Schön doch, dass man sich auf Churchill berufen kann, wenn es darum geht, dem Feind in Brüssel zumindest in der Fantasie Widerstand zu leisten. Auch wenn man keine Beaches vor der Grenze liegen hat, wo man den Feind niederzuringen gedenkt.
Jedoch: Ist es nicht wunderbar, wenn man den Film der Geschichte an einer bestimmten Stelle anhalten kann, um seinen eigenen Widerstandswillen gegen den Phantomfeind aufzupumpen?
Lassen wir mal Hitler beiseite und lassen den Film weiterlaufen, dann schauen wir zu, wie das britische Empire untergeht.
Was in Asien, wo die Japaner in Burma (und in Vietnam) als Befreier gefeiert wurden, kaum auf Bedauern stösst. In Indien hat man das Massaker von Amritsar bis heute nicht vergessen.
Weil es nicht so recht ins aktuelle Bild passen will, wird in der Bewunderung für den Widerstandswillen gegen Hitler ausgeblendet, wie das Empire nicht von Nazi-Deutschland sondern von den Japanern zerstört wurde. Nicht zuletzt aus Überheblichkeit, wie die Kapitulation Singapurs lehrt.
Churchill mag in der Tat ein aussergewöhnlicher Politiker und Literat gewesen sein, doch spätestens in Jalta war er und seine Insel zu jenem Format geschrumpft, den ihm die neuen Weltmächte Russland und die USA nach dem Krieg zugestehen wollten: Ein nettes Überbleibsel aus einer untergegangen Epoche.
Also: Weder Churchill noch die Briten können der Schweiz im Umgang mit der EU als Vorbild dienen.
Während die Insel-Engländer – im Unterschied zu den Schotten, den Walisern, den Nordiren – noch immer imperialen Träumen nachhängen, haben es die Kontinental-Schweizer, seit man ihnen 1815 am Wiener Kongress ihren Platz in Europa zugewiesen hat, verstanden, sich mit einer klugen Einschätzung des jeweils Möglichen geschickt den wechselnden Zeiten anzupassen.
Zumeist zu ihren Gunsten.
Nachtrag: Ich favorisiere die Suezkrise 1956 als Lehrstück. Damals meinten die Briten (und die Franzosen) in völliger Überschätzung ihrer Position in der Welt, sie könnten mit ein paar Falschirmjägern den Suezkanal besetzen. Und eine Art neues Kolonialregime einrichten. Die USA stellten ein Ultimatum und die Briten zogen kleinlaut auf ihre Insel zurück.
Marc Schinzel meint
Sehr einverstanden, dass Churchills Widerstandsgeist im WW II herzlich wenig mit einer vernünftigen Regelung des Verhältnisses zwischen der Schweiz und der EU zu tun hat.
Etwas anders sehe ich den historischen Teil: Churchills Unbeugsamkeit 1940/41 ist m.E. schon bemerkenswert. Damals stand ein militärisch klar unterlegenes Grossbritannien allein auf weiter Flur gegen Hitler (Sowjetunion an der Seite des Reichs, Unterstützung der USA durch Lend/Lease-Act rein materiell und nur langsam anlaufend). Lord Halifax‘ Appeasement wäre 1940/41 weit bequemer gewesen. Natürlich zertrümmerte nicht Hitler, sondern das japanische Kaiserreich das britische Empire in Ostasien. Aber Hitler hielt den Japanern den Rücken frei. Das Gros der starken britischen Flotte, die für Japan eine reelle Gefahr war, war im Nordatlantik gebunden und musste mit aller Kraft die Handelswege Amerika-GB offen halten. Die kampfstärksten britischen Truppen standen an der insularen Heimatfront. Was die britische Kolonialherrschaft betrifft, so war diese bei allen Monströsitäten insgesamt deutlich geschickter als diejenige Frankreichs oder Italiens. Während die Franzosen sehr hart herrschten und sowohl in Vietnam wie in Algerien blutige Kolonialendkriege führten, investierte Grossbritannien in die Infrastruktur (noch heute Grundlage des indischen Bahnnetzes) und zog i.d.R. kampflos ab.