer: dem entgeht man eh nicht!
Trotzdem macht mir dieser Kommentar auch klar dass dies vielleicht für viele auch ein Nachteil ist: Erstens interessieren sich viele für nichts anderes als die sog. „Tagesaktualitäten“, dh. wer viel verkaufen will darf nicht so „überraschend“ daher kommen. Und zweitens kann man wohl kaum „informiert“ sein über den jeweils aktuellen „globalen Klatsch“ wenn man nur TW liest. Hat also eigentlich mehr Magazin-Charakter. Dem entspricht ja übrigens auch das Titelblatt mehr als irgendeiner bieder-altbackenen „Basler Woche“. 😉
In der alten „Weltwoche“, also im vorigen Jahrtausend, habe ich mich immer als erstes auf die Kolumne von Christoph Neidhart gestürzt. Dort erfuhr man ein Stimmungsbild von irgendeinem völlig abgelegenen Ort wo er gerade war – und wo gerade überhaupt nichts los war. An Solches erinnern mich viele TW-Beiträge!
Aber eben: Ich schätze das sehr – andere vielleicht weniger… Drum braucht’s wohl wirklich ein wenig mehr nicht nur lokale Tagesaktualität!
M.M. meint
“ bieder-altbackenen “Basler Woche“ – na klar doch, würde ich heute auch anders machen. Wobei – retro ist derzeit ziemlich in 🙂
Wir haben damals bei der Neugestaltung der Basler Woche das Blatt von Blei- auf Filmsatz umgestellt.
Das heisst, alle Artikel und Titel, alle Kasten- und Spaltenlinien wurden von Hand auf eine Matrix aufgeklebt. Nichts Computer und Bildschirm, kein Fotoshop, alles s/w, im Vergleich zu heute die reinste Steinzeit.
Ach ja, alle Artikel wurden mit Schreibmaschine geschrieben und gingen dann in die Setzerei. Ein ziemlicher Aufwand. Im Grunde genommen hatten wir drei Tage Zeit, um das Blatt zu schreiben und zu produzieren.
Michael Przewrocki meint
Die TW braucht noch externen Input, aber liebevollen. Es hat genug Leute mit neuen Ideen, sie müssten nur unterstützt werden.
Michael Przewrocki meint
Die Ueberraschungen kommen schon noch, wetten?
Dani Winter meint
So lang du dich so herrlich drüber aufregst, machen wir auf jeden Fall weiter. Auch wenn wir nie eine Basler Woche werden können. Um über diese Latte springen zu können, bräuchten wir noch ein paar Milliönchen von der Frau Oeri.
M.M. meint
Lieber Dani, ich hatte damals nicht annähernd das Budget, das ihr habt, glaub mir.
Schau, es ist doch einfach so: nächsten Mittwoch findet DAS Fussballspiel des Jahres statt, vielleicht sogar des Jahrzehnts. Und bei Euch – keine Zeile. Dafür diese eingekaufte Eislaufgeschichte.
Von einer Wochenzeitung erwarte ich zumindest ein Interview mit Hoeness, ein Feuilleton von Delnon, einen Hintergrund über den wirtschaftlichen Impact des FCB auf die Region und dazu noch ein zwei Exklusivtickets für Leser.
Eure Geschichten sind schlicht nicht relevant.
PS. Die Diskrepanz zwischen Eurem Twittern und Eurem Papier ist bemerkenswert. Komme nächsten Freitag darauf zurück.
Also strengt Euch an, wir beobachten Euch 🙂
Andres Egger meint
sic!