Marcel Rohr hat sein grosses Ziel erreicht, das er sich beim Antritt des Chefredaktorenpostens gesteckt hat: „Wir wollen die beste Zeitung der Welt machen.“
Heute hat er einen Leitartikel geschrieben, der zeigt, was er wirklich draufhat, um tatsächlich die „beste Zeitung der Welt“ zu machen: Tiefschürfend, analysierend, dazu hochpolitisch und die Probleme treffsicher beleuchtend, versehen mit ein paar kreativen Vorschlägen, wie man Basel zu einer besseren Stadt machen kann.
Grandios!
Während in der Steinen und am Rheinufer „der Alkohol in rauen Mengen fliesst“, stellt Rohr nach eingehender Recherche fest, herrscht in der Innenstadt die grosse Trockenheit.
Welch ein Bild des Jammers!
Zur Freien Strasse fällt ihm die anschauliche Zeile ein: „…um 18 Uhr klappt die Kummermeile ihre Trottoirs hoch“.
Die Freien Strasse (Vuitton, Zara, Globus, Feldpausch, Trois Pommes, Orell Füssli, Kurz, Starbucks et al), eine Kummermeile – wenn das mal keine klare politische Ansage ist!
Warum keine „Livebands auf dem Marktplatz“, fragt Herr Rohr die Leser. Warum „kein Ort, wo man Kinder unbürokratisch zum Spielen abgeben“ kann, warum keine Spontan-Sehtests beim Optiker und überhaupt: „die Arroganz der Verkäufer [in Basel] ist kaum zu überbieten.“
Ja warum nicht?! Muss man da hinterher rufen.
Das ist mutig, das ist Journalismus at it’s best.
Weil der Leitartikel so ganz ohne Rücksicht auf mögliche Inserenten der BaZ geschrieben ist.
Ganz grosses Kino zeigt Rohr, wie er beschreibt, wie er in Österreich sein Schnitzel bestellt und endlich zuvorkommend behandelt wird, wie es einem Chefredaktor eines Weltblatts zusteht: mit einem Gratiskaffee, weil das Schnitzel etwas verzögert gereicht wurde. „Der Kellner entschuldigt sich mehrere Male.“
Mein Gott, die Österreicher!
Nach der Lektüre dieses Leitartikels muss ich mich – mit Asche auf dem (kahlen) Haupt – korrigieren, weil ich vor Corona geschrieben habe „Marcel Rohr: schlechtester Chefredaktor aller Zeiten“.
Jetzt, nach Corona, muss ich einsehen: Marcel Rohr ist der beste Chefredaktor aller Zeiten, bei der besten Zeitung der Welt.
Ich bin drauf und dran, einen Marcel Rohr-Fanclub zu gründen.
gotte meint
à propos medien: in baZ nur noch werbung von search.ch (in besitz von TA media) und 1 Inserat UBS. in 28-seitiger (!) NZZ ( ob diese paar seiten sich noch lange „zeitung“ nennen dürfen?) gibt es heute montag 7 inserate, 3 ganzseitige, davon 6 für produkte der nzz selbst. das einzige nicht NZZ-inserat nicht für UBS, sondern für…. médecins sans frontières.
Jean Ackermann meint
Wenn man so zur Goldmedaille für Kritik kommt, traue ich mir eine Teilnahme an der nächsten Competition zu, denn ich kann auch lästern wenns um Misstände in Basel geht.
Christoph Meury meint
Episch und mantraartig erhalten wir kurzatmige Nachhilfestunden in die Mikroökonomie der Kleinstadt Basel. Rettet die Freie Strasse! Rettet global agierende Firmen! Rettet die Gastroketten!
Herr und Frau «Agglo« machen sich Sorgen, um ihr innerstädtisches Shoppingvergnügen. Nieder mit den Auflagen, freie Sicht auf den rettenden und alimentierende Nanny-Staat. Das Recht auf eine belebte Stadt wird moniert. Kultur zur Stimulierung des Einkaufrausches. Freie Fahrt zu Apple & Co. ist das Gebot der Stunde. Kurz & schnurz: Die horrenden Immobilienpreise haben die Menschen vertrieben, damit ist auch das Leben entfleucht. Da nützen Beschwörungen wenig.
Thomas Zweidler meint
Eine Politikerin ist wegen eines BaZ-Interviews weg vom Fenster – schrieben Sie letzthin.
Jetzt wieder ein Bericht über ein Chefredaktor-Artikel in der BaZ.
Sie überschätzen die jetzige BaZ völlig.
Unter Somm war das noch anders. Stadtgespräch.
Heute:
Wegen ein paar BaZ Zeilen verliert kein Politiker. Oder gewinnt.
Und was immer ein BaZ Chefredaktor auch brünzelt, es interessiert niemand (mehr)
Wie gesagt: Sie überschätzen dieses Blatt völlig.
Weil es bei allen praktisch kein Thema mehr ist.
So wie Zeitungen heute eh kein Thema mehr sind.
Das ist der Lauf der Zeit.
U. Haller meint
Ganz Ihrer Meinung. Von Somm – vermisse ihn – wird man noch lange reden, doch Rohr…. Forget it.
Baresi meint
Gibt es objektive Belege dafür, dass die Verkehrspolitik das Hauptproblem in Basel ist? Mit dem Auto nach Lörrach ist von der Anfahrt bis zu den Parkplätzen eine Zumutung und scheint trotzdem in Kauf genommen zu werden.
Wenn Firmen dort einkaufen und produzieren wo es am günstigsten ist und damit die Arbeitsplätze in der Schweiz in Gefahr geraten, warum soll der Schweizer Arbeitnehmer/Kunde nicht auch dort einkaufen wo es für ihn am meisten bringt?
Maurus Ebneter meint
Es gibt eine Zürcher Studie über den speziell hohen Wert (oberirdischer) Parkplätze. Und es gibt die Erfahrung Hunderter Geschäftsinhaber, die nach Veränderungen des Verkehrsregimes von einem Tag auf den anderen Umsatzveränderungen feststellten. Nichts gegen (richtig dimensionierte) Fussgängerzonen, doch sie müssen erschlossen sein.
Zum zweiten Punkt: Wir beschaffen unsere Waren gerne in der Schweiz, aber nur zu Preisen, die unter Wettbewerbsbedingungen zustande kommen. Durch die abgeschotteten Vertriebssysteme der Konzerne (und bei Lebensmitteln durch hohe Schutzzölle) ist dies leider oft nicht der Fall. KMU haben einen faktischen Beschaffungszwang im Inland, währen die Konsumenten ins Ausland ausweichen.
Franz meint
Hab das Meisterwerk vor einer Stunde gelesen.
Zumindest angefangen…
Ist denn wirklich keiner da, der ihm sagt, dass es einfach nur unterirdisch schlecht ist mit was er da Seite zwei gefüllt hat?
Immer und immer wieder.
Mittlerweile glaub ich einfach, denen In Zürich ist scheissegal, was in der BaZ steht.
Hauptsache die Seiten bleiben nicht weiss…
Gregor Stotz meint
Ich bin ganz bei Ihnen!
Maurus Ebneter meint
Marcel Rohr beschäftigt sich tatsächlich mit einem wichtigen Thema, denn die Frequenzen und Umsätze in der Innenstadt lassen tatsächlich zu wünschen übrig! Nur leider geht er auf die wichtigste Ursache nicht ein: den extremen Einkaufstourismus.
Dieser hat mit dem schwachen Euro, dem abgeschotteten Agrarmarkt, mit missbräuchlichen Schweiz-Zuschlägen und der Zugänglichkeit für den motorisierten Individualverkehr zu tun. Würde ein Shopping-Center in der Agglomeration ohne günstige Parkplätze in kurzer Gehdistanz funktionieren? Nein.
Klar, auch die hohen Mieten sind ein Problem. Aber eigentlich nur deshalb, weil die Frequenzen nicht mehr stimmen. Manche Gründe wie den Online-Handel und die schwache Diversität des Angebots beschreibt Rohr korrekt. Auch sein Hinweis auf die Kundenfreundlichkeit ist berechtigt: Es gibt Verbesserungspotential.
Den Vergleich mit einem «kleinen Ort in der Steiermark» finde ich allerdings billig. Hier greift Rohr auf ein Klischee des «Schweiz-Bashing» zurück. Ich wurden in Wien oder Salzburg schon unfreundlich bedient – und im Bergell oder Lötschental schon ausgesprochen freundlich. In den Ferien sind wir als Kunden halt entspannter, was sich beim Gegenüber spiegelt.
Noch etwas zum Schlagwort Innovation: Natürlich müssen Unternehmer innovativ sein (aber nicht um der Innovation willen). Der Vorwurf mangelnder Innovation darf der Politik jedoch keine Ausrede dafür sein, die Rahmenbedingungen nicht anzupacken. Solange man bei uns zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen Verkehrspolitik und Stadtbelebung bestreitet, eines der Hauptprobleme also nicht erkennt oder erkennen will, wird man keine guten Lösungen finden. Zumal die Verkehrspolitik jener Bereich ist, bei dem auf kantonaler Ebene etwas bewegt werden könnte (bei der Agrarpolitik oder beim Kartellrecht geht das nicht, beim Eurokurs schon gar nicht).
Basel ist übrigens bei weitem nicht die einzige Stadt, die Probleme mit ihrem Zentrum hat. In Deutschland ist die Verödung zum Teil schon viel weiter fortgeschritten – ausser in der Nähe zu den kaufkräftigen Schweizern.
Herr Rohr ist an den richtigen Themen dran, aber – zumindest diese Woche – mit zu wenig Tiefgang.
M.M. meint
Kann mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal in einem Laden in Basel unfreundlich bedient wurde.
Kürzlich bei Ochsner Sport, die hatten die Schuhe in meiner Grösse nicht an Lager. Kein Problem. Adresse am Terminal eingeben, bezahlen, Schuhe kamen zwei Tage später mit der Paketpost nachhause.
Mona-Lisa meint
Ich mich schon. Letzten Freitag bei Esprit. Vorteil der nahezu leeren Läden: nicht anstehen müssen an der Kasse. Nur, der Typ, der dort steht, geht umgehend weg, als ich zur Kasse trete, ist scheinbar nicht zuständig. Ich stehe also und warte, habe es zum Glück ja nicht pressant, sehe zwei Frauen am Lift stehen, die Angestellte sein könnten. Mist, denke ich, die fahren jetzt gleich nach oben. Warte also weiter und stelle fest, nein, die plaudern einfach miteinander. Was ich ihnen durchaus gönne und genauso machen würde, nur: ich würde beim Plaudern trotzdem immer wieder mal einen Blick zur Kasse schweifen lassen, ob dort vielleicht jemand steht… Nach einer guten Weile rufe ich ihnen dann doch zu: „Excusez, kann man hier bei irgendjemandem bezahlen?“ Und siehe, die eine war tatsächlich die Kassiererin, die umgehend zur Kasse kommt und mich ‚berufsmässig anflötet’… Fazit: Wegen der Preise muss niemand nach D – alles ‚Sale‘ und deutlich herabgesetzt. Aber das Verkaufspersonal ist inzwischen derart abgelöscht, dass einen das Einkaufen inkl. bitti-betti-machen, dass man überhaupt zahlen darf, irgendwie auch ablöscht. (Denke, das liegt an der nicht vorhandenen Beziehung zum / Identifikation mit dem Arbeitgeber. Ist bei Ochsner Sport vielleicht noch etwas anders, auch andere Ausnahmen gibt’s bestimmt.)