Der Vorwurf ist nun wirklich absurd: Weil ich mich am reichlich bestückten Newsbuffet gratis bediene, rufen mir Journalisten empört zu: „Das ist nicht fair!“ Um noch draufzulegen: „Wer bezahlt denn uns, ist unsere Arbeit nicht mehr Wert als gratis?“
Meine Antwort, ganz ehrlich: Das ist mir völlig egal.
Wenn heute so gegen 10 Uhr die Schweizer Journalisten an ihrem Arbeitsplatz eintrudeln, dann sollten sie sich zuallererst die Frage stellen: braucht das Land tatsächlich 20, 30 gutbestückte Auslandredaktionen, Inlandredaktionen, Wirtschaftsredaktionen, Kulturredaktionen, Sportredaktionen, die ziemlich alle die selben Themen beackern?
Die Antwort kann kurz ausfallen: Nein.
Der Grossraum München, der ungefähr die Einwohnerzahl der Deutschschweiz aufweist, hat eine einzige „Full-Service-Redaktion“ im Prinbereich. Sind die Münchner deswegen medial unterversorgt? Geht in München die Demokratie die Isar runter?
Schauen wir der Tatsache ins Auge: Die deutsche Schweiz braucht nicht mehr als zwei Abozeitungen, vielleicht noch ein Boulevardblatt (gratis).
Mehr gibt der Markt in Zukunft nicht mehr her.
Es sind zwei Zahlen, die überhaupt interessieren: Die Rentabilität des Verlagsprodukts und die Zahl der Abonnenten. Weil diese beiden Kennzahlen nach unten zeigen, wird man nicht darum herumkommen, bei der überwiegenden Zahl der Tageszeitungen, den Fullservice mit Ausland-, Inland-, Kultur- und Sportteil auf Null herunterzufahren.
Die Folge: In den nächsten drei bis fünf Jahren werden in der Schweiz hunderte von Redaktionsstellen ersatzlos gestrichen. Und die Journalisten? Die sollen sich nicht länger in die eigene Tasche lügen: Sie spielen in all diesen Überlegungen überhaupt keine Rolle.
Weil es immer genügend Leute geben wird, die als Journalist arbeiten wollen. Zu (fast) jedem Preis. In all den Jahren, in denen ich mehrere tausend Franken für Zeitungsabos ausgegeben habe, wurde ich von Journis nicht unbedingt hofiert. Was mir schon immer ziemlich egal war.
Was vielleicht die News für hier mitlesende Journalisten und Verlagsverantwortliche sein mag: MEINE Lesegewohnheiten haben sich in all den Jahren überhaupt nicht verändert.
Ich habe – wie man aus dem oben erwähnten Frankenbetrag unschwer feststellen kann – immer mehr als nur eine Zeitung abonniert. Warum? Weil ich bei der einen Zeitung dies gelesen habe, bei der anderen jenes und bei der dritten die eine oder andere Lokalmeldung. Der Rest wurde überflogen – Titel, Lead, Bildzeile.
Nun wird mir auch der ignoranteste Journalist zugestehen müssen, dass ich Jahr für Jahr ziemlich viel Geld für ungelesene, manchmal nicht mal zur Kenntnis genommene Artikel und Kommentare verlocht habe. Soll ich das weiterhin tun, wenn mir das www, wenn Twitter, Google Reader, Flipboard, Newsreeder genau dieses Bedürfnis nach individueller Auswahl bieten, nur weil jetzt eine Berufsgruppe kollektiv zu jammern beginnt.
Ja sind denn Journalisten auch nur Bergbauern? Die bevorstehenden Festtage werde es zeigen, dass auch in der Schweiz Tablets der ganz grosse Renner sein werden. Bis in zwei, drei Jahren werden diese annähernd so verbreitet sein, wie Smartphones. Und damit werden noch mehr Zeitungsabonnenten in die digitale Mediennutzug wegtauchen.
Einschub:Man muss sich das einfach nochmals vorstellen, an was die Journalisten festhalten wollen: Da fährt ein mies bezahlter Zeitungsverträger um zwei Uhr in der Nacht mit seinem Moped los, um mir ein auf Papier gedrucktes Newspaket in den Briefkasten zu werfen. In den BRIEFKASTEN!
Briefkasten – was ist denn das, bitteschön?
Mein Newsbedürfnis, das ich nicht mehr ändern werde, ist relativ einfach zu erklären: Ich möchte die Kommentare von Herrn Spillmann lesen, weil der so schön bedeutungsschwanger schreiben kann, die Kommentare von Herrn Binswanger, weil der mit seinen drei, vier Grundgedanken so schön links dreht und dann noch die Kommentare unseres Rechtsauslegers Somm.
Genau das kriege ich heute gratis per Twitter geliefert, zumindest dann, wenn Herr Somm etwas zu den amerikanischen Wahlen schreibt, sich Herr Binswanger deswegen höllisch nervt und Herr Spillmann am Samstag sein Örbsi-et-Görbsi dazu gibt.
Zwei starke Tageszeitungen, zwei starke Brands mit lokalen Ergänzungen – das reicht völlig aus und das ist auch die Zukunft.
Ginge damit unsere Demokratie vor die Hunde?
Dummer Mist. Auf Twitter, Facebook, in Blogs, online in den Kommentarspalten würden denen tagtäglich die Schlagzeilen und Kommentarmeinungen um die Ohren gehauen. Denn wer, ausser den paar noch verbliebenen Briefkastennutzern, schreibt heute noch Leserbriefe.
PS:Die PDF-Geschichte, vulgo e-paper, der Verlage hat deshalb keine Zukunft, weil Datenpakete für den mobilen Newskonsumenten zu schwer sind. Weil ich mit meiner indischen SIM über einen billigen 3G-Zugang zum Netz verfüge, wollte ich mal die NZZ am Sonntag runterladen. Nach einer halben Stunde lag die Anzeige bei 10%.
@dworni meint
Das ist alles ziemlich direkt und düster, aber ich gebe Ihnen in einigen Punkten recht. Andere Punkte schrieb ich hier nieder, gerade etwas zum Thema wie sich Zeitungen verkaufen:
http://dworni.ch/post/36539687376/nichtzeitungsleser
bugsierer meint
interessant, dass der bei jungendlichen kiffern bekannte „ist-mir-egal-groove“ jetzt auch wieder bei pensionisten auf indienreise geortet werden kann. danke internet. haben die ethnologen die bleistifte schon gespitzt?
ihre prognose zum medienwesen von morgen ist zwar düster, aber als denkbare variante leider nicht von der hand zu weisen.
M.M. meint
Eigentlich geniesse ich das Leben 🙂 – ich befinde mich ja in Goa (derzeit) nicht wie 1970 in einem Informationsloch.
Sogar das Ergebnis samt kompetenten Kommentar über die Abstimmung vom Sonntag zu einem Dorfprojekt in Arlesheim bekomme ich dank einem Blogger mit.