Es war eine bemerkenswerte Äusserung des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte zum Ausgang des EU-Referendums in Grossbritannien. Die in Genf ansässige UNO-Organisation sah sich wenige Tage nach der Abstimmung genötigt, in einer Pressemitteilung davor zu warnen, das Ergebnis für altersdiskriminierende Attacken gegen Senioren zu missbrauchen.
«Wir haben beobachtet», schreibt die UNO, «wie eine beachtliche Zahl von europäischen Tageszeitungen und in Social-Media-Kanälen ältere Personen zu Sündenböcken für das Ergebnis der Abstimmung gemacht werden, verbunden mit dem Ruf, das Wahlrecht für ‹Grey Voters› einzuschränken.»
Hintergrund der UNO-Mitteilung war die gegenüber den 18- bis 24-Jährigen signifikant höhere Stimmbeteiligung der 60plus-Jährigen.
Die stimmten mehrheitlich für einen Austritt.
Woraus der Vorwurf abgeleitet wurde, die Alten hätten den Jungen die Zukunft gestohlen.
Zu fordern, Citoyens ab einem bestimmten Alter das Stimm- und Wahlrecht zu entziehen, ist ziemlich dreist und genauso abwegig, wie das Stimm- und Wahlrecht erst ab dem 23. Lebensjahr zu gewähren.
Das menschliche Hirn ist erst dann vollständig ausgereift.
Sei es am Arbeitsplatz oder in der Konsum- welt – die Ungleichbehandlung älterer Menschen wird vielfach als völlig normal angesehen. Wie selbstverständlich heutzutage altersdiskriminierende Diskussionen und Massnahmen hingenommen werden, kann beispielhaft an zwei Themen festgemacht werden: beim Fahrausweis de facto für jeweils zwei Jahre ab 70 und am fast täglich in den Medien beklagten Rentenklau.
Beides basiert auf dem verallgemeinernden Vorurteil: Die Alten sind trottelig und nerven. Überall.
Fakt ist, dass letztes Jahr bei Unfällen, bei denen Personen zu Schaden kamen, 18- bis 30-Jährige zweieinhalbmal so oft als Verursacher registriert wurden wie über 60-Jährige. Die Jahrgänge dazwischen verschuldeten doppelt so viele solche Unfälle. «Altersdiskriminierung liegt dann vor, wenn Menschen aufgrund des Alters in vergleichbaren Situationen ohne sachliche Gründe unterschiedlich behandelt werden» (humanrights.ch).
Wenn es den Fahrausweis nur noch auf Zeit gibt, dann ist es diskriminierend, diese Massnahme per Gesetz allein für eine bestimmte Altersgruppe festzuschreiben.
Fast schon zum Allgemeinplatz geworden ist der Rentenklau. Da werden buchhalterische Lücken derart bejammert, als handle es sich um Schwarze Löcher, die allen Wohlstand verschlingen werden.
Zum einen finde ich es ziemlich lächerlich, wenn 30-Jährige, statt in die Hände zu spucken, über mögliche Rentenlöcher im Jahr 2046 lamentieren. Und zum anderen: Bei der AHV war es schon immer so, dass die aktive Generation die Renten der AHV-Bezüger bezahlt hat.
Das nennt man Umlageverfahren.
Interessant ist deshalb eine ganz andere Zahl: Allein im letzten Jahr gingen 75 Milliarden Franken als Transferzahlen von Alt zu Jung, das heisst sie wurden steuerfrei vererbt (Marius Brülhart, Universität Lausanne). Damit verglichen ist das 579-Millionen-Defizit der AHV ein Klacks.
Ein leicht polemischer Schluss: Nicht die heutigen Rentenbezüger sind das Problem, sondern die aus Lust an der Sache Teilzeitberufstätigen (zum Beispiel 60 Prozent der Staatsangestellten in Basel-Stadt) und die Scheidungsarmen.
Sie zahlen wenig in die Kassen ein und werden deshalb minimalste Renten erhalten. Sie werden Sozialhilfe beziehen.
Auf Kosten meiner Enkel.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 3. August 2016
Heiner Schäublin meint
Nun, Meury, der sich zwischendurch immer wieder mal «Kinder an die Macht» wünscht (zum Beispiel in der «Sozialdemokratischen Partei der Schweiz») ist in dieser Frage ganz sicher kein Massstab (obwohl man sich fragen darf, warum er das gerne hätte? Vermutlich, weil die «Kinder» von alternden Kulturbürokraten leichter zu beinflussen sind).
In Wirklichkeit gibt es keinen «Rentenklau». Es gibt höchstens den Wunsch, während des Spiels die Spielregeln zu ändern. Aber das ist bei den Verlierern normal.
In diesem Fall ist der «Verlierer» die Jugend, die sich neuerdings bis zum Alter von 35 Jahren auf Staatskosten «ausbilden» lässt und denkt, nach maximal 25 Beitragsjahren hätten sie so enorm viel geleistet, dass sie sich auf ihre Datscha zurückziehen dürfe.
Wie auch immer: Die rechnen mit Jahrzehnten an kalkulierbaren Entwicklungen. Ich weiss nicht mal, was morgen sein wird.
M.M. meint
Die Diskussion läuft auch hier: http://bazonline.ch/schweiz/standard/die-alten-werden-diskriminiert/story/15804207?comments=1
Über hundert Kommentare zu dieser Kolumne.
Meury Christoph meint
«Allein im letzten Jahr gingen 75 Milliarden Franken als Transferzahlen von Alt zu Jung, das heisst sie wurden steuerfrei vererbt.» Das Umverteilungsargument lahmt. Von der so genannten Umverteilung profitieren nur ein paar Privilegierte.
Die Vermögen in der Schweiz sind noch ungleicher verteilt als die Einkommen «Das reichste Prozent der Steuerpflichtigen weist 40 Prozent des Vermögens aus. All diese Reichen besitzen mindestens drei Millionen Franken. Zusammen versteuern die 54 966 Gutbetuchten 609 Milliarden. Derweil deklarieren 56 Prozent der Steuerpflichtigen weniger als 50 000 Franken Vermögen. Sie kommen zusammen auf lediglich 26 Milliarden – weniger als einen Zwanzigstel dessen, was das reichste Prozent ausweist.» (Der Bund)
Raphael meint
Junge Lenker werden auch diskriminiert in dem sie den Ausweis nur auf probe erhalten und noch die 2-Phasenkurse besuchen müssen. Zusätzlich können sie das nicht mal politisch anfechten…
Dass die AHV ein Generationenvertrag ist, das ist klar. Die AHV war aber nie dafür ausgelegt, dass Rentner 90 Jahre alt werden, bzw. dass die Rentner nicht genügend Nachwuchs haben um die AHV Beträge zu bezahlen…
Ungerechter wird es ja erst bei der Pensionskasse die gewissen Leuten einen fixen Prozentsatz garantiert hat und diesen jetzt mit dem Geld der aktuellen Arbeiter bezahlt.
M.M. meint
Da bin ich aber fein raus: vier Kinder 🙂
Paule meint
Im Ernst jetzt – zehn Prozent mehr für AHV-Bezüger? Das können wir uns nun wirklich nicht leisten. Konstruktiv wäre, das fixe Rentenalter überhaupt abzuschaffen.
Carla di Ponte meint
Altersdiskriminierung hat auch etwas mit Politik zu tun. Zum Beispiel dann, wenn die bürgerliche Mehrheit in Bern glaubt, sie könne auf Kosten der Menschen, die hart arbeiten und trotzdem wenig verdienen, unsoziale Rentenreformen durchdrücken. Sollte das tatsächlich passieren, muss die 10-Prozent-Erhöhung der AHV kommen. Das wäre dann ein Stück Gerechtigkeit.