Nachdem wir nun schon seit drei Wochen nichts mehr vom Therwiler Handschlag gehört haben und voraussichtlich auch nichts mehr Neues hören werden, kann man sich mal unaufgeregt dem Verhältnis zwischen Muslimen und der christlich-jüdischer Leitkultur widmen.
Vorausschicken möchte ich, dass ich weder einer Religionsgemeinschaft angehöre noch an einen Gott geschweige denn an Götter glaube. Und dem Jenseits sehe ich gelassen entgegen: Wenn ich sterbe, bin ich zunächst einmal tot.
Ich habe demnach leicht reden.
Wenn ich also feststelle, dass SP-Nationalrätin Silvia Schenker richtigliegt, wenn sie kürzlich in der Sendung «Giacobbo/Müller» – gut, ist eine Satiresendung und da weiss man ja nie – anmahnte, man solle den Islam als Landeskirche anerkennen, dann ist damit nicht gesagt, dass ich ein Befürworter des öffentlich-rechtlichen Organisationsstatus für religiöse Gemeinschaften bin.
Aber weil es nun mal Landeskirchen gibt, sehe ich keinen vernünftigen Grund, weshalb Muslime nicht dasselbe Verfassungsprivileg erhalten sollen wie Katholiken, Christkatholiken, Reformierte und Juden. Auch wenn sie mit ihrem Bevölkerungsanteil von fünf Prozent eine Minderheit sind.
Wer jetzt leitkulturelle Aufwallungen verspürt, soll sich an den nächsten Stammtisch verziehen.
Den anderen möchte ich im Rest des Textes darlegen, weshalb es gescheit wäre, auch den Islam als «öffentlich-rechtliche Körperschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit» zu anerkennen.
Im Kern geht es nicht um religiöse Ansichten und Weltinterpretationen, sondern einzig und allein um Verfassungstreue. Ich bin nur deshalb gewillt, den Verfassungsstatus «Landeskirche» auch weiterhin hinzunehmen (und mit meinem Unternehmen Kirchensteuer zu bezahlen), weil die solcherart privilegierten Religionsgemeinschaften nicht mit Absichtserklärungen, sondern sich rechtsverbindlich der Verfassung unterstellen müssen.
Frau Schenker hat in ihrem Statement den einen Grund genannt, der für die Anerkennung des Islam als Landeskirche spricht: Mit ordentlichen Steuereinnahmen von Gläubigen und von Firmen soll die undurchsichtige Finanzierung der Moscheen durch Saudi-Arabien und durch den türkischen Staat eingedämmt werden.
Selbstverständlich wird das auf wenig Gegenliebe der Landeskirchen stossen, werden die Steuereinnahmen von den juristischen Personen doch «im Verhältnis ihrer Kirchenmitglieder» verteilt.
Darüber hinaus bin ich ein Befürworter eines Landeskirchenstatus für den Islam wegen des in den kantonalen Verfassungen verankerten Rechts, die religiöse Gemeinschaft «jederzeit mit einer schriftlichen Erklärung» verlassen zu können.
Dieses Verfassungsrecht ist insofern grossartig, als die Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht in erster Linie die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft qua Geburt schützt, sondern das Recht des Individuums verankert, aus persönlichen Gründen eine solche verlassen zu können.
Weil der Islam die Apostasie, die Abwendung vom Islam nicht toleriert, einige Länder «den Abfall vom Islam» gar mit der Todesstrafe ahnden, ist dieser Paragraf der Lackmustest dafür, wie es die Moslems in unserem Land tatsächlich mit den in den Verfassungen festgehaltenen Werten der Aufklärung halten.
Der Anerkennungsprozess zur Landeskirche würde mit den Muslimen eine Diskussion in Gang setzen, die über das Stammtischgeschwätz vom verweigerten Händedruck hinausführt.
U. Haller meint
Da habe ich meine Bedenken. Als entschiedener Befürworter einer vollständigen Trennung von Staat und Kirche (und damit sind alle religiösen Institutionen, auch die nichtchristlichen, gemeint) bin ich dafür, dass sich all diese Institutionen wie auch alle anderen weltanschaulichen Organisationen ohne irgendwelche staatliche Privilegierung einem freien Wettbewerb der Meinungen und Weltanschauungen stellen sollten. Das bedeutet im Klartext, dass mittelfristig die finanzielle Unterstützung der kirchlichen Institutionen mit staatlichen Geldern eingestellt werden muss, dass der Staat davon absieht, Kirchensteuern für diese Institutionen einzuziehen und dass vorab auch kein religiöser Unterricht in staatlichen Schulen mehr abgehalten wird. Es ist mir bewusst, dass viele kirchliche Institutionen soziale Aufgaben übernommen haben. Es liegt an der Politik, diese Entflechtung sukzessive voranzutreiben. Es ist mir auch bewusst, dass die Kultur (und damit auch die »Unkultur«, man denke zum Beispiel an die Religionskriege) in unserem Lande über eine lange Zeit von den kirchlichen Gegebenheiten geprägt wurde. Man darf und soll sich dieses Erbes durchaus bewusst sein. Von einer »christlich-¬jüdischen Leitkultur«, wie MM schreibt, würde ich aber dezidiert Abstand nehmen. Die hat so nie existiert, ganz im Gegenteil – doch eine Diskussion hierüber würde Bände füllen.
Die Trennung von Kirche und Staat bedeutet auch eine gehörige Portion Freiheit für beide Seiten. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass der muslimischen Gesellschaft die Anwendung der Scharia zugestanden wird. Solange diese (religiöse) Angelegenheiten innerhalb einer Moschee bzw. einer muslimischen Personengruppe regelt – und diese Regelungen nicht im Widerspruch zu den allgemeinen Gesetzen stehen, solange die Verfassung und die für alle gültigen Gesetze des Landes, die nicht verhandelbar sind, damit ausser Kraft gesetzt oder unterwandert werden sollen, ist es auch kein Problem. Religiöses Recht kennen auch die anderen abrahamitischen Religionsgemeinschaften. So zum Beispiel das Judentum, das mit der Maxime »Dina de Malchuta Dina« seit annähernd 2000 Jahren ganz gut gefahren ist. Dieses talmudische Prinzip (»das Gesetz des Landes ist Gesetz«) schreibt vor, dass Juden grundsätzlich verpflichtet sind, die Gesetze des Landes, in dem sie leben, zu respektieren und zu befolgen. Das bedeutet auch, dass diese in bestimmten Fällen sogar der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, vorzuziehen sind. Und nicht zuletzt die Römische Kirche kennt ja auch das Kanonische Recht, das gewisse Reaktionäre noch heute strikt befolgen, die meisten aber in unserer säkularen Gesellschaft gar nicht mehr kennen.
M.M. meint
Grundsätzlich kann ich dem zustimmen, bin jedoch anderer Meinung.
Ich finde es im gegenwärtigen politischen Klima doch recht gut, wenn religiöse Gemeinschaften unter dem Titel „Landeskirche“ unter Beobachtung stehen. Zum Beispiel, wenn ich an Churer Bischöfe denke. Die protestantische Kirche würde wohl ohne Status untergehen und der Rest der Mitglieder in evangelikalen Vereinigungen verschwinden. Kein angenehmer Gedanke.
Ich argumentiere also mit Blick auf Verfassungstreue. Von mir aus könnte man im Kanton Baselland die Kirchensteuer für juristische Personen abschaffen, so wie es BS getan hat.