Ein Gastbeitrag von Ralph Hutter*
Da haben wir eine starke, erfahrene, belastbare SVP Politikerin in den Bundesrat gewählt (zugegeben – nicht die Wunschkandidatin der SVP), die in einer unglaublichen Schmierenkomödie von der Partei ausgeschlossen wurde, um in den Folgejahren gebetsmühlenartig zu Gehör zu kriegen, man sei politisch nicht mehr vertreten. Wenn man nun grosszügig über die exakte Parteizugehörigkeit hinwegsieht, bleibt der Fakt, dass Eveline Widmer Schlumpf weiterhin in ihrer angestammten Ausrichtung politisiert. Eine thematische Vertretung ist/war also jederzeit gegeben. Nicht arithmetisch, aber thematisch. Konkordanz erhalten. Thema erledigt.
Als zeitgenössisch liberaler und parteipolitisch unabhängiger Mensch finde ich in den meisten bürgerlichen Parteiprogrammen Themen – von links bis rechts -, die mich bewegen und die ich gerne im Parlament adressiert wüsste. Vereinzelt sogar solche der SVP. Nur; die penetrante Fokussierung der SVP auf die EU- und Ausländer Themen und damit die völlige Absenz von Anliegen, die eine “Volkspartei” besetzen müsste: Umwelt – angesichts Fukushima-, Bildung (nein, nicht Harmes), Familie, Wirtschaft ist mir völlig unerklärlich.
Dies in Kombination mit andauernden, Angst schürenden “Hasskampagnen”, über Jahre vorgetragen von den wenigen omnipräsenten Meinungsmachern in unerträglicher Selbstherrlichkeit, macht die SVP für mich nicht mehr wählbar. Medial zwar immer clever inszeniert, aber auf die Dauer eben unerträglich.
Ich störe mich am Stil und an der Tonalität. Ich kann Blocher, Brunner, Mergelig und mittlerweile auch Baader und Ricci nicht mehr hören (von Schlüer ist glücklicherweise nicht mehr viel zu hören). Diese per se beleidigte Grundhaltung seit Christoph Blocher abgewählt wurde. Dieser grundsätzliche Antireflex gegen alles, was nicht aus dem eigenen Parteiprogramm stammt. Die stetigen Drohgebärden, um nicht zu sagen Erpressungsversuche mit dem Gang in die Opposition, diese teilweise beleidigenden Reaktionen auf entgegengesetzte Positionen in einer Demokratie. Der Umgang mit der FDP, einem langjährigen Politpartner, und ultimativ, die Reaktion auf die heutigen Bundesratswahlen bezeugen, dass etwas aus dem Ruder läuft. Nämlich die Kommunikation und die Besinnung auf die eigenen Werte einer Volkspartei.
Die medialen Rampensauen versperren seit Jahren den Blick auf das breite Spektrum der Parteiarbeit der SVP, auf hochaktuelle Themen, die Bevölkerung bewegen und in der Partei eigentlich auch behandelt würden. Die vielen gemässigten Vertreter in der Partei geraten zu Statisten, haben entweder bereits zur BDP gewechselt oder haben sich von einer Bundesratskandidatur ausgenommen.
Retrospektiv gesehen hatte die Partei vier Jahre Zeit, sich der selbstverschuldeten Misere zu stellen und sich professionell in Stellung zu bringen. An Geld, Beraterstimmen und Medienkontakten hätte es sicherlich nicht gemangelt.
Und nun folgt die unsägliche Anreihung an Fauxpas. Die Nominierung von Bundesratskandidaten gerät zum Spiessrutenlauf. Absagen, Zusagen, Leichen im Keller, weinerliche Pressekonferenzen, Ersatzkandidaten mit Vorbehalten, Tohuwabohus und Alleingänge der Parteispitze, welche sogar Fraktionsmitglieder danach sprachlos liessen. Zielloses Taktieren während der Bundesratswahl, und als ob es nicht genug wäre, noch eine unnütze und stillose Attacke auf die Nominierung des Bundespräsidenten.
Die Quittung dafür sind die vergangenen Ständerats- und Bundesratswahlen. Die Wahlerfolge der SVP der vergangenen Jahre und die Wähleranteile sind unbestritten. Sie gründen auf berechtigten Ängsten, Sorgen und Themen, die die Schweizer Bevölkerung ernsthaft beschäftigen. Sie wollen zwar Vertreter im Parlament, die diese umsetzen, aber bitte in ordentlicher Schweizer Manier. Mit Anstand, Respekt und Kollegialität. Der Begriff Konkordanz ist überstrapaziert. Aber Anstand, Respekt und Kollegialität sind Begriffe, für die Herr und Frau Schweizer einstehen. Für und gegen die SVP.
In der Privatwirtschaft müssen bei Misswirtschaft Köpfe rollen. In der SVP gilt offenbar eine jahrelange Gnadenfrist oder die autoritäre Führung führt zu einer kulturellen Genickstarre. Aber jetzt ist es an der Zeit, dass anstelle einer angedrohten, diktierten Oppositionsrolle die Jungen, die Gemässigten, die erfahrenen Unternehmer und die Familienväter das Ruder der Partei übernehmen. Sie können der SVP ein neues, zeitgemässes, reales Gesicht geben und das schmuddelige, patriarchische Image von Wenigen bis zur nächsten Bundesratswahl korrigieren.
PS: Die alten bürgerlichen Parteien schwimmen bei genauer Betrachtung thematisch aber nicht weniger und haben es verpasst, sich im Vergleich zur erfrischend neuen GLP ein klares politisches Profil zu geben. “Alle gegen die SVP” ist keine thematische Positionierung, aber derzeit ein Statement zur echten Konkordanz, die Arithmetik kurzzeitig vernachlässigt und Konkordanz über Anstand, Respekt und Kollegialität definiert.
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*Ralph Hutter ist Autor und Herausgeber des Blogs pixelfreund.ch. Er schreibt über Web 2.0 Trends, Netzkultur, Digitalfotografie und neue Medien. Er ist Referent an Fachhochschulen, fährt leidenschaftlich gerne Vespa und alte italienische Motorräder. Über Politik schreibt der interkantonale Geist nur anlässlich von Bundesratswahlen und wenn es ihm „den Deckel lupft“.
Markus Saurer meint
Du meine Güte, welch Gejammer. Da kann ich ja gleich den Tagesanzeiger lesen. Jeder soll so sein, wie er will. Abstimmungen und Wahlen sind dazu da, das wir wählen können.
Libéralité meint
Selbstkritik kennt die SVP nicht. Ein weiterer Rückgang der Wähler wird folgen, da die neue Wählerschaft „Stammtischler“, welche erschlossen werden konnte, nicht an erfolglosen Dingen interessiert ist und darum nicht mehr an die Urne geht. Weiter kennt die SVP nur ein Thema, war schon bei der Autopartei etc. der Untergang!
max meint
Was für eine Aneinanderreihung längst ausgelutschter Allgemeinplätze. Sie, Herr Hutter sehen grosszügig über so einiges weg. Wenn eine Partei eine Person als Vertretung Ihrer Interessen nicht akzeptiert (und das könnte beim Vorgehen dieser Frau keine Partei), vertritt sie diese Partei eben nicht. Diese Frau vertritt die Interessen einer 5% Partei. Nicht unbedingt das, was man unter Volkspartei versteht.
Dass die SVP bei der Kandidatenauswahl unbestrittenermassen nicht geglänzt hat, geschenkt. Aber glaubt irgendjemand, dass die beste Kandidatenauswahl etwas am Wahlausgang geändert hätte? Im Ernst?
jean jadespring meint
„Diese Frau“ hätte ich zwar nie gewählt, aber sie zeigt euch den Finger! Und für diese Geste respektiere ich sie. Und mit mir nicht wenige im neugewählten Parlament. Dem Maurer hätten sie gestern auch den Ausgang zeigen sollen, aber dazu war die Neue Mitte zu schlapp.
max meint
Ihr Respekt ist wahrlich einfach zu bekommen. Ob irgendjemand darauf Wert legt, ist eine andere Frage.
Hannes Felchlin meint
Finde den Artikel auch super; nur das P.S. kann ich zum Teil nicht ganz verstehen.
Ich zitiere: „Die alten bürgerlichen Parteien …. haben es verpasst, sich im Vergleich zur erfrischend neuen GLP ein klares politisches Profil zu geben.“
Was genau ist das KLARE politische Profil, ausser liberal und grün?
Anton Keller meint
Man kann den Ball 1:1 den Medien weiterreichen. Nicht alle SVP-Themen sind den Medien eine Erwähnung wert, vor allem nicht jenige bei denen eben keine künstliche Empörung durch Überspitzung erzeugt werden kann.
jean jadespring meint
Was wären das denn für „jenige“ Themen? Gilt das Wort der SVPler denn gar nichts, dass diejenigen Themen, die sie auf Plakaten und in den Medien breitschlagen etwa nicht dem entsprächen, was sie wirklich meinen und ad nauseam selber sagen? Es gäbe noch verborgene Themen und Werte und Tugenden? Nachdem die das Maul bereits so voll genommen haben, gäbe es noch mehr noch dummdreister zu sagen? Wirklich?
NU meint
Dieser auf den Punkt präzis formulierten Analyse gibt es nicht nur wenig, sondern gar nichts hinzuzufügen… Passt und sitzt!
jean jadespring meint
Wenn es einem erst jetzt „den Deckel lupft“ hat man vorher denn keinen gehabt? Ich bezweifle füglich, dass die SVP auch nur *ein* Thema „besetzt“ hält, das sich wirklich mit den Anliegen der Bevölkerung beschäftigt. Wer das Johlen dieser Leute anhören konnte und ihm jahrelang intellektuellen Gehalt zugestand oder diese Leute für „wählbar“ hielt, muss sich fragen lassen, ob er noch bei Trost gewesen sei und sich vielleicht einmal die Augen reiben oder von der Wirklichkeit reiben lassen. Hinzu tritt die hirnverbrannte Ideologie in Wirtschaftsfragen, da wurden auch nur immer dieselben Unsinnigkeiten wiederholt, von den sogenannten „Bürgerlichen“. Das Nachplappern, hört das nun auf, Herr Hutter?