Man kann nicht von sich auf andere schliessen. Ich weiss.
Wenn mein überdurchschnittliches Medieninteresse eher selten auf einen Kanal von SRF trifft, dann weiss ich mich jedoch bei der Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer (61 Prozent bevorzugen ausländische TV-Sender).
Doch es gibt noch immer eine starke Minderheit, für die die Tagesschau die wichtigste Informationsquelle ist, für 610 000 von 5,4 Millionen Deutschschweizern.
Meine Kinder gehörten zur letzten Generation, welche Punkt halb eins für fünf Minuten auf den Mund sitzen mussten: Nicht weil wir Nachrichten hören wollten, sondern DIE Nachrichten.
Die hatten Anfang der 80er-Jahre noch keine private Konkurrenz.
Grossvater Emil, der senkrechte Sozialdemokrat, der die Nazi-Diktatur mit Glück überstanden hatte, hörte während des Kriegs und auch danach ausschliesslich die Nachrichten aus Beromünster. «Die lügen nicht», belehrte er mich.
Das prägt.
Besonders die Generation, die noch heute zu den treuesten Anhängern des gebührenpflichtigen Fernsehens gehören: Das Durchschnittsalter der Zuschauer liegt bei 61 Jahren, bei der Tagesschau sind sie im Schnitt 63, beim Samschtig-Jass versammeln sich die 70-Jährigen (interaktiv.tagesanzeiger.ch).
Wenn im Abstimmungskampf über No Billag gesagt wird, es gehe bei dieser Abstimmung um Sein oder Nichtsein der Schweiz, um den Zusammenhalt des Landes, dann ist wohl eher richtig, dass es in dieser Abstimmung um die Fernseh- und Radiogewohnheiten der Rentnergeneration geht.
Wer als junger Mensch bei SRF als Journalist anheuert, muss sich bewusst sein, dass er nicht für seine Altersgruppe arbeitet, sondern für seine Grosseltern.
So liegt SRF mit Mini Beiz, dini Beiz, Potzmusig, Samschtig-Jass etc. bei seiner Programmgestaltung total richtig. Doch am liebsten schaut das Alterspublikum Filme, Serien und Sport (67 Prozent). Lediglich zehn Prozent interessieren sich für Nachrichten und Kultur.
Mit Blick auf die Zukunft, die den Altersmeridian weiter nach oben verschieben und die Nutzerzahlen weiter sinken lassen wird, kann man sich schon fragen, ob sich die Fortführung der überholten Idee eines Landessenders noch länger rechtfertigen lässt.
Wäre ich unter fünfzig, würde ich darüber nachdenken, ob es politisch opportun ist, ein Unternehmen für eine exklusive Zielgruppe vom wirtschaftlichen Wettbewerb zu verschonen, während sie für Netflix , Spotify , Teleclub und andere Streaming-und Abodienste neben Billag noch zusätzlich zahlen müssen.
Bleibt also die Frage, ob SRF und damit die Schweiz untergehen würden, wenn No-Billag angenommen würde.
Mal abgesehen davon, dass die Schweiz bis jetzt noch jede Abstimmung überlebt hat, bei der behauptet wurde, es gehe ums Überleben des Landes, wird auch SRF nicht untergehen.
Das liegt an unserem politischen System. Denn wir stimmen über einen Verfassungsartikel ab, für den anschliessend ein Gesetzestext erarbeitet werden muss. Wie wir bei der Masseneinwanderungsinitiative gelernt haben, kann ein Verfassungsartikel auf Gesetzesebene kreativ umgesetzt werden.
Man wird also Wege finden, wie man den Medienkonsum der älteren Bevölkerung für ein paar weitere Jahre wird finanzieren können.
Zum Schluss noch das: «Sie hören die Nachrichten der Schweizerischen Depeschenagentur », lautete während Jahrzehnten der Willkommenssatz von Radio Beromünster. Die SDA gehört den Zeitungsverlegern.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 10 Januar 2018
Franz meint
Schade um noBillag.
Eine Halb-Billag würde spielend angenommen.
6000 Mitarbeiter haben die.
Eine Frechheit!
Henry Berger meint
Nein, die Schweiz wird nicht untergehen – aber sie würde sich in eine Richtung verändern, die mir nicht gefällt.
Das mit dem „kreativen“ Umsetzen von Verfassungsartikeln sehe ich etwas kritisch: Zum einen frustriert man damit die „Gewinner“ einer Abstimmung, was m.E. einer Demokratie auf die Dauer abträglich ist, andrerseits degradiert man Abstimmungen damit mehr zu einer Art „Umfrage“ – hier z.B. über die Befindlichkeit mit der SRG
gotte meint
völlig einverstanden mit henry berger. natürlich lässt jede umsetzung einer verfassungsnorm dem gesetzgeber einen erheblichen spielraum – das ist richtig, das ist gewünscht. bereits im vorfeld einer abstimmung jedoch auf das kreative potenzial des gesetzgebers zu verweisen, das es angeblich erlaube, glasklare aussagen des initiativtextes in ihr gegenteil verkehren, ist allerdings enorm schädlich für die demokratie als ganzes: letztlich führt das nur dazu, dass die initiativtexte immer noch enger, immer noch genauer, immer noch weniger strategisch formuliert werden (in der hoffnung, das kreative umsetzungspotenzial zu blockieren), was im fall der annahme der initiative dann wiederum (meist zwangsläufig) dazu führt, dass die Initianten dem gesetzgeber den bruch des angeblichen „volkswillens“ vorwerfen können. ganz besonders absurd ist nun die „no-billag“-diskussion deshalb, weil genau die „volkswille-bruch“-brüller jetzt so tun, als wäre es normal, dass der gesetzgeber am ende das gegenteil von dem macht, was in der verfassung steht.
M.M. meint
Ich kann mich durchaus dem Gedanken anschliessen, dass man 365 Franken für eine nationale Zusammenhaltsidee zahlen soll.
Doch zu behaupten, SRF sei so eine Klammer halte ich für ziemlich kühn angesichts der harten Fakten bezüglich der Alterstruktur der Konsumenten. Diese Zahlen werden einfach ignoriert, weil die zum einen den Journis von SRF wohl peinlich sind und zum anderen, weil dann das Klammer-Argument nicht zieht.
Deshalb muss man wohl eher sagen: Wir zahlen 365 Franken für eine nationale Fiktion.
Wobei es schon ein wenig absurd ist, dass ausgerechnet die Linken, für die „National“ ein Unwort ist, nun plötzlich auf die nationale Pauke hauen.
Aber keine Angst – die Initiative wird wuchtig abgelehnt werden.
Hans A. Traber meint
Tja, den Reprisenkanal ORF III als Alternative zur SRG lobhudeln und 90% der SRG-Produktionen (also inklusive die von SRF2 Kultur) letztlich als Schrott zu bezeichnen, das ist dreist und so was von fundiert. Bitte Eisenegger lesen heute im Tagi. Damit wird Herrn Mesmers (Nicht-)Position ad absurdum geführt. Bzw. vorgeführt. Es geht doch nicht um die aktuelle (und zu fette, zugegeben) SRG, sondern um die Idee einer SRG an sich. Wie gesagt, siehe Eisenegger.
G. Koller meint
Sorry, aber das kann man auch anders sehen: Der Staat, dh seine Repräsentanten (Regierung, Verwaltung, Parlament, Parteien etc.) halluzinieren jetzt ein Bild einer in ihrer Identität bedrohten Schweiz, die nur durch die Klammer einer angeblich Gemeinschaft stiftenden SRG zusammengehalten werden könne.
Im historischen Rückblick, als in den 20er Jahren des vergangenen Jhs. die Volksberieselung mit Radio- und Rundfunk losging, mag ja eine staatliche Präsenz bzw. Intervention sinnvoll gewesen sein, aber nun im digitalen Zeitalter auf einer zur Gängelung verkommenen Medienpolitik zu beharren, ist ja letztlich auch das Eingeständnis, dass die (nationalen) Einflussmöglichkeiten bei den neuen, wirklich wichtigen, digitalen Medien sehr gering sind, weil diese durch einen globalen Techno-Kapitalismus gesteuert werden.
Es kommt einem vor, als wollte man dieses Gefühl des machtlosen Ausgeliefertseins durch zähes Festhalten am durch die neuen Techniken zumindest altmodisch wenn nicht obsolet gewordenen, gemeinsamen Radiohören und Fernsehschauen kompensieren. Per Gesetz und Verordnung!
Mit dem Wissen und Eingeständnis, dass dies also, wie von MM richtig festgestellt, vor allem eine Service für die Menschen 60+ ist, den man als Nische und in sehr beschränkten Ausmass erhalten mag, fände ich es sinnvoller, es den jüngeren Generationen zu überlassen, mit welchen Innovationen sie jetzt und in Zukunft ihre Informationsbedürfnis und Medienkonsum konkret gestalten wollen, – denn an Ideen und Power dafür wird es ihnen bestimmt nicht fehlen!
Wenn schon „schweizerisch“ argumentiert werden soll, dann so: Wilhelm Tell hätte was gegen Medienvögte und würde keine Billag-Gebühr zahlen … Smiley Emoticon
Agostinis meint
Stellen wir uns vor, die Billag würde mit dem grossmehrheitlichen Votum der Deutschschweiz gegen den Willen der Mehrheit im Tessin, in Graubünden und in der Westschweiz beschlossen…was löst das bei diesen Minderheiten aus ? …und gehen wir mal davon aus, dass das Vakuum, das durch den Wegfall der srg durch italienische und französische Sender ausgefüllt wir…was kriegen die Tessiner und Welschen dann zu hören, zu sehen und zu lesen und welche auswirkung dürfte DAS haben aud den nationalen Zusammenhalt. Das ist vermutlich die Gefahr bei Annahme der noBillag-Initiative…
M.M. meint
Wenn ich das lese, dann wird eigentlich klar, dass es bei SRF offensichtlich nicht um die Programme und die Leistungen der Macher und der Journalisten geht.
Aber wenn der Zusammenhalt der Willensnation Schweiz einzig und allein von der Existenz von SRF abhängt, na dann gute Nacht.
Aber wie gesagt, wenn die Initiative bachab geschickt wird, was ich doch stark annehme, dann ist das auch okay.
Ich wäre sowieso für die Zimmermann-Lösung (die ich kürzlich in einer kleineren Diskussionsrunde bei einem guten Nachtessen undabhängig von Zimmermann auch vorgebracht habe): Ein TV-Sender und von mir aus zwei Radiostationen.
Urs P. Haller meint
Auslegeordnung gemacht. Auch als ü70 und Angehöriger der »Beromünster-Generation« bin ich bei der SRG im falschen Film, denn ich schaue im besten Fall 5 – 10% der Sendungen und betrachte einen grossen Teil – man nehme es mir bitte nicht übel – als »Schrott«, welcher mit dem viel beschworenen Service public nun gar rein nichts zu tun hat. Nolens volens muss ich, wenn schon am TV, auf andere gute Sender (zB 3sat, arte, orf3 etc) ausweichen. Aber ich behaupte nicht, in dieser Hinsicht ein Spiegelbild der Schweizer Fernsehzuschauer zu sein. Das wäre doch mehr als vermessen. Was mir an der ganzen Geschichte im Vorfeld fehlte, war eine ergebnisoffene Diskussion über die (nach meinem Verständnis noch immer nicht gelöste) Frage, was denn eigentlich zu diesem Service public gehört und was nicht. Es dürfte auch den Gegnern der Initiative bewusst sein, dass ein rechter Teil des SRF-Programms »nice to have« ist, aber viele Mittel verschlingt. Ein rechter Teil ist unbestrittenermassen sogar mehr als überflüssig. Dann hätte die SRG aufzeigen müssen, was die Kosten für den übrig gebliebenen Teil sind und wie sich diese errechnen. Das wäre ein ehrliches und pragmatisches Vorgehen gewesen, was uns allen die vielen unnötigen Diskussionen und Gehässigkeiten erspart hätte. Ich bin aber trotz allem überzeugt, dass die SRG nach der Abstimmung über die Bücher gehen wird, denn das Verdikt des Volkes bei einer Ablehnung (von der ich ausgehe) kann nicht einfach ad acta gelegt werden. Und last but not least ist die SRG immer noch das weitaus kleinere Übel. Der Vergleich mit der Swisscom (die die ganze bestehende Infrastruktur von der alten PTT übernehmen und diese laufend modernisieren konnte), wie in der kürzlichen Arena postuliert, hinkt gewaltig. Eine »neue SRG« kann, auch weit abgespeckt, so nicht auf die Beine gestellt werden, wie sich die Befürworter der Initiative und die Träumer vom Gewerbeverband das erhoffen. Ich bin als Liberaler auch für den freien Markt, doch hier wird er leider nicht spielen. Fazit: Ich möchte nicht, dass ein Herr Blocher oder Google oder Amazon etc. anstelle der SRG in die Bresche springen und der halbe Tag nur noch Werbung (ich bin absolut werberesistent und kaufe zum Trotz diesen angepriesenen Mist nicht !) läuft. Fazit: Ein wenn auch halbherziges »Nein« ist immer noch ein »Nein« und das weitaus kleinere Übel. Auch mit einer kleiner Spur Solidaritätsbezeugung für die Nischenplayer in unserem Land.
Arlesheimreloadedfan meint
Ich zahle eher 365 für diesen Blog als für die geschützte Werkstatt SRG.
Alex Schneider meint
NoBillag-Initiative: SRG mit Gebühren, aber abgespeckt!
Die Argumentation des NoBillag-Komitees passt mir nicht. Ich will eine starke, aber schlankere und ethisch verantwortungvollere SRG mit Gebühren. Wenn die SRG im Vorfeld angekündigt hätte, in Zukunft auf die Hälfte der Krimi-, Gewalt- und Zynikerfilme und die Hälfte der Sport- und Heimatsendungen zu verzichten und Satiriker aus allen politischen Lagern zum Zuge kommen zu lassen und dafür die Gebühreneinnahmen entsprechend zu senken, hätten wir jetzt diese unsägliche Abstimmungsdiskussion nicht. Aber die SRG und die damit verbandelten PolitikerInnen bewegen sich nicht.
Patrick Künzle meint
Der guten Ordnung halber sei der letzte Satz ergänzt: Die SDA gehört den Zeitungsverlegern und der SRG. Wird die SRG mit No Billag zum Pay-TV-Kanal, dann verliert die SDA einen wesentlichen Teil ihrer Einnahmen.