Hier also mein Beitrag in der heutigen Basler Zeitung. Haben ja nicht alle die BaZ abonniert.
Im Jahr 2030 werde ich meinen 81sten feiern können. Die Chancen, dass ich dieses Alter erreichen werde, liegen bei 56%. Habe ich als Mann diese Hürde erst mal geschafft, dann sagen mir derzeit die Statistiker noch weitere 10 Lebensjahre voraus.
Die Gesellschaft beginnt mich deswegen als Problem wahrzunehmen, zunehmend.
Mit den Klassebegriffen “Alte, Rentner, Senioren” versucht man mich zur gesellschaftlichen Ausschussware zu stempeln, die sich auf zwei Charakteristiken reduzieren lässt: auf Demenz und Rentenklau.
Um die düstere Zukunft zur „Überalterung der Gesellschaft“ zu illustrieren, brauchen die Medien lediglich drei Bilder: die tanzenden Alten, die Rentnerin am Rollator und die Senioren auf der Parkbank. Alterspolitik bedeutet folgerichtig für den Kanton Baselland “Förderung von rollstuhlgängigem Wohnraum und Fahrdiensten für Senioren oder auch der Ausbau der palliativen Pflege.”
Die Medien und überhaupt die Gesellschaft täte gut daran, sich von diesem Bild der Alten zu verabschieden. Denn die Bilder zeigen die Generation unserer Mütter- und Väter, die Generation der Rentner und Senioren.
Wir aber sind die Babyboomer!
Wir sind die erste Generation der Menschheitsgeschichte, die kollektiv überlebt hat. Wir sind seit Jahrhunderten die erste Generation, die Europa nicht mit einem Krieg überzogen hat. Statt unser Leben mit Zerstören zu vergeuden, haben wir in den letzten sechzig Jahren die Welt verändert.
Zum Guten.
Sollten wir also die politische Rechnung aufmachen, was wir der nächsten Generation an Infrastruktur übergeben, die wir mit unseren Steuergeldern bezahlt haben, dann muss, wer das Wort „Rentenklau“ und „Leben auf Kosten der aktiven Generation“ in den Mund nimmt, ziemlich kleinlaut werden.
Und wenn wir schon am Rechnen sind, dann solltet ihr, die nächste Generation, jedes Mal zusammenzucken, wenn jemand aus eurer Generation heiratet. Denn in den folgenden sieben Jahren wird fast die Hälfte all dieser Ehen wieder geschieden. Was gleichzusetzen ist mit sozialem Abstieg und Rentenkürzung, der kaum mehr wett gemacht werden. Im Kanton Baselland gehen 30 % der Sozialhilfegelder an alleinerziehende Mütter.
My fellow babyboomers, ich sage Euch, wir haben eine mit 68 vergleichbare Situation, mit damals als wir uns aufgemacht haben, den Laden umzukrempeln. Wir müssen den Lauf der Dinge nochmals in eine neue Richtung lenken.
Wir können das, weil wir gewohnt sind, Selbstverständliches anders zu denken, Gewohnheiten über Bord zu werfen, das Leben neu zu gestalten, andere Wege einzuschlagen. Wir haben uns mit dem Internet und den zugehörigen Gadgets die Instrumente für die nächste Revolution geschaffen. Keine Angst, wir bleiben unserer Linie treu: Unsere ganze Kreativität und Schaffenskraft haben wir darauf verwendet, uns das Leben auf diesem Planeten so angenehm wie möglich einzurichten.
Deshalb kann ich, wenn mir danach ist, im Auto via Bluetooth Bob Dylan, die Doors, Emerson, Lake & Palmer, Jethro Tull, den Cohen, die Stones und all die anderen hören. Denn meine gesamte Musiksammlung ist auf meinem iPhone gespeichert. Früher, in den Siebzigern, war ja das mit der Musik ein Riesenproblem, damals als wir mit dem Döschwo für ein paar Wochen nach Griechenland verreist sind.
Wir sind die Generation der drei Dreissig-Jahre-Zyklen: Die ersten dreissig Jahre haben wir rumgeblödelt, dann wurden wir Eltern. Was bedeutete, dass wir fortan als monetäre Durchlauferhitzer für unsere vier Kinder auf Trab gehalten wurden. Als der Jüngste letzte Woche in eine WG gezogen ist, haben wir nach zweiunddreissig Kinderjahren die Oberhoheit über unseren Kühlschrank wieder zurückgewonnen.
Das neue Lebensgefühl für den nächsten Zeitabschnitt lautet: Slow. Wir haben keine Eile mehr, wir schätzen die Langsamkeit. Deshalb haben wir uns rechtzeitig aufs Alter flächendeckend Tempo 30-Zonen eingerichtet und werfen die Autos aus den Innenstädten raus. Unser neues Lebensmotto heisst „Reduce it to the Max“, weil wir es uns leisten können. Wir kaufen weniger, aber wenn, dann wollen wir Qualität.
Wir setzen neue Massstäbe.
Stellt euch darauf ein: Wir werden unser Ding drehen, wir werden die Gesellschaft nochmals verändern. Wir haben die politische Macht dazu und verfügen über eine lange Lebenserfahrung. Und wenn mir der Sinn danach steht, gründe ich in vier, fünf Jahren nochmals eine neue Firma. Ich habe noch genügend Zeit übrig.
PS, noch ein Nachtrag: Ein Thema für eine zeitgemässe Alterspolitik wäre das Einrichten eines öffentlichen und flächendeckenden Wlan-Zugangs. Wir brauchen das, für News, für die Kommunikation. Und weil die Datenübermittlung via App an die medizinische Monitoringzentrale schon bald zum Standard wird.
merlinx meint
Apropos „neue Firma“:
zB als Produzent einer TV-Soap „The incredible Babyboomers – How to get them finally six feet under.“
Nein, mir gefällt der Text. Er ist wohltuend positiv. Im Vergleich zu andern, in letzter Zeit zu diesem Thema schreibenden „Altergenossen“, wird das „Jammertal des Altwerdens“ in einem letzten, kühnen, kraftvollen Bogen überspannt.
Ein richtiges Manifest für ein schwindelfreies Alter!
Sullivan Frisch meint
Viele berufstätige Mütter und Väter strampeln sich über die Runden! Geschiedene kämpfen ums Überleben. Eine Rente ist ihnen in 20-30 Jahren nicht sicher. Das ist auch das Werk der Babyboomer. Ihr könnt also eine weitere Revolution planen, nämlich diese, wie ihr die Solidaritätbeiträge der Wohlhabenden Rentner an die Ärmsten erhöht und wie Ihr die Welt klimafreundlicher macht! Der Ölboom ist schliesslich auch auf Eurem Mist gewachsen!
M.M. meint
Wer sich scheiden lässt, hat in der Tat den wirtschaftlichen Abstieg zu gewärtigen. Die Rentenkürzung ist programmiert.
Sie werfen die Frage auf, inwiefern dieses private fast 50%-Risiko, das mit der Eheschliessung eingegangen wird, von der Gesellschaft oder, wie Sie sich vorstellen, von einer bestimmten Einkommensgruppe mitgetragen werden soll.
Also ähnlich, wie sagen wir in Fällen, wo jemand einen schweren Arbeitsunfall erleidet.
Wie gesagt, 30 % der Sozialhilfeempfänger im Kanton Baselland sind alleinerziehende Frauen, in der Regel also Geschiedene. Deren Lebensunterhalt wird aus Steuermitteln finanziert, es findet also ein kollektives Mittragen enttäuschter, zerbrochener Gefühlsduselei statt.
Wenn sich der geschiedene Ehemann nicht zahlen will oder kann oder sich ins Ausland absetzt, übernimmt der Kanton/der Steuerzahler die Alimentenbevorschussung. Eine soziale Soldidaritätseinrichtung der Babyboomer.
Wenn Sie mehr wollen, müssen Sie politisch aktiv werden und sich eine Mehrheit für Ihr Anliegen suchen. Sie müssen also den Finger rausnehmen und etwa zehn bis fünfzehn Jahre Ihres Lebens für Ihr Anliegen einsetzen.
Viel Spass!
PS: Renteneinkommen werden besteuert wie andere Einkommen auch.
Suölivan Frisch meint
Genau das ist ihre Aufgabe, Alleinerziehenden zu helfen! Sie haben jetzt ja Zeit, und sie behaupten jetzt, als pensionierter 68er nochmals die Gesellschaft verbessern zu wollen. Das sollen rüstige Senioren ja auch tun. Ihre gute Tat ist sicherlich hoch willkommen! Sie werden so in Erinnerung bleiben…
M.M. meint
Ich halte es für bezeichnend, dass man sich anmasst, mir/uns plötzlich vorzuschreiben oder gute Ratschläge zu erteilen, was ich/wir zu tun und zu lassen haben. Vergesst es.
Sullivan Frisch meint
Sie haben ja damit angefangen, mit den Taten der Babyboomers zu prahlen, und ihre neue politische Stärke zu pushen. Sollte man im Alter nicht etwas weiser sein, und weniger egoistisch denken? Man kann ja sowieso nichts ins mitnehmen, ausser ein paar Lumpen am kalten Körper…
M.M. meint
Den Egoismus werfen Sie mit der Geburt ihrer Kinder über Bord. Je mehr Sie haben, desto mehr schrumpft der. Ist empfehlenswert.
Und selbstverständlich: Wir werden alle sterben.
Ich sehe allerdings schon, wo die künftige Konfliktlinie läuft: Nämlich dass es für eine Gesellschaft ziemlich provokativ ist, wenn ein guter Teil einfach aussteigt.
Besonders wenn es um die handelt, die in den letzten Jahrzehnten überdurchschnittlich aktiv waren, in Beruf und Gesellschaft Verantwortung trugen.
Und wenn die dann selbstbewusst an ihrem eigenen Entwurf für den Rest des Lebens basteln, ist die Empörung besonders gross. Denn Alte haben zunächst einmal abhängig, hilflos und demütig zu sein und anschliessend als Dienstleister für die Kindergeneration bereitzustehen.
Und dann gesteht man ihnen vielleicht mal eine Kreuzfahrt mit Zinksärgen an Bord zu.
Den Gipfel dieser Haltung wird mit der Landverschickung von Demenz- und sonst -erkrankten erreicht.
Sich dessen bewusst zu sein, ist übrigens unter Altersweisheit abzubuchen.
Sullivan Frisch meint
Sie sehen vor allem ihre eigenen Interessen. Sie haben Kinder gross gezogen, und ein Leben lang geschufftet. Jetzt möchten Sie ihren Lebensabend geniessen, und neue Ideen umsetzen! Das ist auch legitim!
Lesen sie doch in der NZZ von heute, was den Rentnern blüht! Es kommt bald die zweiteilige Altersrente! Die Senioren werden in Zukunft ihren Beitrag leisten müssen, dass das Rentensystem überhaupt überlebensfähig ist! Weitere Ideen in diese Richtung sind willkommen, und damit könnten Sie weiterhin nützlich bleiben!
Isaac Reber meint
Man musste kein Prophet sein, um herauszufinden, dass einer der (einst) „jüngste“ Kantone der Schweiz eines Tages einer der „Ältesten“ sein könnte – jetzt haben wir die „Bescherung“ 🙂
Claude Houriet meint
Manfred, deine Aussagen kann ich 100% unterschreiben. Jetzt müssen wir an die Säcke. Wie wärs mit einer virtuellen Aktionsgruppe die übers Internet vernetzt ist?
M.M. meint
Oder mal ein Cüpli?