Zurzeit ist mal wieder Märchenstunde. Es geht um den „idealen Verwaltungsrat“ und um den 72-Millionen-Franken-Umfaller des Novartis-Aufsichtsgremiums.
Ich war, als ich mich noch täglich abmühte, möglichst viel Geld zu verdienen, Berater von Verwaltungsratspräsidenten diverser Firmen.
So ein Gremium besteht im Idealfall aus Experten auf ihrem Gebiet und in Realität kommt dazu, dass man sich schon von irgendwoher irgendwie kennt. Denn schliesslich will man mit Leuten zusammensitzen, die man auch noch irgendwie ausstehen kann. Wir lesen täglich von Verwaltungsräten, wo dies nicht der Fall ist.
Und von da an gilt die einschlägig bekannte Gruppendynamik (selbst nachlesen, ist alles erklärt).
Es gibt Journalisten, die jetzt behaupten, der Novartis-Verwaltungsrat habe wegen der in den Medien hochgeschaukelten Empörung der Schweizer in Sachen Vasella-Millionen einen Rückzieher gemacht.
Das ist vollkommen absurd.
Richtig ist vielmehr, dass die froh sind um die paar insularen Schlagzeilen (im Ausland nimmt man den Vorgang kaum zur Kenntnis).
Ich schätze mal, die wollten Herrn Vasella schon lange loswerden, (könnte ja mal jemand von den Sonntagsblättern recherchieren, das mit dem von Vasella rausgeworfenen Nachfolger ist ein ziemlich bemerkenswerter Vorgang).
Wer schon beim mehr oder weniger offenen Rauswurf eines CEO oder VR-Präsidenten dabei war, weiss, dass solche äusseren Ereignisse willkommener Anlass, für den letzten Paukenschlag. Da sitzt man dann da, gebeugt über den von der Kommunikationsabteilung aufbereiteten Pressespiegel.
Und sagt dem Führungsmann oder der -frau: „Was schlagen Sie vor, wie wir die Situation bereinigen können?“
Herr Vasella versuchte es bekanntlich mit der Spendenankündigung.
Solche Spitzenleute in Mulitnationalenkonzernen sind ja nicht blöd. Denn sie wissen ganz genau, dass da jemand im Verwaltungsrat einer auf Krisenkommunikation spezialisierten Kommunikationsagentur den Auftrag erteilt hat, diese oder jene Nachricht über den Rauswurfkandidaten gezielt zu streuen.
So ist das auch mit den 72-Vasella-Millionen passiert.
Diese Nachricht wurde mit Absicht und zwei Wochen vor der Generalversammlung in die Öffentlichkeit getragen und ganz geziel einem neutralen Medium mit einer grossen Wirkung zugehalten, (so was muss man heutzutage nicht mehr einer Verlagszeitung zutragen).
Die Sache mit der Abzockerabstimmung verbucht man unter der Rubrik „lokaler Kollateralschaden“.
Das sozial gut vernetzte und ziemlich glaubwürdige Weblog „Inside Paradeplatz“ brachte die Nachricht wie geplant in Umlauf: Vasellas Geheimkonto bei Wegelin
Klammerbemerkung: Warum hat eigentlich noch niemand die Frage gestellt, ob Wegelin Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet hat? Ich meine, einen offensichtlicheren Verstoss gegen das sogenannte Bankkundengeheimnis hat es doch schon lange nicht mehr gegeben. Oder gilt das Bankgeheimnis nicht für Herrn Vasella? Klammer zu.
Morgen an der Novartis-Generalversammlung folgt der letzte Akt.
Aktionäre und deren Vertreter dürfen Herrn Vasella nach Herzenslust und zur Gaudi des Publikums grillen. Und die an der Nase herumgeführten Medien können auch nochmals die Sau rauslassen.
Die Herren Verwaltungsräte auf dem Podium werden klammheimlich vor sich hinlächeln. Nach dieser letzten Schau ist man Herrn Vasella für immer los.
Schluss und Vorhang: Das bedeutet nichts Gutes für Basel.
Denn ist so ein Fastalleinherrscher wie Herr Vasella erst mal weg, wird im Laden nicht grad alles auf den Kopf gestellt, doch es kommen solche Projekte auf den Prüfstand, auf denen das Etikett „Prestige“ und „Chef-Hobby“ klebt.
Womit wir beim Basler Milliardenprojekt „Campus“ sind.
Ich habe es schon öfters geschrieben und gesagt: Basel hat Herrn Vasella mit diesem Projekt unendlich viel zu verdanken.
Und ich habe in den letzten Tagen die Befürchtung geäussert, dass nach dem Abgang von Herrn Vasella die neuen Novartis-Lenker den weiteren Ausbau stoppen könnten, für die Basler gebe es überhaupt keinen Anlass, den Vasella-Rauswurf zu beklatschen.
Und was schreibt die Handelszeitung vor ein paar Stunden online?
Novartis Campus: Konzern bremst Vasellas Prestigeprojekt
Novartis hat den Bau von zwei Hochhäusern auf dem Basler Campus vorderhand auf Eis gelegt. «Ehe die beiden Hochhausprojekte weiterverfolgt werden sollen, möchten wir erst Erfahrungen mit diesen neuen Arbeitsformen sammeln und die Frage klären, inwieweit sich diese experimentellen Arbeitsformen auch in Hochhäusern umsetzen lassen», so der Sprecher. Grundsätzlich aber halte man am «langfristigen Plan für den Ausbau des Campus fest».
Im Klartext: Der weitere Ausbau wird auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben.
merlinx meint
Dieser Mann ist einfach brillant, beinahe hätte er es geschafft es, für sein Nichts-Tun noch einmal so viel Lohn zu erhalten, wie vor her für sein Tun.
Während die meisten Menschen ihr Können nur unter viel Mühen und Krampf ausleben dürfen, hätte er sich sogar geopfert, sein Potential mit List und Lust zu unterdrücken …
Urs Eberhardt meint
„Ich war nach Schweizerhalle über zehn Jahre für die damalige Sandoz tätig, ganz zuoberst in der Konzernleitung (mit Parkplatz vor dem damaligen Hauptgebäude und Zutrittsberechtigung zur Direktionskantine).“
Mit Verlaub, Manfred, dies zu berichten ist auch ein Untertanenreflex.
M.M. meint
Nein, das ist Selbstironie. Wenn du eine Ahnung hast, wie das bei Sandoz damals bei Moret zu und hergegangen ist, dann kannst du so was nicht unbedingt ernst nehmen.
Matthias meint
Lieber MM, ich bin völlig Deiner Meinung. Vasella hat Vieles richtig gemacht, Novartis ist eine Erfolgsstory und der Campus für Basel ein Segen. Aber die Basler verdammen ihn und jubeln lieber Roger Federer zu, einem anderen Grossverdiener der a) seine Steuern auch woanders bezahlt und b) im Gegensatz zu Vasella keine Verantwortung für Jobs trägt.
gotte meint
wer sagt mir, dass mm nicht auch sprachrohr von interessen ist und er die vermutung, es könnte sich um ein recht gezieltes „wir-werden-den-vasella-los“-manöver des jetzigen verwaltungsrats handeln, nicht zuletzt im interesse dieser interessen postet?
M.M. meint
Autsch, ertappt. 🙂
Regi B meint
Gute Analyse von M.M. Dazu (leicht off topic) folgendes:
So Riesenfirmen wie Novartis & Co. laufen meist nicht wegen, sondern trotz der Topshots gut. Dass die Topshot mehr Sch…. bauen, als Gutes haben die letzten Jahre mehr als deutlich gezeigt.
Leute wie Vasella & Co. haben m.E. folgende Grundcharakterstruktur:
– ein Riesen-Ego gepaart mit Sendungsbewusstsein und Unfehlbarkeits-Fantasien
– selbstunkritischer Glaube an die Schmeicheleien der sie umgebenden Ar….kriecher -> wenn sich niemand getraut, dir zu sagen, dass du Sch… gebaut hast, dann glaubst du irgendwann, dass du immer alles richtig machst (was unmöglich ist)
– unweigerlich sich einstellender Realitätsverlust.
Ab und an erwischts einen dieser „Kaiser in neuen Kleidern“ (in der franz. Revolution wäre das der Gang auf die Guillotine gewesen), aber leider noch zu wenige, damit die anderen Kaiserlein genügend Schiss vor dem sog. kleinen Mann bekommen und sich ansatzweise anständig verhalten.
Vielleicht ist ja die jüngste Vasella-Milionen-Story und dadurch ausgelöste Entrüstung ein ganz kleiner Vorbote einer kommenden Neuauflage der franz. Revolution mit der sozialen Ächtung als der neuen Guillotine…
M.M. meint
Das ist die Sicht von unten. Man braucht das, dieses „die-da-oben-können-ja-nichts.“ Ist ein Untertanenreflex.
Ich war nach Schweizerhalle über zehn Jahre für die damalige Sandoz tätig, ganz zuoberst in der Konzernleitung (mit Parkplatz vor dem damaligen Hauptgebäude und Zutrittsberechtigung zur Direktionskantine).
Einen solchen Konzern zu führen, da müssen sie schon etwas an Persönlichkeit, Wissen und politischem Talent mitbringen. Herr Vasella ist einer der weltweit besten Spitzenmanager, auch wenn das jetzt untergeht. Der Mann hat im Gegensatz zu vielen anderen langfristig gedacht.
Ich wiederhole mich: Die Basler sollen in Dankbarkeit zum Campus pilgern. Dann können sie sich an einem Vasella-Projekt erfreuen, das die Bezeichnung „nachhaltig“ wirklich verdient. Irgendwann, in dreissig, vierzig Jahren wird man in Basel eine Strasse oder einen Platz nach Herrn Vasella benennen.
Selbstverständlich sind X-Prozent der Entscheidungen des obersten Unternehmenslenkers Fehlentscheidungen. Und auf dem Weg nach oben haben sie sich ein dickes Dossier mit Fehlentscheiden und Millionenverlusten erarbeitet.
Aber wenn sie nur mit zwei oder drei richtig liegen, reicht das durchaus.
RegibB meint
ich denke, dass Novartis auch ohne Vasella kein bisschen anders gelaufen wäre. Das ist ja gerade der Nimbus mit dem sich die Topshots zu umgeben versuchen, nämlich, dass nur sie den Job richtig machen können und darum soviel Kohle „verdienen“. Völliger Blödsinn und halt eben die neuen Sonnenkönige, die von sich ja auch behaupteten, ihre Macht sei gottgegeben und -gewollt. Dies stets mit tatkräftiger Unterstützung der kath. Kirche, die dafür dann auch ihre Boni abbekam – so läuft das…