Heute in der NZZ am Sonntag dieses Bild. In dieser Kolonne könnte mein Grossvater Heinrich Müller mitmarschiert sein.
Er ist 1876 in Basel geboren, als Deutscher oder präziser: als Badenser.
Irgendwo in einem Schützengraben in Frankreich ist er dann schwer verwundet worden.
(Wie auch mein anderer Grossvater, der überzeugte Sozialdemokrat, der während des ganzen zweiten Krieges und auch danach nur die Nachrichten von Radio Beromünster gehört hat: „Die lügen nicht.„)
Als der Krieg aus und vorbei war, war die Grenze zu. Heinrich heiratete und lebte fortan in Freiburg in Breisgau. Von Beruf war mein Grossvater Buchhalter.
Mit den Nazis hatte er nichts am Hut. Er und seine Frau wurden Teil des aktiven Widerstandes gegen das Hitlerregime.
Über seine Schwester, die in Basel lebte, versorgten meine Grosseltern Nachrichtendienste in der Schweiz mit Informationen.
Meine Grosseltern waren Teil des äusseren Kreises der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“. Lange Zeit war diese Widerstandsgruppe als „kommunistisch“ taxiert worden.
Im April 1943 waren sie an einer letzte Aktion beteiligt. Ihre Wohnung war Zwischenstation für ein in der Sowjetunion ausgebildeten deutschen Agentenpaares, das ein Funkgerät nach München bringen sollte. Der Mann und die Frau waren in über dem Kaiserstuhl aus einem englischen Flugzeug abgesprungen.
Am nächsten Tag gegen 12 Uhr Mittags (hat mir ein Zeitzeuge, der die Verhaftung miterlebt hat, berichtet) wurden sie in ihrer Wohnung verhaftet.
Zur selben Zeit nahm die Gestapo meine Mutter von ihrem Arbeitsplatz mit (sie war damals 16 und machte eine Bahnlehre). Im Feld verhaftet wurde auch ihr Bruder, damals Soldat in Frankreich. Die Schwester meines Grossvaters, sie wollte einmal mehr meine Grosseltern besuchen, wurde gleichentags in Basel im Badischen Bahnhof festgenommen.
Am 8. August 1943 wurde mein Grossvater Heinrich in Sachsenhausen erschossen. Ein Tag später seine Frau Lina. Meine Mutter, ihr Bruder und die Schwester meines Grossvaters kamen nach Wochen in Gestapohaft wieder frei.
Felix Werner meint
Es ist wichtig, dass die Erinnerung an diese Zeit, an couragiertes Engagement und an persönliche Schicksale wach gehalten wird. Sehr eindrücklich!
Urs Haller meint
..und meine Grossmutter, Witwe, ohne Rente (ihr an der Spanischen Grippe verstorbener Ehemann war Gemeindeverwalter einer Nachbargemeinde des Domdorfs), hat eine jüdische Flüchtlingsfamilie bei sich zu Hause versteckt und versorgt. Eine herzensgute Frau, die ich gerne gekannt hätte. Aber gemobbt, von neidischen Nachbarn. Die sie auch verpfiffen haben. Dann kam die Fremdenpolizei und nahm die Flüchtlinge mit. Über deren Schicksal weiss ich leider nichts. Eine schreckliche Zeit. Wir dürfen glücklich sein, nunmehr 70 Jahre Friede und Wohlstand zu erleben. Es gab wohl kaum je in der europäischen Geschichte eine so lange Periode.