Ich gebe es zu: ich habe, je länger desto mehr, Mühe mit unserer direkten Demokratie.
Wir reden uns zwar ein, sie sei das beste politische System, das man sich wünschen könne.
Doch bei Licht besehen, ist das Resultat der Mitwirkung des Volkes bei Sachfragen vor allem eine Momentaufnahme der kollektiven Gefühle.
Weil niemand die Folgen eines Volksentscheids tatsächlich voraussehen kann. Direkte Demokratie bedeutet eben, sich im Ungefähren zu behaupten.
Das heisst, in der Regel sind Volksabstimmungen – auch abstruse – ohne spürbare Folgen für die Einzelnen.
Weshalb man nicht um den Eindruck herumkommt, dass nach dem Abstimmungssonntag das Ergebnis allen ziemlich egal ist.
Frau lebt am Montag weiter wie gehabt.
Mit vollem Kühlschrank.
Ein neuer Höhepunkt dieser Stimmungsmache-Abstimmungen wird derzeit mit der Konzernverantwortungsinitiative gestemmt.
Lustvoll. Weil gefühlsgeschwängert.
Ob ich nun eher zur einen Richtung neige oder zur entgegengesetzten: Mangels harter Fakten müsste ich der einen oder anderen Seite meinen Glauben schenken, um bei Ja oder Nein das Kreuz setzen zu können.
Mein Problem dabei: Ich bin Atheist, besonders was Politgötter und ihre irdischen Organisationen anbelangt.
Weshalb ich – ungläubig also – staune, wie die eine und die andere Seite im Brustton der Überzeugung….
Ja was denn?
…behaupten können, sie wüssten, was gut ist für ………………………….(bitte Gewünschtes selbst einsetzen, weil bei dieser Initiative alles passt.)
Weil ich also zu glaubensbedingten Überzeugungen eine betont skeptische Haltung pflege, bin ich ich ziemlich immun gegen jegliche Versuche, bei mir mit Emotionen einen Entscheid „aus dem Bauch heraus“ zu provozieren.
Was schliesslich zum bestimmenden Handlungsmuster jeglicher Glaubenvereinigung gehört.
Aus dem Bauch raus entscheiden – das lässt sich aktuell daran ablesen, dass die Corona bedingte angespannte wirtschaftliche Grosswetterlage in den einschlägigen Diskussionsforen kaum eine Rolle spielt.
Schon gar nicht bei den Befürwortern. Bauchgefühl schlägt Verstand.
Mit einer guten Portion Allmachtsanspruch.
Denn die Konzernverantwortungsinitiative kann man – in Anlehnung an Geibel – in einem Satz zusammenfassen: Am Schweizer Wesen mag die Welt genesen.
Es scheint, dass Menschen mit vollem Kühlschrank ein ganz klein wenig zur Selbstüberschätzung neigen.
Was zu einem evolutionären Nebenprodukt der direkten Demokratie geworden zu sein scheint.
Peter Bellakovics meint
Am Schweizer Wesen mag die Welt wohl nicht genesen, aber der volle Kühlschrank könnte einen statt zur Selbstüberschätzung ja auch zum Nachdenken bringen – so quasi vom Bauchentscheid zum Kopfentscheid! Was meinen Sie? 😉
Phil Bösiger meint
Von internationalen Konzernen zu verlangen, dass sie an ihren Produktionsstandorten von der UNO definierte Minimalstandards einhalten, hat absolut nichts von einem Allmachtsanspruch. Verhinderung von Kinderarbeit, der Stopp von illegalen Brandrodungen, Verbot extrem schädlicher Insektizide und Pestizide, sowie die Einhaltung elementarer Arbeitnehmerschutzgrundsätze, um nur ein paar Beispiele zu nennen – das ist im Jahr 2020 doch kein Luxus mehr, das ist elementare Verantwortung.
Wer solche Machenschaften heute noch toleriert oder schönredet, ist der wirkliche Kolonialist. Es gibt zum Glück bereits viele Unternehmen, die sich freiwillig an einen Kodex halten. Das dies ein Wettbewerbsvorteil sein kann, haben die „wirtschaftsnahen“ Kreise der KVI-Gegner leider noch nicht realisiert. Es dauert halt manchmal bei manchen etwas länger……also müssen es die Stimmberechtigten richten.
In der EU-Kommission haben sie jedenfalls etwas gemerkt; dort wird gerade ein vergleichbares Gesetz wie die KVI ausgearbeitet. Bei einer Ablehnung der KVI könnte sich das Blatt damit komplett gegen unser Land wenden; die Schweiz würde wieder Mal ins Abseits gedrängt. Dann wird uns die EU die Regeln der Konzernverantwortung diktieren.
Oder können wir es uns leisten, international als neuzeitlicher Ausbeuter von Mensch und Natur gebrandmarkt werden?
Daniel Seiler meint
Früher mussten Initianten die Menschen noch mit Argumenten überzeugen. Heute wird einfach jahrelang eine Flagge aufgehängt und dann beschwichtigt. In Basel sind die Regierung und die Grossunternehmen dezidiert gegen die Initiative. Die neuen linken Kandidaten aber dafür. Widerspruch? Diskussion? Berichterstattung? Fehlanzeige.
gotte meint
In der Westschweiz sind die Regierungen und die Grossunternehmen dezidiert für die Initiative. Widerspruch? Diskussion? Berichterstattung? Fehlanzeige.