Nehmen wir zum Beispiel Jürg Wiedemann, 60, Landrat mit eigener Partei (Grüne Unabhängige) und Gebieter über eine ausserparlamentarische Oppositionsbewegung (Starke Schule Baselland).
Der Mann ist Mathelehrer in Allschwil und damit Angestellter des Kantons. Er sitzt seit 2003 im Landrat und handelt dort mit Dutzenden von Vorstössen und einigen Initiativschlachten vor allem in einem Interesse – seinem eigenen. Denn nichts kümmert diesen Streitbaren mehr als die Frage: Wie kann ich das Baselbieter Schulsystem nach meinem Gusto zurechtbiegen. Als Staatsangestellter geniesst er für dieses Vorhaben die besonderen Privilegien seines Arbeitgebers: Sieben Tage im Jahr kann er als Angestellter des Kantons bezahlten Zusatzurlaub beziehen, um sich seinem Kreuzzug gegen das Schulsystem zu widmen.
Der Mann hat sich in den letzten Jahren eine Machtposition aufgebaut wie kein zweiter Landrat in diesem Kanton.
Wiedemann, der sich selbst an keinen Schulplan hält, weil er die Ansicht vertritt, er und nicht der Bildungsrat bestimme, wie er die vorgegebenen Ziele erreicht, fällt im Lehrerzimmer durch seine Süffisanz auf, berichten Kollegen, die mit ihm zu tun haben. Er schwebt über Schulleitung und Kollegium.
Deshalb interessieren ihn Diskussionen im Gremium nur, wenn sie seinen Interessen dienen.
Das berichten auch politische Mitstreiter aus dem Landrat. Wer sich erdreistet, sich in einer Landratssitzung zu Bildungsfragen zu äussern, dabei aber nicht a) zur Glaubensgemeinschaft Wiedemanns gehört oder b) nicht gerade in einer anderen Sache wichtig ist, wird ziemlich rüde in die Ecke der Nichtkompetenten verwiesen.
Der Mathelehrer und Staatsangestellte Wiedemann, im Zenit seiner Macht, kann seiner obersten Chefin gar mit einem neuen Referendum drohen, sollte diese nicht die Weichen nach seinem Gusto stellen.
Schliesslich, so sein Selbstverständnis, hat er sie mit der Wählt-Monica-Kampagne seiner Starken Schule ins Amt gebracht.
Wir walzen das Wirken von Herrn Wiedemann deshalb derart breit aus, weil er die Spitze eines Problems darstellt, dessen sich die politisch interessierten Citoyens zu wenig bewusst sind: die Macht der Staatsbeamten im politischen Betrieb des Landkantons. Rund dreissig Prozent der Landrätinnen und Landräte sind Kantonsangestellte.
Wie Thomas Gubler vor vier Jahren in der Basler Zeitung zu Recht geschrieben hat, ist das gemessen an der grössten Beschäftigtengruppe, den Angestellten in der Privatwirtschaft, eine krasse Übervertretung.
Die letzten Wahlen haben daran nichts geändert.
Doch es ist nicht allein die Übervertretung im Rat, sondern auch das Zusammenspiel von Politikeraktion im Parlament und Mitarbeiterkampagne in den Büros. Wenn der Landrat, trotz Staatsangestelltenprotest im Rat und Büro, eine bescheidene Lohnkürzung von einem Prozent beschliesst, stehen kurze Zeit später 1400 Staatsangestellte mit einer Beschwerde auf der Matte.
Es braucht nicht sehr viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie die Politikergruppe der Staatsangestellten viele andere Sparbemühungen sabotieren.
Das Insiderwissen ist der entscheidende Vorteil.
Die Lösung? Der Aargauer Weg. Im Nachbarkanton können Staatsangestellte nicht ins Kantonsparlament gewählt werden. Mit einer Anpassung des Gesetzes über die Gewaltentrennung könnte man – als Sparbeitrag – den Landrat um die dreissig Staatsangestelltensitze verkleinern.
Ohne Qualitätseinbusse.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 22. Juni 2016
Heiner Schäublin meint
Einverstanden: Aber das würde den Ausschluss der Sozialdemokratie aus den Parlamenten bedeuten. Und wer füllt dieses Vakuum? Noch mehr bürgerliche «Sparapostel» die in die eigenen Taschen wirtschaften? Eines würde aber sicher erreicht: «Excel» ersetzt die Gesetzgebung. Was für ein Fortschritt.
Beat Hermann meint
Bin da nicht so sicher. Auch die bürgerlichen Parteien sind im LR gut vertreten: Polizisten durch die SVP , höhere Beamte durch die FDP, nicht zu vergessen alle Angestellten von Gemeinden und Anstalten des Kantons. Aufräumen tut not. Die gesparten Sitzungsgelder wären das Eine. Vernachlässigbar im Vergleich zu den Kosten der „Kompromisse“ zu Lasten der Steuer- und Beitragszahler.
Siro meint
ich hab’s mal versucht – mit einer Minimal(!)lösung – und bin kläglich gescheitert:
https://www.baselland.ch/07-htm.317347.0.html
Meury Christoph meint
Die Übervertretung der Staatsangestellten im Landrat ist stossend und gehört korrigiert. Man sieht das egoistische und selbstbezogene Verhalten nicht nur bei Jürg Wiedemann. Duzende von Interpellationen, Postulaten und schriftlichen Anfragen legen ein beredtes Zeugnis ab und zeigen, dass den Damen und Herren im Landrat ihr eigenes Hemd am nächsten ist. Lobbyismus in der Wandelhalle ist ein Auslaufmodell: Die «Interessenvertreter in eigener Sache» sitzen bereits allesamt im Parlament. Daher ist es ein Gebot der Stunde: Staatsangestellt gehören auch im Baselland nicht ins Parlament. Volles Einverständnis mit dem vorliegenden Votum.