Mal so ganz unter uns – der Rest ist ja in den Ferien –, was Sie heute hier lesen, glaube ich ja selbst nicht. Was mich nicht daran hindert, gleichwohl die These in den Raum zu stellen, dass die gedruckte Zeitung – überhaupt Printprodukte – wieder eine Zukunft haben könnten.
Nicht wegen des «Qualitätsjournalismus», der als Überlebensrezept beschworen wird.
Ich denke vielmehr an eine Renaissance des allseits abgeschriebenen Finanzierungsmodells der Printmedien mit den teuer verkauften Inseraten.
Die verlorenen Werbegelder könnten wieder zurückkommen. Das hat zum einen mit der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu tun. Diese ist gerade dabei, das erfolgreiche Geschäftsmodell der Werber und Marketingmenschen gehörig durcheinanderzurütteln.
Bei der Onlinewerbung kann man genau messen, wer wie lange der Werbebotschaft seine Aufmerksamkeit schenkt.
Und nicht nur das.
Man kann mit all den vielen Daten, die man online sammelt – Neudeutsch: trackt –, ein erschreckend genaues Persönlichkeitsprofil der Betrachter erstellen.
Geradezu euphorisch reagieren die Datensammler auf Leute, welche auf Websites, die sie besuchen, die Like- und Share-Buttons nutzen. Völlig grenzenlos ist die Datensammelwut von Facebook.
Die wissen einfach alles: Wann Sie online sind, welche Seiten Sie besuchen, welche Bewegungen Sie mit der Maus machen. Ob Sie schwanger sind, noch bevor Sie es selbst wissen.
Der Datenmarkt ist Big Business.
Bei der Onlinewerbung geht es nicht mehr allein um die Botschaft. Diese ist Mittel zum einzigen Zweck, dem Sammeln von Millionen von Daten, um damit die Konsumenten auf Schritt und Tritt, so der wahr gewordene Traum der Werber, mit individuellen Botschaften zu manipulieren.
Machten sie das bis im Juni klammheimlich, so müssen sie ihre Wegelagerei dank der DSGVO jetzt offenlegen. Eine nächste EU-Verordnung, die gegenwärtig in Brüssel diskutiert wird, will noch viel weiter gehen. Mit der e-Privacy-VO soll der Einsatz von Cookies und Verfolgungstechniken (Tracking) durch Websitebetreiber nur noch mit der ausdrücklichen Einwilligung des Nutzers erfolgen dürfen.
Das Geschäft mit der Onlinewerbung wird damit implodieren.
Dass der Tracking-Schutz ins Geld geht, zeigt das letztes Jahr von Apple für seine Betriebssysteme eingeführte Blockiersystem.
Im Herbst will Apple mit einem neuen Browser-Update das Tracking vollständig unterbinden. Besonders das von Facebook. Künftig wird eine Infobox mit der Frage aufpoppen: «Willst du Facebook.com erlauben, Cookies und Webseite-Daten zu verwenden, während du auf Plappermaul.net surfst?»
Die Antwort wird wohl eindeutig sein: Nein.
Und deshalb komme ich zurück zu meiner Eingangsthese: Die Werbung kommt wieder zu Print zurück, weil sich die Unternehmen ernsthaft die Frage stellen müssen, ob sie von nun an als Bad Guys gelten wollen, als aggressive Verkäufer, welche ihre Kunden auf Klick und Wisch durchs Internet verfolgen.
Wenn die Konsumentinnen gewahr werden, dass nicht sie die Werbung der Firma XY anschauen, sondern die Werbung der Firma XY sie, kann die Onlinewerbung zu einem Reputationsproblem werden.
Zeitungen könnten somit mit dem Slogan «garantiert ohne Tracking» wieder zurück ins Geschäft kommen.
Ehrlich – ich würde gerne daran glauben.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 18. Juli 2018
G. Koller meint
Aber kommen auch die Leser/innen zurück zu Print? In Basel, mit seiner seit Jahren immer mal wieder umgepflügten, mit fremden Gewächsen bepflanzten und im Vergleich zu früher nicht mehr so prächtig gedeihenden Zeitungslandschaft, und einer entsprechend verstörten Leserschaft?
Und ist das nur ein netter Nebeneffekt, dass bei dieser Wiederbelebung einer durch den Sog der digitalen Medien ins Stocken geratenen, Unternehmen übergreifenden Wertschöpfungskette (Unternehmer – Werber – Verleger Printmedium) auch Kosten eingespart werden können, welche durch die „Dienstleistung des sogenannten Datenschutz-Vertreters in der EU“* zwangsläufig auf dem digitalen Marktplatz entstehen würden?
Super, dann gäbe es endlich nur noch Gratiszeitungen …
(* Interessantes Interview mit Rechtsanwalt Martin Steiger auf watson zum Papiertiger DSGVO.)
(China scheint da überhaupt einen andern Weg zu gehen, Überwachung und tracking total, gefolgt von Bonus/Malus in Echtzeit.)
Arlesheimreloadedfan meint
Der Print kommt nicht zurück, weil sich die Menschen zwischen Rom und Island nicht dauern ums Altpapier kümmern wollen.
Aber Ihre Kolumne ist hoch spannend,hatte letzte Woche schon Angst,Sie wären Supinos schleichender Platzergreifung gewichen.
M.M. meint
Werde mich im Fall schon ordentlich von den Lesern verabschieden.