Heute beginnt die SP mit ihren öffentlichen Hearings für die Wahl ihrer Bundesratskandidaten.
Es stellen sich fünf Männer und eine Frau der öffentlichen Diskussion.
Wir, die Leute, die den Wahlprozess lediglich als Beobachter begleiten, gehen – mit gutem Willen – davon aus, dass es sich bei Matthias Aebischer, Evi Allemann, Beat Jans, Daniel Jositsch, Roger Nordmann und Jon Pult um Persönlichkeiten handelt, die dem Anspruch des Amtes gerecht werden können.
Während, von aussen gesehen, alle, die sich diese und nächste Woche dem SP-Wahlpublikum stellen, plus minus vergleichbare Voraussetzungen fürs angestrebte Amt mitbringen, weist Daniel Jositsch ein Alleinstellungsmerkmal auf – Jositsch ist Jude.
Dazu muss ich sagen, dass ich das bis vor ein paar Tagen gar nicht gewusst habe, auch nicht wissen musste. Denn ob Jositsch nun Jude ist oder nicht, spielte für mich, und ich denke mal für die grosse Mehrheit der politisch Interessierten, nun wirklich keine Rolle.
Und für die, die es wussten, war das bislang eine Nebensache ohne Relevanz.
Was zählt und zählte: Daniel Jositsch ist ein politisches Schwergewicht.
Er ist Strafrechtsprofessor, Oberstleutnant der Schweizer Armee, eine Führungspersönlichkeit (was man in der Schweiz nicht unbedingt mag).
Jositsch ist ein Patriot. Im besten Sinne.
Der Zürcher Ständerat und frühere Nationalrat politisiert klar links der Mitte, auch wenn er in seiner Partei als Rechter gilt. Weil er sich nicht scheut, mit eigenen Positionen anzuecken, auch nicht in der eigenen Partei.
Jositsch gilt als der erfahrenste und beliebteste SP-Politiker der Schweiz, seit dem 22. Oktober ist er der noch bestgewählte.
Und nun also auch noch: Jude.
Dieser Umstand wird in den Diskussionen der kommenden Wochen eine Rolle spielen, gerade dann, wenn gesagt werden wird: Das spielt nun wirklich keine Rolle.
Doch der 7. Oktober, dem Tag des Überfalls der Hamas auf Israel, jenem Samstag, als 1’400 Männer, Frauen, Kinder, Säuglinge und Holocaust-Überlebende auf unvorstellbar grausame Art und Weise umgebracht wurden.
Aus einem einzigen Grund: Weil sie Juden waren.
Angesichts dieser abscheulichen Tat und dem, was darauf folgte, kommt niemand darum herum, Position zu beziehen.
Was einige Leute – von rechts bis woke – so tun, dass sich auch in diesem Land Juden bedroht fühlen.
Man muss sich das mal vorstellen: Schweizerinnen und Schweizer fürchten sich vor ihren Nachbarn, lassen ihre Kinder nur mehr ungern auf die Strasse; Wohnungen und Häuser, in denen jüdische Mitbürger wohnen, werden mit dem Davidstern gekennzeichnet; Schulen, Synagogen und andere jüdischen Einrichtungen müssen von der Polizei geschützt werden.
Wenn also behauptet werden wird, dass Daniel Jositsch Jude sei, spiele bei den Wahlen in den Bundesrat keine Rolle, dann ist das schlicht gelogen.
Oder es ist der Versuch, möglicherweise unangenehme Gedanken zu verdrängen.
Denn all die Vorbehalte der SP gegen den Kandidaten Jositsch – er habe es sich mit den Frauen in der Fraktion verscherzt, er politisiere zu eigenständig, überhaupt sei er rechts und so weiter – sind seit dem 7. Oktober überholt.
Ob es einem nun passt oder nicht, das interne Wahlprozedere muss im Ergebnis auch diese Frage beantworten: Sozialdemokraten, wie haltet ihr es mit dem Antisemitismus?
Man kann natürlich fragen, ob es angebracht sei, die Religion eines der Kandidaten mit politischem Anspruch der Partei zu vermischen.
Also schiebe ich vor dem letzten Satz den Anspruch der Mehrheit der Menschen in diesem Land dazwischen: Wir wollen angesichts der internationalen Lage, bei der man den Eindruck gewinnt, alles gehe den Bach runter, einen Neuen im Bundesrat, der mit Erfahrung und Ruhe, Intelligenz und Persönlichkeit, mit Empathie und Durchsetzungsvermögen plus der Fähigkeit, kommunizieren zu können, unser Vertrauen auch verdient.
Zusammengefasst: Die Wahl des Juden Jositsch in die Landesregierung wäre die starke Ansage einer selbstbewussten Demokratie in der Mitte Europas.
PS: Als Bonus gäbe es Jacqueline Badran SP-Ständeratskandidatin für dessen Nachfolge.
Michael Przewrocki meint
Jositsch wird gewählt im 2. Wahlgang mit herausragendem Resultat. Religion egal. Wir können uns keine Experimente mehr erlauben.
Marcus Denoth meint
Jositsch kennt die Milieus.
Als Mitglied der Studentenverbindung AV Bodania (St. Gallen) wurde er im Schweizerischen Studentenverband sozialisert und dieser gilt als Kaderschmiede der alten CVP bzw. katholischen Schweiz (Die Protestanten und FDPler waren bei den Zofingern).
Ein Fakt, der innerhalb der SP und vor allem deren Frauen sehr schlecht ankommt – die AV Bodania galt und gilt innerhalb des Verbandes als konservativ und ist eine reine Männerverbindung.
Silvio Fareri meint
Warum nicht? Er ist sicherlich nicht die schlechteste Wahl und würde – wie MM schreibt – ein starkes Zeichen aussenden. Leider gönnen sich die Parteien in Bundesbern gegenseitig keine „starken“ Bundesräte….