Ja, die Fliege lebt noch.
Ich wundere mich darob von Tag zu Tag. Schliesslich muss die Fliege schon einige Tage alt gewesen sein, als ich dachte, warum muss ich sie totschlagen? Also habe ich sie sein lassen. Seither lebt sie in der Küche und fliegt ab und zu mir zum Schreibtisch rüber.
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Die letzten Tage waren intensiv. Manchmal zehrt dieser Job an einem, obwohl er ja körperlich wenig anstrengend ist. Man rotiert in seinen Gedanken und sucht nach Formulierungen um für Unfassbares richtige Worte zu finden.
Ja und dann die Medien.
Die Grenze der Schamlosigkeit, besonders bei Onlineportalen, ist derart tief gesunken, dass der Blick dagegen in seinen frühen Jahren ein Blatt für Sonntagsschüler war.
Da werden Dinge geschrieben, die nicht wissenswert sind, die noch vor weniger Zeit tabu waren, aus Respekt. Mit ein paar Zeilen werden unzählige Menschen, Freunde, Angehörige zutiefst verletzt. Es ist kaum zu fassen, es macht einen fassungslos. Anders als auf Papier hat das Bestand, auf eine lange Ewigkeit. Suchmaschinen vergessen nichts.
Das bleibt auf Jahre hinaus als unwidersprochene letzte Worte so stehen.
Es macht auch kaum mehr Sinn, dagegen anzurennen, mit Bitten um Korrektur oder um Klarstellung.
Man sitzt das aus, weil man weiss, dass dem zugedrönten Publikum schon am Montag die nächste Jauche überm Kopf ausgegossen wird.
Wer widerliches Zeugs schreibt, sich als Tabubrecher in Szene setzt, nur wegen der Clickrate, und das als unabhängigen Journalismus verkauft, soll an seinen Sätzen ersticken.
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Ja, die Fliege lebt noch.
Es tönt vielleicht kitschig – aber irgendwie mag ich inzwischen dieses Viech. Wenn ich in die Küche komme, die in mein Büro übergeht (mehr in der nächsten Ausgabe von „Best of Basel“), schaue ich tatsächlich nach, ob sie noch da ist. Und ich schaue ihr amüsiert zu, wenn sie sich genüsslich auf die Reste des Frühstücksspiegeleis setzt.
Ich gönne ihr dieses Schlaraffenland von Herzen. Ganz ehrlich.
Und ich freue mich über ihre Gesellschaft (gerade eben sitzt sie wieder auf dem Bildschirmrand und putzt sich die Flügel). Weil ich weiss, dass ihr Leben wie meins beschränkt ist. Sie ist bei mir für eine Weile zu Gast.
Der Tod kann über Nacht alles verändern.
Und trotzdem geht das Leben weiter. Tag für Tag, Nacht für Nacht.