Das, was mich an solchen Parteitagen wie diese Woche und die Diskussionen in deren Vorfeld einzig interessiert, ist dieser chaotisch-dynamischen Prozessess mit seinem täglich wechselnden Auf und Ab.
Ob Stückelberger oder Buser war mir einerlei. Ich bin ja nicht in der FDP und auch kein zuverlässiger bürgerlicher Wähler.
Buser und Stückerlberger waren in diesem Spiel Figuren, manchmal handelnd, zumeist jedoch von den Ereignissen getrieben.
Die Frage ist deshalb zunächst einmal, aus welcher Warte man diese Prozesse beobachtet.
Ich ordne politische Parteien unter dem grossen Dach „religiöse Glaubensgemeinschaften“ ein, weil sie ebenso wie Kirchengemeinschaften auf kollektiven Mythen basieren.
Parteien zeichnen sich wie diese durch die Fähigkeit ihrer Mitglieder aus, untereinander eine starke soziale Beziehung einzugehen.
Beides ist wichtig, um einerseits im Kampf mit den anderen Parteien bestehen zu können.
Andererseits um sich als Gruppe von der überwiegenden Mehrheit der Nichtparteimitglieder abzuheben – als eine für eine privilegierte Rolle in der Politik auserkorene Gemeinschaft.
Interessant ist zudem, dass Parteien ihr Sozialleben ähnlich organisieren, wie frühe Stammesgemeinschaften, die aus Gruppen von höchstens 150 Menschen bestanden, also in etwa in der Grösse einer Delegiertenversammlung.
Zusammengehalten werden solchen Gemeinschaft durch Klatsch und Tratsch.
Wie Yuval Noah schreibt in seinem lesenswerten Bestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“:
Bis zu einer Grösse von 150 Personen reichen enge Bekanntschaften und Gerüchte als Kitt für Gemeinschaften, Unternehmen, soziale Netzwerke und militärische Einheiten aus, um Ordnung zu halten.
Auch wenn sich Parteispitzen dagegen wehren, Klatsch und Tratsch ist das Schmiermittel des politischen Prozesses.
Die Ferienwohnung von Slo, der Ausschluss von Wiedemann, das Duell Stückelberger-Buser sind Glücksfälle, um im Gespräch zu bleiben.
So gesehen waren die Tage vor dem Parteitag der FDP höchst spannend, weil sich durch bewusst gestreute Meinungen und Gerüchte (mehr oder weniger konkreten Strategien folgend), sich die aktuelle Gemengelage täglich – je nach Nähe: dramatisch – veränderte.
Vor allem deshalb, weil sich nicht nur Parteimitglieder, sondern auch Aussenstehende mit Zugang zu Lautsprechern am Klatschen und Tratschen beteiligten und den innerparteilichen Meinungsbildungsprozess stark beeinflussten.
Wie das Beispiel zeigt, ist eine solche Klatsch- und Tratschphase auch insofern wichtig, als sie den involvierten Klans die Möglichkeit bietet, sich informell darüber abzustimmen, welche Themen man vermeiden will, um nicht das gemeinsame höhere Interesse des Stammes zu beschädigen.
Bei der FDP war das ganz klar die Positionsfrage.
Niemand hatte ein Interesse daran, einen Richtungsstreit zu entfachen. Deshalb einigten sich stillschweigend die drei aktiven Klans Buser, Schnee- und Stückelberger darauf, die zum Teil beträchtlich auseinanderliegenden politischen Positionen und Interessen lediglich ansatzweise zu thematisieren.
Weshalb man die divergierende Interessenslage auf die – seien wir ehrlich – im Grunde genommen völlig unerhebliche Frage der Doppelkandidatur verlegt hat.
So geschah denn das Erstaunliche, dass Herr Buser, der Machtmensch, sich in Demut übte und Herr Stückelberger, der Linke, fortan nun auch ein senkrechter Wirtschaftsfreisinniger ist.
Der Schneeberger-Klan deutet das äusserst knappe und so von niemandem erwartete Abschneiden von Herrn Buser als Silberstreifen am Horizont.
Schwenken wir den Scheinwerfer.
Was jetzt interessiert, ist die Geschichte, die Herr Janiak und seine Stammesgemeinschaft für den Kampf um den Ständeratssitz der Öffentlichkeit präsentieren werden. Sie sollten damit nicht allzu lang zuwarten.
Roxyreloaded meint
Man ist einfach baff, wie prägnant, klug und überraschend Herr Meury jeweils seine Gedanken in nur ein, zwei Sätzen – niemals mehr – zu formulieren versteht….. nie langweilig, nie einseitig, nie muffig, nie verbittert …
Henry de Bâle meint
@Meury
Ihre oberlehrerhafte „Analyse“ kommt mir aber seeeehr bekannt vor. Alter Wein in neuen Schläuchen sozusagen.
Warum beglücken Sie die Leserschaft nicht einfach mit einem Link?
> http://www.tageswoche.ch/de/2015_13/basel/684017/Die-D%C3%BCrre-der-Gr%C3%BCnen-ist-D%C3%BCnger-f%C3%BCr-die-SP.htm
Würde Zeit sparen!
Meury Christoph meint
Sind Sie der eigentliche, der heimliche und verkannte, Oberlehrer, welche die Aussagen der anderen bewerten muss, oder haben Sie meiner Aussage etwas entgegenzustellen? Eine eigene Analyse zum Beispiel? Ich bin gespannt.
Jetzt fehlt nur noch die Balkonszene mit den beiden schulterklopfenden Alten…..
Wäre doch eine gute Gelegenheit wieder einen draufzuhauen, Jungs. Danke! 😉
Meury Christoph meint
Die SP Baselland geht in die Opposition. Das klang nach der verlorenen Wahl nach einem nach Schlachtruf. Das klang nach Stärke. Zwischenzeitlich fragt man sich aber eher: Wer soll diese Opposition anführen? Nach dem raschen Abgang der glücklosen Parteipräsidentin Pia Fankhauser und dem Verlust eines Regierungssitzes, schlingert die Partei ziemlich orientierungslos durchs politische Gewässer. Man leckt die Wunden und sucht verzweifelt nach einer neuen Parteiführungen. Namen werden genannt und wieder verworfen. Die Personaldecke ist offensichtlich dünn und das Präsidium wenig begehrt. Dabei läuft die Zeit davon. Im Herbst sind Wahlen und mit der Nomination von Christoph Buser (FDP) sind die Bürgerlichen stark aufgestellt und Claude Janiak muss sich ziemlich warm anziehen. Das wird kein Spaziergang. Die SP braucht also rasch ein starkes und kommunikativ versiertes Präsidium. Als Opposition kann die SP aber nur glaubwürdig auftreten, wenn sie neue Ideen, neue politische Projekte und vor allem neue Köpfe portieren kann. Opposition ist nicht Besitzstandswahrung. Opposition muss angreifen und anpacken können. Und matchentscheidend: Irgendwann muss diese Opposition sich bemerkbar machen. Irgendwann muss sie ihre Offensive starten.
In wenigen Monaten sind die Wahlen und noch hört man kaum ein Grummeln aus den Kreisen der SP Baselland.
Marc Schinzel meint
Sicher definieren sich Parteien über Grundprinzipien und – weshalb nicht – zum Teil auch mythisch überhöhte Gemeinschaftserfahrungen. Bei der FDP wären das die individuelle Freiheit, die Eigenverantwortung oder die Gründung der modernen Schweiz (alle sieben Bundesräte von 1848 waren „radikal“). Bei der SP ist es die soziale Grundsicherung (AHV!), bei der SVP die Unabhängigkeit des Landes. Doch ist da noch mehr: Positionen müssen kontrovers diskutiert, gebündelt und in konkrete Zielsetzungen gegossen werden, um sie gesellschaftlich nutzbar zu machen. Verkürzungen und Verallgemeinerungen sind unvermeidlich. Eine anarchistische Gesellschaft, in der jeder nur für sich wirkt, funktioniert nicht. Parteien mögen gewisse Gemeinsamkeiten mit Religionsgemeinschaften haben. Sie haben es vor allem auch mit dem Gewerbeverband, der Feuerwehr, dem Samariterverein, dem Quartiertreff. Die Demokratie lebt von freiwilligen und ehrenamtlichen Tätigkeiten in unterschiedlichster Form.