Die Türken haben es, wie so vieles, Herrn Atatürk zu verdanken, dass nicht wie überall sonst in islamischen Ländern der Freitag Ruhetag ist, sondern wie bei uns der Sonntag.
Am Sonntag sind deshalb auch in Istanbul die allermeisten Läden zu, auch der Bazar. Sonntagmorgen in Istanbul – warum nicht ein Hamam besuchen.
Die Sache ist die, dass wir vor zwei Tagen eher zufällig an einem türkischen Bad vorbeikamen – kurz, wir haben uns, der generellen Richtung folgend, ziemlich in die falsche Richtung verlaufen.
Eigentlich hatten wir uns das ganz easy vorgestellt: Von der Süleymaniye Moschee aus geht`s die Strasse runter zum besagten Hamam.
Die Süleymaniye Moschee ist eine der grössten Moscheen in der Altstadt. Also kaum zu verfehlen.
Dem xten, den wir nach der Richtung fragten, trotteten wir dann gut eine Viertelstunde hinterher. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, uns zur Moschee zu bringen. Obwohl auch er verschiedentlich gefragt hat, sind wir in die völlig falsche Richtung gegangen. Irgendwann hat er gesagt: Dort vorne, gleich um die Ecke…
Dort vorne gleich um die Ecke studierten wir erneut diesen nichtsnutzigen Stadtplan vom Hotel (die exorbitanten Roaminggebühren verbieten den Einsatz des Smartphones, dann wüsste man dank Google Map und GPS wo man sich gerade befindet). Dort bot sich ein Nächster an, uns zur Süleymanyie Moschee zu bringen. Sie war etwas skeptisch. Doch ich meinte, ist doch egal, wir haben ja Zeit, mal schauen, was diesmal daraus wird.
Wir sind den halben Weg wieder zurückgelaufen.
Er heisse Ismail. Er sei 57 und habe sich noch nach dem alten Gesetz pensionieren lassen, mit 55. „Das ist alles chinesische Ware“, meinte er, als wir bei Auslagen mit T-Shirts, Hosen, Röcke und Hemden vorbeikamen. „Ich war Schneider in einer Textilfabrik, die Chinesen mit ihrer Billigware haben uns aus Markt verdrängt. Alle wollen nur noch billigere Kleider, als die in der Türkei hergestellten, kaufen.“
Wir haben uns übrigens auf Englisch unterhalten. Ismail spricht sehr gut Englisch. Ich sagte ihm später, ich sei 63, was ihn ziemlich erstaunt hat. Sein ältester Bruder, der sei ein Jahr jünger als ich, meinte er beim Tee. Und drückte so seinen Respekt vor meinem Ältersein aus.
Wir redeten übers Pensionssystem, über Mietpreise, über die vielen Araber in der Stadt (ist wegen des Ramadan, die kommen, um hier entspannt Ferien zu geniessen). Er erzählte, wie die Stadt die alten Häuser verfallen liesse, in dem untersagt werde, sie zu restaurieren. „Dabei wäre doch gerade dieses alte Viertel gut für den Tourismus.“ Ob das so stimmt, weiss ich nicht. Es werden von diesen Holzhäusern auch welche renoviert, wie man sieht.
Wir reden über unsere Kinder.
Er habe spät geheiratet, seine drei Kinder gingen noch zur Schule, meinte er. Und ich fragte mich, wie der Mann sich und seine Familie über die Runde bringt.
Als wir eher zufällig bei dem von uns gesuchten Hamam vorbeikamen und ich sagte, ah, da wollen wir eigentlich hin, meinte er, dort seien viele Hotelgäste, keine Einheimischen. Er bringe uns zu dem Hamam, das er mit seiner Familie besuche.
Ich meine, früher hätte ich gedacht, der macht jetzt einen auf Touristennepp. Aber das kümmert mich nicht mehr. Meine Neugierde, wie sich eine solche Geschichte entwickelt, überwiegt das mögliche Misstrauen. Wenn`s nicht passt, dann sage ich nein. Basta.
Nach der Teepause und auf dem Weg zu seinem Bad, fragte er, ob wir schon mal in Istanbul waren. Ja, meinte ich, vor vierzig Jahren. Ich sei dann weiter nach Indien und sie mit dem Bus zurück nach Europa.
Er erinnere sich noch gut an all die Hippies, die damals in den Sechzigern und anfangs der 70er Jahre nach Istanbul gekommen seien, um Haschisch zu rauchen (ich habe erst in Afghanistan meinen ersten Joint geraucht). Das sei eine ziemlich aufregende Zeit gewesen, meinte Ismail. Er sei da oft beim Puddingshop herumgehangen.
„Puddingshop!!??“, sagte ich,“na klar, da waren wir auch.“ Wobei man hier einfügen kann, dass wir am Vorabend in einem exzellenten Baklava-Café einen dieser „erinnerst-du-dich-noch-an-den-Puddingshop-Puddings“ gegessen haben.
Der Puddingshop in Istanbul war der Dreh- und Angelpunkt für die Indienfahrer. Dort gab es die neuesten Informationen für unterwegs, traf man Leute, mit denen man ein nächstes Stück weiterreiste. Zudem: nach einem Joint so einen Pudding reinzuhauen, ist das Delikatessengefühl schlechthin. In Kabul gab es zu der Zeit auch einen Puddingshop.
„Den Puddingshop gibt es noch“, meinte Ismail. Der ist gleich beim Tourismusbüro unterhalb der Blauen Moschee. Da haben sich doch tatsächlich unsere Weg schon einmal gekreuzt, wer hätte das gedacht.
Das Hamam, zu dem uns Ismail brachte, ist seit 1470 ohne Unterbruch in Betrieb. Der Besuch hat sich gelohnt und Ismail sein Bakshish mehr als verdient.
PS: Und was hat man davon? Richtig: Hunger.