Letzte Woche bin ich bei Facebook ausgestiegen.
Ich war gut drei Jahre dabei, habe einiges ausprobiert und selbstverständlich auch mit vielen Kommunikationsverantwortlichen über ein Engagement in den Social Networks diskutiert. Und empfohlen, dort mitzumachen.
Seit gut einem Jahr, bin ich zu einem Facebook-Skeptiker geworden.
Zum einen kann ich es einfach nicht mehr lesen, was all die Berater für Bullshit schreiben. Ich habe in den letzten beiden Jahren gegen Tausend Beiträge zu Facebook gelesen. Es gibt nichts mehr Neues. Die schreiben einander nur noch ab.
Alles, was geschrieben wird, hält der nüchternen Realität einfach nicht stand.
Lasst es mich so ausdrücken: Es gibt zwei, drei Beispiele von grossen Firmen, welche auf Facebook eine beeindruckende Zahl von „Freunden“ haben. Es gab den Shitstorm gegen Nestlé und dann nichts mehr in dieser Art von Relevanz.
Der grosse Rest der Firmen dümpelt, gemessen an der Zahl der täglichen Kunden in der analogen Welt und dem vermeintlichen Potenzial der inzwischen eine Milliarde Accounts zählenden Facebook-Gemeinschaft, im Nowhere.
Auch wenn 20’000 oder gar 50’000 „Freunde“ jede Marketingabteilung zutiefst beeindrucken.
Auch das hat mal jemand geschrieben: Tausend neue Freunde hinzuzugewinnen, ist gratis. Tausend Freunde auf Facebook bei der Stange zu halten, geht jedoch ins gute Geld.
Ich selbst hatte zuletzt gegen 1’600 Freunde.
Die Realität sieht so aus, dass ich den ganzen Tag Mitteilungen über Bergwanderungen, Skifahren, Ferien am Strand, Bilder vom Nachtessen, Links zu irgendeinem Thema erhalten habe. Die Firmen, denen ich folgte, tauchten nie auf, weil der Algorithmus von Facebook dies nicht so wollte.
Ich musste privateste Informationen zur Kenntnis nehmen, Fotos von Neugeborenen und anderen Dingen angucken, die mich zum Voyeur machten.
Und dann diese Wahlkampfzeiten, mit all den dummen Politikerplakaten. Jeder Trottel hat schliesslich schon mal einen Beitrag gelesen, in dem ihm gesagt wurde, Social Media sei schon schampar wichtig.
Facebook ist eine Scheinrealität, die – ich sehe das – von vielen als Realität betrachtet wird. Ist das etwas aussergewöhnlich Neues? Ich denke nicht – die meisten Menschen leben in irgendeiner Scheinwelt.
Facebook ist ein kommerzielles Unternehmen, dessen einziger Wert die Summe der Teilnehmer ist. Weil da jeder mit Name, Alter, Wohnort, Arbeitgeber und vielen Äusserungen zum persönlichen Alltag präsent ist, ist gemäss Börsenspekulation zum IPO jede einzelne Mitgliedschaft inzwischen mehrere Tausend Dollar wert.
Facebook weiss, wie viele Novartis-Mitarbeiter genau in diesem Moment auf Facebook online sind. Und kann mitverfolgen, wohin diese Mitarbeiter bei nächsten Klick gehen. Deshalb bin ich, anders als noch vor einem Jahr, der Meinung, grosse Unternehmen und Verwaltungen sollten ihren Mitarbeitern den Zugang zu Facebook sperren.
Das Risiko, das von in Serverfarmen in den USA gespeicherten Soziogrammen meines Unternehmens ausgeht, („morgens um Neun sind XX% der Novartis-Mitarbeiter auf Facebook, X-% wechseln danach zu ….., X-% zu….., die Verweildauer beträgt im Schnitt X.X Minuten“), ist einfach zu gross.
Das Beispiel ist übrigens nur in Bezug auf den Firmennamen nicht echt.
Ich denke, es lebt sich auch ohne Facebook prächtig. Auch für dieses gilt: Man verpasst nichts, wenn man nicht dabei ist. Es wird so viel über das Netzwerk geschrieben, da bekommt man das Wesentliche auch so mit.
Ich muss mich beispielsweise nicht mehr mit den ständig wechselnden Regeln und Privacy-Einstellungen beschäftigen. Auch die grosse Umstellung der Accounts auf Timeline geht uns sowas am Wertesten vorbei.
PS: Hier wird beschrieben, wie man seinen Facebook-Account löschen kann, nebst direktem Link. Auf Facebook selbst haben sie diesen Vorgang recht gut versteckt.
PS: Ich bin derzeit noch bei Google+. Nutze das aber nur sehr defensiv. Google ändert gegenwärtig ebenfalls die Spielregeln. Auch dort kann man jederzeit aussteigen.
Rainmaker meint
Und wie komme ich nun zu Ihren Blogeinträgen ohne täglich auf Arlesheimreloaded zu klicken 🙂
Martin Steiger meint
Ist die Frage ernst gemeint? Falls ja: RSS.
Peter Schlemihl meint
Grundsätzlich sehr einverstanden!
Aber wie war das mit den langweiligen privaten Mitteilungen, die eigentlich niemanden interessieren?
Man findet sie eben nicht auf facebook, sondern gelegentlich auch in Blogs von renommierten Kommunikationsberatern…
Liberopoulos meint
jede generation hat seine medien und ihre art zu kommunizieren. vielleicht sind ein paar der schreiberlinge (mich eingeschlossen) für fb einfach zu alt.
rumpelstilz 2 meint
M.M.jetzt noch „arlesheimreloaded“ ausblenden und nur ganz wenige bekämen es doch wirklich mit.Der Lauf der Dinge.
merlinx meint
Schon wieder eine gute Nachricht: Letzte Woche das Refusieren des höchsten Basler Ordens, und nun auch noch der Abschied von Facebook* – ein sauberer Schnitt, keine Kuscheltrennung.
Das gefällt mir.
(* Auch dieses Roboter-Imperium wird bröckeln …)
Brave new world meint
Gut gesagt: „Die schreiben einander nur noch ab. Alles, was geschrieben wird, hält der nüchternen Realität einfach nicht stand.“ Tja, da haben die wohl einiges gemeinsam mit den Qualitötsjpurnalisten der grossen schweizer Tageszeitungen.
rumpelstilz 2 meint
Lieber M.M. ich finde,jeder kann es so halten wie er will mit fb.Es braucht da weder Fanale zum Ausstieg,noch Fundamentalkritik.Wenn jetzt noch sage,dass von den 2,75 Mio Schweizer usern die Anzahl der 13-17-Jährgen usern genau der Generation der 45+ enstpricht (15 %),so könnte es ja mitunter sein,dass digital immigrants/ignorants -auch wenn sie noch so aufgeklärt tun -eben hier nicht zurechtkommen,weil sie aus einer ganz anderen Erfahrungswelt kommen.Ich sehe das auch in den comments hier oben.Da stehen einfach Dinge, die nicht stimmen.Und diese Geheul der privacy,also ich hatte schon 1989 eine 73-seitige Fiche,angelegt ohne jedwelche Rückgriffe auf Informatik….
Hotcha meint
Es hat ein kleines Geschmäckle, dieser Abschied von Facebook – dass Facebook ein Datenkrake ist, war schon seit Beginn klar. Dass es als Marketinginstrument kaum taugt, hätte bei näherem Hinsehen auch schon lange klar sein können.
Es hat das alles einen Hauch von enttäuschter Liebe. Alles ist nur noch schlecht. Überprüft FB die Identität eines Users, wenn er nicht auf dem gewohnten Gerät einloggt, ist ein Feature gegen den (früher) grassierenden Kontenklau, keine Beleidigung, @Fred David.
FB ist praktisch, um über die anstehenden Parties informiert zu sein. FB kündigen und daheim bleiben? Kann man machen.
Fred David meint
@)Hotcha, sorry, eine Party kann ich locker auch so organisieren. Ich will doch nicht ungefragt Hinz & Kunz dabei haben.
Mir passt nicht, das FB mich zu Dingen zwingt, die ich nicht will, mir ungefragt Fristen setzt (In sieben Tagen, spätestens haben Sie….!), mich aushorcht, ungebeten und ungefragt in meinem Account herumfummelt usw.
Vor einiger Zeit war es hipp zu fragen,:“Was, du hast noch keinen Account?“ Heute ist es hipp zu fragen:“Was, du bist da noch dabei?“ Auch die Twitter-Fetzchen hat man schnell satt.
Social media sind auf dem besten Weg zu asocial media zu mutieren. FB kommt dabei grosser Verdienst zu , im Doppelsinn.
Blacky meint
Drei Jahre Facebook? Mein lieber Schwan: Mir genügten vier Wochen! Und dass die halbe Schweizer Journi-Community nun zu zwitschern begonnen hat, buche ich ab unter „fröhliche Selbstbefriedigung“ – mangels bezahlender Leserinnen und Leser.
Philippe Wampfler meint
Ich bin sehr einverstanden mit der Skepsis in Bezug auf Social Media, was eine professionelle Kommunikation angeht. Ich würde Schulen – wo ich arbeite – z.B. raten, sehr defensiv zu agieren in Bezug auf diese Netzwerke. Generell halte ich Facebook aber auch Twitter für professionelle Kommunikation für sehr überschätzt.
Dennoch ist die Skepsis in Bezug auf den individuellen Nutzer nicht gleich berechtigt: Ich habe meine Filter so justiert, dass ich m.E. relevante Meldungen angezeigt bekommen in Facebook. Natürlich ist immer noch recht viel Schrott darunter, aber ich kann entsprechend postende »Freunde« sofort ignorieren, wenn ich das möchte. Die Filter sind etwas feiner justierbar als bei Twitter – erfordern aber entsprechend auch mehr Zeit und Pflege.
M.M. meint
Ab 1’000 Freunde ist das mit den nicht relevanten Meldungen sperren so eine Sache. Ich weiss, man kann da auch Gruppen schaffen – aber das ist alles mit einem administrativen Aufwand verbunden.
Mir kommt Facebook vor wie diese Tamagotchi, diese virtuellen Viecher, die man täglich pflegen musste.
Bei Twitter sehe ich schon einen Nutzen. Zumindest für mich. Ich folge ein paar interessanten Leuten – nicht allzu vielen. Und erfahre da eigentlich immer wieder Neues.
Auf Flipboard werden die Tweets zum lesbaren Magazin, weil die Links gleich als Text gezeigt werden.
Ich folge auch einigen Journalisten – ein guter Newskanal. Denn die twittern meistens über Aktuelles.
Martin Steiger meint
Mich erstaunt vor allem, dass es Facebook trotz allen Daten über mich nicht gelingt, für mich relevante Inhalte anzuzeigen … vermutlich gibt es sie bei Facebook schlicht nicht.
matt meint
Gibt es eigentlich noch second life?
M.M. meint
Gute Frage, ich glaube, ich habe dort noch immer einen Account. Aber dieses Passwort habe ich totsicher nicht mal mehr irgendwo gespeichert. War schon seit über drei Jahren dort.
Selbstverständlich war auch ich mal begeistert und habe Second Life in meine Vorträge eingebaut. 🙂
Karsten Füllhaas meint
Danke, dass Du ausgerechnet einen Beitrag von mir verlinks, als Beispiel für einen Bullshit-Berater. Ich denke, es finden sich viele Texte in verschiedensten Blogs, die Deinen Kriterien entsprochen hätten. Nicht ganz fair, dass ich den Kopf für die ganze Branche hinhalten muss.
M.M. meint
Das war in der Tat nicht persönlich gemeint. Aber du bis heute per RSS Feed passend eingespielt worden.
Ich gönne jedem jeden Franken, den er mit Social Media-Beratung verdient.
Zudem weiss ich um deine Qualitäten. Du bist schiesslich schon sehr, sehr lange dabei.
Doch dein Beitrag enthält genau die Standardaussagen, welche die Branchenvertreter in Varianten seit gut zwei, drei Jahren verbreiten.
Um auf einen Punkt einzugehen: Meine Erfahrung mit Messtools, die so angeboten werden, sind:
a) dass sie sehr teuer sind.
b) dass sie sehr schwer zu bedienen sind.
c) dass die gelieferten Daten sehr schwer zu interpretieren sind.
c) dass sich intern kein Mensch für die Daten interessiert.
Ich rede jetzt nicht von Multis, die, wie die UBS, über Monitoringteams verfügen die noch andere Medien beobachten, sondern von grösseren KMUs, zum Teil exportorientiert.
Ich verfolge für zwei international tätige Unternehmen sowohl das Gezwitscher als auch über Google Alert was so auf den Netz läuft. Es ist mässig interessant und bringt keine wirklich relevanten Feedbacks. Dasselbe gilt auch für Facebook.
Kurz auf den Punkt gebracht: Die gute alte Umfrage mit gezielten Fragen gibt mehr her als die zumeist dümmlichen Social Media-Kommentare.
Deshalb bin ich der Meinung, dass sich KMUs, die nicht mal in der Lage sind, einen lesbaren/interessanten Text für ihr Website zu schreiben, Facebook & Co. einfach mal vergessen sollten. Der Aufwand rechnet sich nicht.
Ich gebe zu, dass ich lange Zeit bei diesem Popanz auch mitgespielt habe.
Amerikanische Social Media-Beobachter gehen inzwischen viel kritischer mit Facebook und Google+ um, als die Europäer und insbesondere die paar Schweizer, die sich auf diesem Feld tummeln.
Europa ist den USA halt meistens zwei Jahre hintendrein.
Fred David meint
…kommt übrigens noch hinzu, dass seit etwa zwei Wochen sämtliche Einträge, die ich in den letzten zwei Jahren irgendwo gepostet habe, wortwörtlich registriert und abrufbar sind, ohne dass ich irgendwas dagegen tun kann. Facebook ist inzwischen eine Seuche, die man abstellen muss, noch bevor die arroganten Idioten ihren Raubzug mit dem Börsengang in den USA machen.
Fred David meint
Zustimmung zu 100%. Kommt noch ein Aspekt hinzu: Facebook zwingt mich neuerdings mit „Facebook Chronik“ zu Dingen, die ich überhaupt nicht will, fingert eigenhändig in meinem account rum, ohne dass ich das verhindern oder löschen kann, mahnt mich lehrerhaft, wenn ich mal längere Zeit nicht online war und kontrolliert, von welchem Anschluss aus ich ins web gehe. Ich komme immer mehr zum Schluss: Finger weg von diese anmassenden, macht- und geldgierigen Idioten!
Peter Gysin meint
Wird die Scheinwelt nicht eher von den Mainstream-Medien aufgebaut?