Kürzlich sorgte bei Medienschaffenden der Fall eines Journalisten der Berner Zeitung für sommerliche Aufregung. Dieser war an den Intentionen der Kommunikationsabteilung der Schweizer Post für eine Pressekonferenz aufgelaufen.
Kurz zusammengefasst: Die Kommunikationsabteilung wollte lediglich ein Fünffrageninterview zuslassen, der Journalist wollte mehr, worauf Post-VR-Präsident Hasler ins Plaudern kam. Doch die Kommunikationsabteilung blieb dabei und strich das Interview auf fünf Fragen zusammen. Basta.
Den ganzen Rest kann man hier nachlesen: Dreiste Einmischung in redaktionelle Angelegenheiten
Der Titel umschreibt sehr gut die als selbstverständlich aufgefasste Position der Journalisten.
Ihren Forderungen hat man gefälligst Folge zu leisten. Zu jeder Tageszeit. Sofort.
Diese E-Mails aus den Redaktionen sind sehr oft in einem ziemlich rüden Ton abgefasst, so als sässe man bereits auf der Anklagebank.
Beliebt ist bei Sonntagsblätterjournalisten, geballte Frageladungen am Freitagnachmittag abzudrücken, mit dem Ultimatum, die Antworten gefälligst bis Samstagmorgen einzureichen, man ansonsten der geneigten Leserschaft mitteilen werde, man habe keine Stellung beziehen wollen.
Wenn einem noch nicht ganz so erfahrenen Kommunikationsmenschen das passiert, wird er alle Hebel in Bewegung setzen, um der Aufforderung nachzukommen. Auch wenn sein Wochenende damit im Eimer ist.
Ist man jedoch lange genug im Geschäft, dann weiss man, dass der Freitagnachmittag Recherchetag der Sonntagsblätter ist und entscheidet je nachdem, ob man sich das Wochenende vermasseln lassen soll oder eben nicht.
Beliebt ist auch der Samstagmorgen. Zu dem Zeitpunkt ist der Beitrag weitgehend fertiggeschrieben. Wird ein Unternehmen dann „um eine Stellungnahme gebeten“, geht es nur noch darum, ein ergänzendes Zitat zu bekommen.
Wie das lautet ist völlig egal.
Einschub: Ich erinnere mich an einen Fall, wo der Fragenkatalog die Aufforderung enthielt, die Fragen doch bitteschön bis Sonntagfrüh zu beantworten. Der Beitrag erscheine erst in einer Woche, doch er, der Journalist verreise am Montag in die Ferien.
Zum Standardprogramm von Journis gehört, dass sie heutzutage für ihre Story IMMER eine fixfertige These haben. Dann rufen sie jemanden an, der diese bestätigt (findet man immer). Toll ist es, wenn dieser kräftig poltert, dann können die Antworten des betroffenen Unternehmens als hilflose Ausflüchte hingestellt werden.
Fertig ist die Story.
Das eigentliche Problem ist, dass es a) kaum mehr Journalisten gibt, die von der Sache, über die sie schreiben, tatsächlich etwas verstehen und b) ihnen – vermeintlich – die Zeit fehlt, sich in die Sache zu vertiefen.
Die Googlegeneration in den Redaktionen will sekundenschnelle Antworten.
Einschub: Kürzlich an einer Pressekonferenz – ein Journalist breitet nach der Pressekonferenz beim Programmpunkt „Einzelinterviews“ seine These aus, ein völliger Schwachsinn. Zunächst versteht man gar nicht, von was der eigentlich redet. Dann versucht man ihm die Materie näher zu bringen. Am anderen Tag liest man dann den Kommentar des Journis – wortwörtlich das, was er einem tagszuvor als These aufgetischt hat.
Doch kommen wir zum Kernpunkt: In den allermeisten Fällen ist es völlig schnorz, was Journalisten so schreiben.
Ergo beisst es niemanden mehr, wenn der Thesenjourni seine These verbreitet. In einer halben Stunde stellen die Kollegen von Online einen anderen Knaller ins Netz.
Wenn der Beitrag lediglich analog, dass heisst nur in der Printausgabe erscheint, ist der Relevanzwert sowieso als niedrig einzustufen.
Das Durchschnittsalter der Leser der Abozeitungen liegt so um die 60 Jahre.
Kommen wir zum Schluss nochmals auf den Fall der Post zurück. Da muss man die alles zusammenfassende Frage stellen: Was bildet denn sich dieser Kerl von der Berner Zeitung ein, wer er ist?
Wenn er nicht in der Lage ist, mit fünf Fragen auf den Punkt zu kommen und den Herrn Hasler festzunageln, dann soll er doch einfach den Beruf wechseln. In einer Tageszeitung sind Interviews mit mehr als fünf Fragen sowieso eine Zumutung an die Leserschaft.
Wer jedoch unvorbereitet an eine Pressekonferenz geht – 95 % aller Journalisten – muss aus purer Not drauflosfragen, um zum einen seine Wissenslücken aufzufüllen – (Pressekonferenzen sind heutzutage im Grunde genommen Weiterbidlungskurse für Journalisten) – und zum anderen in der Hoffnung, im Vieraugengespräch für eine schöne Schlagzeile auf den Satz der Sätze zu stossen.
Auf dass ihm die Kollegen auf die Schultern klopfen.
Oder noch viel einfacher: Ich bringe von dieser Pressekonferenz ein seitenlanges Interview mit dem Verwaltungsratspräsidenten zurück, mit einem überschaubaren Aufwand ergattert. Das liest dann zwar kaum jemand. Aber ich habe die Sonntagspresse ausgetrickts.
Und auf so etwas soll die Kommunikationsabteilung eines Unternehmens hereinfallen?
Journis, vergesst es.
Dort arbeiten im Gegensatz zu vielen Redaktionen gut ausgebildete Profis.
Schewardnadse meint
4500! Wer wurde da wohl noch dazugerechnet..die Reinigungsfrauen der Büros der Kommunikationsleute?
Matthias Giger meint
Schlecht ausgebildete Journalistinnen und Journalisten stehen wenigstens mit ihrem Namen zu dem, was sie schreiben und verstecken sich nicht wie gut ausgebildete Kommunikationsleute hinter einem Kürzel.
Matthias Giger meint
Habe es gerade gesehen. Unter about gibt’s den vollen Namen. Trotzdem lässt mich die stumpfe Journalisten-Dresche hier erschaudern. Riecht irgendwie nach massloser Selbstüberschätzung.
M.M. meint
Ich sag’s ja: zuerst losschreiben und dann nachschauen. Und genau das passiert Tag für Tag.
Und dann nocht: Aber klar, masslose Selbstüberschätzung.
Nach über dreissig Jahren im Geschäft endlich die Erkenntnis.
Welch ein vergeudetes Leben. 🙂
Hoppla meint
Vielleicht ist das so.
MM wird mir aber wahrscheinlich nicht widersprechen, wenn ich sage, dass nicht nur die Journalisten Dinge verdrehen. Sondern dass Journalisten wahrscheinlich zu der Berufsgruppe gehören, die am meisten angelogen wird. Direkt ins Gesicht. Zuhanden der Öffentlichkeit.
Wenn man teuere Profis anstellt, so frage ich: warum denn? Nur wegen der blöden, billigen Journalisten? Oder vielleicht, weil es doch gelegentlich, nicht überall, aber doch da und dort „Nebenaspekte“ gibt, die „richtig einbettet“ ein „rundes Bild“ abgeben sollen.
Beispiel Bern: Gegen 900 Bundeshausjournalisten stehen heute (anschnallen bitte!) 4’500 Kommunikationsprofis gegenüber.
Man kann sich ja auch mal die Frage stellen, ob es heute wurscht ist, was Sache ist, oder ob es nur drauf ankommt, wie man sie serviert.
M.M. meint
Interessant wäre noch die Quelle für die Zahlen – ich meine einfach so aus journalistischer Sorgfalt.
Dieses Thema hat jedoch nichts mit dem obigen zu tun.
Was das Lügen anbelangt: Jeder Mensch lügt zweimal pro Tag, wissenschaftlich erwiesen.
hoppla meint
Die Quelle lautet Urs Paul Engeler – anlässlich eines Seminars.
Dieses Thema hat sehr wohl etwas mit dem obigen zu tun. Wenn sich Betriebe und Verwaltung den Auftritt von teuren Kommunikationsprofis glattpolieren lassen, muss das nicht heissen, dass damit mehr Wahrheit aufgetischt wird, sondern dass mögliche „Problemstellen“ schon von vorneherein erkannt und eliminiert werden. Zumindest für die öffentliche Wahrnehmung.
Zur Glanzfassaden-Firmenkommunikation ist der Journalist jedoch nicht angestellt. Er lebt dazu in ungleich hektischeren Verhältnissen als sein mittlerweile doppelt so gut bezahlter Ex-Kollege, der auf die Gegenseite gewechselt und nun öfters Zeit für lange Sitzungen mit Kaffee und Gipfeli hat. Dass die erwähnten Fehler und Falscheinschätzungen passieren: warum sollte ich das bestreiten.^
Wenn es aber nur so wäre, wie Sie schreiben, würden wir weit mehr Gegendarstellungen und von juristischen Auseinandersetzung lesen.
Losgeschrieben und erst dann nachgeschaut: das passiert nicht nur Journalisten – wie man weiss, wenn man gelegentlich dieses Blog besucht 😉
Rampass meint
Leicht off topic: wer ist mit mir der Meinung, dass die Mobilesite der BaZ aber sowas von abgrundtief-grotten-ober-lausig-schlecht ist?
Timon meint
ich! Seither nutze ich die nicht mehr, auf meinem Mobile ist die nicht mehr brauchbar. Man wird wohl so auf den Paywall vorbereitet…
Fridu meint
Das Problem beim BZ-Journalisten war ja eher, dass er nur fünf Fragen veröffentlichen sollte, weil die Post anderen Medien Exklusive-Interviews versprochen hatte. Das ist der Hauptpunkt und genau der wird hier verschwiegen. Falscher Aufhänger für ein spannendes Thema.
M.M. meint
Und das darf die Post nicht tun?
Als Kommunikationsverantwortlicher kann ich Exklusivinterviews vereinbaren, mit wem auch immer ich will. Es gibt kein Recht auf Interviews. Höchstens auf eine Gleichbehandlung beim Verbreiten der Inhalte und Fakten. Dazu reichen die PK und fünf ergänzende kritische Fragen.
Wer das nicht kann, soll den Job wechseln.
Mal abgesehen davon: Interviews in Print sind journalistische Fehlleistungen. Im Prinzip sind sie eine einzige Lüge, weil beide Seiten eine Unterhaltung vorgaukeln, die so gar nie stattgefunden hat.