Politiker mogeln sich am liebsten nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung durchs Leben: Ich fordere A, erreiche damit Ziel B und alles wird gut.
Doch es ist halt so: Wenn man an einer Stelle etwas ändert, kracht es meistens völlig unerwartet an einer anderen. Lassen Sie mich dies anhand der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) und der Zukunft der schweizerischen Atomkraftwerke kurz darlegen. Vielschichtig.
Ausgangspunkt ist das Thema der Woche: «Die EU-Kommission hat einer vorläufigen Schweizer Teilnahme am europäischen Stromhandel ab Juli offenbar eine Absage erteilt hat» (BaZ). Der Brüsseler Entscheid hat einen Grund: die von einer knappen Mehrheit angenommene Masseneinwanderungs-Initiative. Die Schweiz ist jetzt zumindest beim Strom eine Insel. «Endlich!», können MEI-Anhänger jubeln.
Doch gemach, mir bleiben noch 2469 Zeichen bis zum Ende dieser Kolumne.
Jetzt kommen nämlich die Atomkraftwerke ins Spiel. Bekanntlich haben die Stromproduzenten schon seit einiger Zeit Probleme mit der Rentabilität ihrer Werke, egal ob Wasser- oder Atomkraftanlage. Das Geschäft mit Europa lief bisher so, dass man die Bandenergie aus den AKW unter anderem dazu nutzte, Wasser in die Alpenspeicher hochzupumpen. Die dann aus Wasserkraft gewonnene Elektrizität wurde in den täglichen Spitzenzeiten für gute Preise ins europäische Netz geliefert.
Dieses Geschäftsmodell ist tot, nix da mit der Batterie Europas.
Unternehmerische Entscheidungen werden nicht von Ideologien, sondern von Marktzwängen diktiert, weshalb Axpo und Alpiq wohl schneller als von der Politik geplant aus der defizitären Atomkraft aussteigen werden.
Was zur bisher unbeantworteten Frage führt: Wer übernimmt denn nun das technische und finanzielle Risiko des Atomausstiegs? Die Worst-Case-Antwort wäre der Konkurs der beiden Unternehmen. Die Alternative: Die Kantone halten bis zur Beantwortung der Frage die AKW mit Steuergeldern am Netz.
Wäre man ein gut bezahlter Berater, würde man den Stromkonzernen raten, die Grünen finanziell zu unterstützen. Muss man in der Schweiz ja nicht offenlegen. Die wollen nämlich mit einer Initiative erreichen, dass ein Atomkraftwerk nach einer Betriebsdauer von 45 Jahren abgestellt werden muss.
Sollte die Initiative angenommen werden, wären Axpo und Alpiq und damit auch die Besitzerkantone aus dem Schneider. Denn mit diesem Entscheid könnten sie vor Gericht ziehen mit dem Ziel, die millionenteuren Investitionen, die sie in den vergangenen Jahren im Vertrauen auf ihre unbefristete Betriebsbewilligung getätigt haben, vom Bund zurückzuerhalten.
Die Sache könnte aber noch eine andere Wendung nehmen, nämlich dass die schweizerischen Atomkraftwerkbesitzer sich die deutschen Kraftwerkseigner zum Vorbild nehmen. Die wollen die stillgelegten Atommeiler in eine öffentlich-rechtliche Stiftung überführen, in eine Art «Bad Bank» für die Atomenergie.
Mit ein paar Milliarden für die Auffanggesellschaft verabschieden sich die Konzerne (und die Kantone) kurzerhand aus der weiteren Verantwortung. Letzter (ironischer) Schlenker zur MEI: Wenn Axpo und Alpiq die Atomkraftwerke stilllegen, ist die eh schon gebeutelte Exportindustrie auf Gedeih und Verderb von teurem Importstrom aus Europa abhängig.
Merke: Politiker, die einfache Lösungen für im Grunde genommen komplexe Probleme versprechen, hinterlassen immer ein heilloses Durcheinander.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 29. April 2015.
Marc Schinzel meint
Zwei Dinge gilt es hier zu relativieren:
Der „Rat“ an die AKW-Betreiber, doch die Atomausstiegsinitiative zu unterstützen, um nach einer Annahme in einer Volksabstimmung via Gerichte zu einer Entschädigung zu kommen, ist ein dornenvoller Weg, ja wohl ein Holzweg. Das wissen die AKW-Betreiber wohl. Es ist juristisch extrem schwierig, Rechtsansprüche unter Berufung auf Volksentscheide durchsetzen zu können, in deren Rahmen Verfassungs- oder Gesetzesgrundlage pro futuro geändert werden. Wäre das mit den Ansprüchen so einfach, hätten wir längst eine Entschädigungsflut, etwa bei der Zweitwohnungsinitiative. Mit dieser wird klarer in bestehende Eigentumsrechte eingegriffen als dies bei AKW-Konzessionen je der Fall sein wird.
Die Bedeutung des Stromabkommens mit der EU sollte nicht überbewertet werden. Die, die sich primär darüber ereifern, sind Politiker und Journalisten. CH-Stromproduzenten nehmen die Sache gelassener. Die Rentabilität unseres Strommarktes hängt nämlich nicht von diesem Abkommen ab. Das europäische Netz funktioniert grosso modo. Wenn es einmal nicht funktioniert, liegt es nicht am fehlenden Stromabkommen, sondern an künstlichen Überproduktionen in unseren Nachbarländern, die das Netz zusammenbrechen lassen. In Europa gibt es ein Überangebot an Strom mit entsprechendem Preiszerfall. Dieses Überangebot ist auf übertriebene staatliche Subventionsanreize zurückzuführen. Deutschland subventioniert die eigene Solar- und Windindustrie massiv und sorgt für Überproduktion, wenn die Sonne scheint und der Wind bläst. Für Schlechtwetterperioden subventioniert man die Kohlekraftwerke ebenfalls massiv, um die Bandenergie sicherzustellen (Ökologie spilet dann keine Rolle …). Frankreich zelebriert aus Gründen der nationalen Autarkie eine staatlich betriebene Atomindustrie (EdF ist ein Staats- Atom- Konzern) und flutet den europäischen Strommarkt mit Nuklearstrom unter den Gestehungskosten. Diesen haben wir dann im Schweizer Netz, natürlich auch in Basel, obschon man den Stromkonsumenten gelegentlich etwas anderes weismachen möchte .
Walter Basler meint
Werter MM, mag ja sein, dass die Initiative der Grünen letztlich dazu führt, dass sich die Atomkonzerne auf dem Buckel des Staates sanieren. Das kann man natürlich aus liberaler Sicht beklagen – aber wo läge da in den Augen der Grünen das Problem? Die grünen Atomaussteiger wollen die Atomkraftwerke abschalten, nicht die Unternehmen, die derzeit noch Atomkraftwerke betreiben, abschaffen.
M.M. meint
Die geänderte Lage ist eben so, dass die AKW-Betreiber die Göppel möglichst bald abstellen wollen. Weil die Kosten fürs Weiterbetreiben – die bürgerliche Politik glaubt, dass das bis ins Jahr 2060 dauern könnte – viel zu hoch sind. Auch mit all der Nachrüsterei bis dann. In Schweden ist dieser Tage ein Werk eben aus diesen Gründen vom Netz genommen worden.
In der Schweiz stellt sich nur noch die Frage, wer bezahlt. Ich gehe davon aus, dass der Steuerzahler das übernehmen muss. Oder der Stromkunde, was aufs Gleiche rauskommt.
Meury Christoph meint
Es scheint eben doch nicht egal zu sein, wenn „in China ein Reissack umfällt“, wir damit nichts zu tun haben. Es wird immer schwieriger werden politische Entscheide und Vorgänge in einfachen Formeln zu denken und umzusetzen. PolitikerInnen müssen dazulernen. Sie müssen nicht primär hehre politische Ziele formulieren, sondern in Szenarien denken und die verschiedenen Auswirkungen ihres Tuns in Erwägung ziehen. Das wird manche LokalpolitikerInnen überfordern. Aber darauf müssen wir’s ankommen lassen.
Grummel meint
Ich warte [zappel, zappel, zappel (sorry, geklaut), zappel].